Willms, Bernard, Gelehrter, 1931–1961

Bernard Willms, am 7. Juli 1931 in Mönchenglad­bach geboren, ver­stand sich stets als ein Erforsch­er und Lehrer der Poli­tis­chen Philoso­phie. Nach ein­er Buch­händler­lehre studierte er Philoso­phie, Sozi­olo­gie und Deutsch und pro­movierte bei Joachim Rit­ter in Mün­ster mit ein­er Arbeit über Ficht­es poli­tis­che Philoso­phie. Für einige Jahre war er Assis­tent bei dem kon­ser­v­a­tiv­en Sozi­olo­gen Hel­mut Schel­sky und wurde nach sein­er Habil­i­ta­tion im Jahre 1970 zum Pro­fes­sor für Poli­tis­che The­o­rie und Geschichte der Poli­tis­chen Ideen an die Ruhr-Uni­ver­sität Bochum berufen.

Da Willms das ana­lytis­che Poten­tial gewiss­er marx­is­tis­ch­er The­o­reme stets schätzte und sich in seinen frühen Schriften auch gegen den etablierten bürg­er­lichen Lib­er­al­is­mus wandte, galt er zeitweise als „Link­er“. Tat­säch­lich kri­tisierte er auch in dieser Phase die uni­ver­sal­is­tis­chen Utopi­en sein­er linken Zeitgenossen wie Jür­gen Haber­mas scharf. Die Kri­tik am abstrak­ten Denken in Uni­ver­salien blieb ein Kennze­ichen sein­er Philoso­phie. Noch am Ende seines Lebens entwick­elte er ein gewiss­es Inter­esse an der Post­mod­erne als Wider­part zu den uni­ver­salen „Großen Erzäh­lun­gen“.

Willms machte sich früh einen Namen als führen­der deutsch­er Spezial­ist in der Forschung zu dem englis­chen Philosophen Thomas Hobbes. Dessen strenge Staat­slehre hielt er stets für eine unhin­terge­hbare Errun­gen­schaft. In der zweit­en Hälfte der 70er Jahre wid­mete er sich daneben der The­o­rie der inter­na­tionalen Poli­tik. Aus der Tat­sache, daß seit dem Ende des Kolo­nialzeital­ters nur noch unab­hängige Staat­en existieren, die sich als Natio­nen auszu­bilden suchen, zog er schließlich für die eigene, damals noch geteilte Nation strenge poli­tikphilosophis­che Kon­se­quen­zen.

Mit­telpunkt seines 1982 erschiene­nen Buch­es über Die Deutsche Nation. The­o­rie — Lage — Zukun­ft bildete indes nicht ein­fach eine empirische Lage­analyse, son­dern die „Idee der Nation“, die er auf der Basis eines an der Philoso­phie Hegels ori­en­tierten Ansatzes ent­fal­tete. Für ihn ergab sich diese Idee als ein strenges Resul­tat ein­er poli­tis­chen Philoso­phie der Frei­heit. Ein­er Frei­heit allerd­ings, die in all ihren prob­lema­tis­chen Kon­se­quen­zen beim Wort zu nehmen sei – und nur in einem starken, sou­verä­nen Staat real gelebt wer­den könne. Wo die Notwendigkeit eines solchen Staates von den Bürg­ern einge­se­hen wird und sie einen Staat als den ihri­gen begreifen und erfahren kön­nen oder einen fordern, der von ihnen als der ihre begrif­f­en wer­den kann, ist die Idee der Nation wirk­mächtig.

Willms kom­plexe philosophis­che Herange­hensweise hat eine bre­ite Rezep­tion in außer­akademis­chen Kreisen sowie die Schul­bil­dung in der etablierten Poli­tis­chen Wis­senschaft ver­hin­dert. Hinzu kam, daß sein öffentlich­es Engage­ment bei der Propagierung und Pop­u­lar­isierung der Idee der Nation, das keine Berührungsäng­ste scheute, ihn bald als „Recht­en“ in Ver­ruf brachte. Dage­gen half auch nicht sein Insistieren darauf, daß diese Idee keine „objek­tivier­bare“ biol­o­gis­che, eth­nis­che oder andere materielle Grund­lage habe, ander­er­seits aber notwendig stets auch eine gewisse demokratis­che und soziale Teil­habe aller Bürg­er an den Geschick­en ihrer Nation impliziere. Denn Willms behar­rte zugle­ich darauf, daß es bei der his­torisch gewach­se­nen Vielzahl von Staat­en keine abstrak­te, für alle Natio­nen stets richtige Lösung des Prob­lems geben könne, wie jew­eils konkret Frei­heit, poli­tis­che und soziale Teil­habe sowie die ja immer notwendi­ge äußere Selb­st­be­haup­tung zu real­isieren seien. Jede Nation müsse diese Arbeit auf eigenes Risiko und in eigen­er Ver­ant­wor­tung selb­st tun und habe das Ergeb­nis allein vor sich selb­st zu recht­fer­ti­gen. Ein­er Nation von außen bes­timmte For­men von „Demokratie“, „Men­schen­recht­en“ oder „Sozial­is­mus“ verbindlich vorschreiben zu wollen, stellte für ihn unter allen Umstän­den nichts anderes als einen impe­ri­al­is­tis­chen Herrschaft­sanspruch dar.

Willms Begriff der Nation ist dur­chaus flex­i­bel genug, um jen­seits aller notwendi­gen Selb­st­be­haup­tung auch über­staatliche koop­er­a­tive Struk­turen anzu­denken. Gemein­sam mit dem Indus­triellen Paul Kleinewe­fers entwick­elte er 1986 das Konzept eines mit­teleu­ropäis­chen Staaten­bun­des zur Über­win­dung der Block- und damit auch der deutschen Teilung. Doch behar­rte er stets darauf, daß die Idee der Nation die gegen­wär­tig einzige der men­schlichen Frei­heit und Würde wirk­lich angemessene poli­tis­che Ord­nungsvorstel­lung darstelle und – in der Form eines dynamis­chen Sys­tems von wech­sel­seit­iger Selb­st­be­haup­tung und Anerken­nung von sou­verä­nen, aber nichts­destoweniger kooperieren­den Natio­nen – die einzige Chance für ein vernün­ftiges und freies poli­tis­ches Dasein auf diesem Plan­eten biete. Deshalb forderte er für alle Men­schen ein „Recht auf Nation“ ein, d.h. auf ein Leben in einem konkreten, über­schaubaren Staat, den sie als den ihren anse­hen kön­nen.

Willms ursprünglich gegen den Impe­ri­al­is­mus der Super­mächte gerichtete scharfe Verurteilung jed­er „über­na­tionalen“ Autorität­san­maßung als Impe­ri­al­is­mus bleibt aktuell. Denn seine „Idee der Nation“ ent­larvt jede sich noch so „frei­heitliche“, fortschrit­tliche, men­schen- und umwelt­fre­undlich ver­ste­hende oder tar­nende uni­ver­sal­is­tis­che Alter­na­tive als bloßen Anspruch auf eine neue, dies­mal glob­ale Reduzierung aller Men­schen zu bloßen Unter­ta­nen ein­er Herrschaft fremder, mehr oder min­der anonymer Mächte

Willms selb­st, von seinem Habi­tus her ein aus­ge­sprochen lib­eraler Men­sch und Lehrer, hat­te sich in den 80ern erneut als ein entsch­ieden­er Geg­n­er abstrakt-uni­ver­sal­is­tis­ch­er poli­tis­ch­er Ide­olo­gien, des Lib­er­al­is­mus inklu­sive, gezeigt. Er stand mit seinem nationalen Imper­a­tiv, seinem beständi­gen ceterum censeo Ger­ma­ni­am esse restituen­dam und sein­er schar­fen Kri­tik an den dominieren­den Kräften und Trends in West­deutsch­land – auch der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung – im Gegen­satz zur herrschen­den Mei­n­ung. Durch die Wiedervere­ini­gung kon­nte er sich zwar bestätigt sehen, den­noch fand er keine Anerken­nung. Am Ende zeigte er sich von der weit­eren poli­tis­chen Entwick­lung Deutsch­lands, die auf eine bloße Fort­set­zung der – an der Idee der Nation gemessen – in viel­er­lei Hin­sicht defiz­itären BRD hin­aus­lief, ent­täuscht. Ob dies auch zu seinem Fre­itod am 27. Feb­ru­ar 1991 in Bochum beitrug, muß indes offen bleiben.

– — –

Zitat:

Die Nation ist ein Volk, das in bezug auf einen bes­timmten Raum in der Geschichte hin­durch das Bewußt­sein eines Wir, eines Ganzen, eines Selb­st entwick­elt hat, das als dieses Selb­st einen gemein­samen poli­tis­chen Willen, das heißt einen Staat, aus­bilden will und das in unabläs­siger Bemühung seine Selb­st­bes­tim­mung und seine Selb­st­be­haup­tung poli­tisch gel­tend macht und geschichtlich durch­hält.

– — –

Schriften:

  • Die Antwort des Leviathan – Thomas Hobbes’ Poli­tis­che The­o­rie, Neuwied u. Berlin 1970
  • Selb­st­be­haup­tung und Anerken­nung: Grun­driß ein­er poli­tis­chen Dialek­tik, Opladen 1977
  • Die Deutsche Nation. The­o­rie – Lage –Zukun­ft, Köln-Lövenich 1982
  • Ide­al­is­mus und Nation. Zur Rekon­struk­tion des poli­tis­chen Selb­st­be­wußt­seins der Deutschen, Pader­born u.a. 1986
  • Iden­tität und Wider­stand. Reden aus dem deutschen Elend, Tübin­gen u.a. 1986
  • Hand­buch zur Deutschen Nation. 3 Bde, Tübin­gen u.a.1986–1988 (als Her­aus­ge­ber)
  • Erneuerung aus der Mitte. Prag — Wien – Berlin. Dies­seits von Ost und West (zusam­men mit Paul Kleinewe­fers), Her­ford 1988

– — –

Lit­er­atur:

  • Dag Krienen: Nationale Iden­tität, in: Sezes­sion (2004) H. 7
  • Man­fred Lauer­mann: Bernard Willms, in: Criti­con (1991), H. 124
  • Robert Steuck­ers: Willms, Bernard (1931–1991), in: Syn­er­gies Européennes, April 1991