Bund

Bund beze­ich­net eine Sozial­form, die aus gle­ichen oder ähn­lichen Ele­menten beste­ht. Es kann sich dabei um einen Bund aus nach­ge­ord­neten Sozial­for­men oder aus einzel­nen Men­schen han­deln. Im ersten Ver­ständ­nis spricht man von ein­er Föder­a­tion, vor allem einem »Staaten­bund« oder einem »Bun­desstaat«. Im zweit­en Ver­ständ­nis han­delt es sich um einen und als Zusam­men­schluß auf Grund­lage von Alter oder Geschlecht­szuge­hörigkeit oder gefühlsmäßiger Übere­in­stim­mung.

1. Bun­desstaat und Staaten­bund: Kon­ser­v­a­tive (von Con­stan­tin Frantz bis Hein­rich Hell­wege) haben sich immer wieder aus grund­sät­zlichen Erwä­gun­gen für föderale Ver­fas­sun­gen einge­set­zt. Haupt­grund war die Annahme, daß der Bund – vorge­bildet im »Alten« und im »Neuen Bund«, also im »Alten« und im »Neuen Tes­ta­ment« der Bibel – zu den natür­lichen Sozial­for­men gehöre. Er sorge mit der Bewahrung regionaler Tra­di­tio­nen für die Sta­bil­ität des Staatswe­sens und hemmte außer­dem die despo­tis­chen oder mod­ernistis­chen Ten­den­zen ein­er Zen­trale. In manchem trafen sich diese Auf­fas­sun­gen mit denen »föder­al­is­tis­ch­er« Lib­eraler und Sozial­is­ten, die aber vor allem die Möglichkeit der Machtkon­trolle (»dop­pelte Gewal­tenteilung«) beton­ten. Entsprechende Anschau­un­gen waren seit dem 18. Jahrhun­dert durch Mon­tesquieu, die nor­damerikanis­chen Fed­er­al­ists sowie den anar­chis­tis­chen The­o­retik­er Proud­hon for­muliert wor­den.

In Deutsch­land hat die föderale Organ­i­sa­tion auch fak­tisch eine wichtige Rolle für die Ver­fas­sungsen­twick­lung gespielt. Dabei kam die kul­turelle und regionale Vielgestaltigkeit zur Gel­tung, aber auch eine prob­lema­tis­che Nei­gung zu Kle­in­staaterei und Ver­fol­gung von Son­der­in­ter­essen, die man mit dem Ver­weis auf die »teutsche Lib­ertät« zu recht­fer­ti­gen suchte (»Rhein­bund«). Noch die Bil­dung des »Deutschen Bun­des« 1815 war nichts anderes als eine Ver­legen­heit­slö­sung angesichts der Unmöglichkeit, einen nationalen Ein­heitsstaat gegen die Inter­essen Öster­re­ichs beziehungsweise der europäis­chen Großmächte durchzuset­zen. Nach der Reichs­grün­dung von 1871 blieben zwar gewisse föderale Son­der­rechte erhal­ten – nicht zulet­zt durch die starke Stel­lung der Län­dervertre­tung im »Bun­desrat« –, aber an der über­lege­nen Stel­lung Preußens und einem starken uni­tarischen Ele­ment kon­nte im Ernst kein Zweifel sein. Das Prob­lem ein­er kon­se­quenten föder­a­tiv­en Gliederung war auch nach dem Ende der Monar­chie nicht zu lösen, trotz sehr inten­siv­er Debat­ten über eine »Reich­sre­form« und die Neugliederung des Lan­des Preußen.

Läßt man das NS-Regime und die DDR mit ihren starken zen­tral­is­tis­chen Ten­den­zen außer­halb der Betra­ch­tung, bleibt festzustellen, daß die föderale Struk­tur der Bun­desre­pub­lik zwar der deutschen Tra­di­tion entspricht, aber gewisse Ein­schränkun­gen gemacht wer­den müssen. Das hängt vor allem mit der kün­stlichen Neuschaf­fung von Län­dern (vor allem Nor­drhein-West­falen und Rhein­land-Pfalz) zusam­men, aber auch mit den Vor­gaben der Alli­ierten für die Ausar­beitung des Grundge­set­zes, die eine Machtkonzen­tra­tion in Hän­den der Exeku­tive ver­hin­dern soll­ten.

Unter dem Ein­druck der bürokratis­chen Fehlen­twick­lun­gen in der »Europäis­chen Union« gibt es immer wieder Stim­men – nicht nur in Deutsch­land –, die ver­lan­gen, die EU kon­se­quent in einen »Staaten­bund« umzuwan­deln, dessen Glieder deut­lich mehr Selb­st­bes­tim­mungsrechte behal­ten als unter den gegen­wär­ti­gen Umstän­den.

2. Sozi­ol­o­gis­che Kat­e­gorie: Die Bedeu­tung des Bun­des als eigene Sozial­form ist in der deutschen Völk­erkunde (Hein­rich Schurtz, Leo Frobe­nius) beziehungsweise Sozial­wis­senschaft (Her­man Schmalen­bach) früh erkan­nt wor­den. Dabei gelang Schmalen­bach der Nach­weis, daß man im Bund eine selb­ständi­ge Kat­e­gorie neben Gemein­schaft und Gesellschaft habe; gegen Tön­nies behauptete er, daß nicht die Gemein­schaft, son­dern der Bund auf emo­tionaler Beziehung beruhe, die Gemein­schaft – etwa Ehe oder Fam­i­lie – aber auf objek­tiv­en Gegeben­heit­en organ­is­chen Charak­ters, während die Gesellschaft sich allein kalkulieren­den Erwä­gun­gen ver­danke. Die Gefüh­le müssen sich nicht zwin­gend auf die anderen Bun­desmit­glieder beziehen, es kann sich auch um die Sym­pa­thie für eine Idee, einen Führer, einen Gott han­deln.

Zuerst war man auf das Phänomen des Bun­des durch die Analyse des »Män­ner­bunds« aufmerk­sam gewor­den. Er wurde als For­ma­tion erkan­nt, die in frühen Gesellschaften wichtige Auf­gaben erfüllte, da er die her­anwach­senden Jun­gen von den Frauen und gle­ichal­tri­gen Mäd­chen ab- und untere­inan­der zusam­men­schloß. Dieser »Jünglings­bund« bildete den Kern der Wehrfähi­gen, die Zuge­hörigkeit war oft an eine gefährliche oder zumin­d­est schmerzhafte Ini­ti­a­tion geknüpft, sie bildete außer­dem die Voraus­set­zung für Heirats­fähigkeit und Auf­nahme als Vollmit­glied in den eigentlichen »Män­ner­bund«.

Einige The­o­retik­er (Otto Höfler, Lionel Tiger) mut­maßen, daß der Män­ner­bund über­haupt die früh­este Form poli­tis­ch­er Organ­i­sa­tion ist, da sie nicht nur die Alter­sklassen sowie Möglichkeit­en und Begren­zun­gen der Eheschließung bes­timmte, son­dern auch dazu neigte, die Gewalt­mit­tel zu monop­o­lisieren und einen spez­i­fis­chen Geheimkult auszu­bilden, der die wesentlichen For­men religiös­er Lehre und Prax­is an sich zog. Diese zen­trale Funk­tion des Bun­des kön­nte nicht nur seine uni­ver­sale Ver­bre­itung erk­lären, son­dern auch seine Bedeu­tung in der europäis­chen Geschichte; hier wirkt vielle­icht das Erbe der außeror­dentlich ein­flußre­ichen Män­ner- und Kriegerbünde bei den indoger­man­is­chen Völk­ern nach.

Erst die Mod­ernisierung führte zur grund­sät­zlichen Infragestel­lung dieser Sozial­form. Wie Ehe und Fam­i­lie hat sie radikal an Bedeu­tung ver­loren. Ganz ver­schwun­den ist sie allerd­ings nicht. Bun­de­sar­tige Zusam­men­schlüsse haben sich vor allem in Führungskreisen erhal­ten (von Freimau­r­ern bis zu Rotari­ern) und prä­gen mehr oder weniger noch den Ver­hal­tenskodex in mil­itärischen Ein­rich­tun­gen. Zu beto­nen ist außer­dem, daß es in Deutsch­land ver­schiedene Ansätze gab, Ersatz für das zu schaf­fen, was ver­loreng­ing. Neben elitären Kün­stler- und Dichter­bün­den, wie etwa dem George-Kreis, gab es schon vorher Ver­suche zu ein­er Reor­gan­i­sa­tion der (männlichen) Jugend ins­ge­samt. Die bekan­ntesten Beispiele waren die zu Beginn des 19. Jahrhun­derts ent­stande­nen »Burschen-« und »Turn­er­schaften« und die an seinem Ende auftre­tenden Grup­pen des »Wan­der­vo­gels«.

Diese Art von Jugend­be­we­gung erlebte nach dem Ersten Weltkrieg eine Weit­er­en­twick­lung hin zu jenen For­men, die jet­zt aus­drück­lich als »bündisch« beze­ich­net wur­den. Die Bünde waren nach wie vor Selb­sterziehungsver­bände und Zusam­men­schlüsse auf frei­williger Basis, aber es gab doch Übergänge zu aus­ge­sproch­enen »Kampf­bün­den« (Faschis­mus), wo man ern­sthaft erwog, den Staat ins­ge­samt aus dem Bund zu erneuern. Durch die Entwick­lung nach 1933 sind diese Möglichkeit­en abgeschnit­ten wor­den, trotz der äußer­lichen Über­nahme eines gewis­sen bündis­chen Deko­rs von seit­en des NS-Regimes.

Bund und Män­ner­bund unter­zog man in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten nur aus polemis­chem Inter­esse genauer­er Betra­ch­tung. Das gilt vor allem für fem­i­nis­tis­che Arbeit­en oder solche, die sich dem The­ma mit dekon­stru­ieren­der Absicht näherten. Erst die offen­sichtliche Krise der Geschlechter­beziehung und des männlichen Selb­stver­ständ­niss­es über­haupt hat dies­bezüglich einige vor­sichtige Kor­rek­turen erlaubt.

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Zitate:

Mit Recht nen­nt darum der Avenir diese … Zen­tral­i­sa­tion der Regierung den Pan­the­is­mus des Staates, weil ein solch­er Staat in der Tat gle­ich der spin­ozis­tis­chen alleini­gen Sub­stanz alles wird, und, alles (das Geistige wie das Materielle) fiskalisch machend und gle­ich dem Sat­urn oder Moloch in sich ver­schlin­gend, zu sich sel­ber macht.
Franz von Baad­er

Der Män­ner­bund ist wichtiger. Die Fam­i­lie ist selb­stver­ständlich; er aber braucht die Bejahung.
Hans Blüher

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Lit­er­atur:

Buun­desstaat und Staaten­bund

  • Ernst Deuer­lein: Föder­al­is­mus. Die his­torischen und philosophis­chen Grund­la­gen des föder­a­tiv­en Prinzips, München 1972.
  • Con­stan­tin Frantz: Der Föder­al­is­mus als das lei­t­ende Prinzip für die sociale, staatliche und inter­na­tionale Organ­i­sa­tion unter beson­der­er Bezug­nahme auf Deutsch­land, Mainz 1879.
  • Hein­rich Hell­wege: Die föder­al­is­tis­che Leben­sor­d­nung, Bonn 1953.
  • Edgar Julius Jung: Föder­al­is­mus als Weltan­schau­ung, München 1931.

 Sozi­ol­o­gis­che Kat­e­gorie

  • Hans Blüher: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, 2 Bde, Jena 1917/19.
  • Hans-Peter Hasen­fratz: Der indoger­man­is­che »Män­ner­bund«, in: Zeitschrift für Reli­gions- und Geis­tes­geschichte 34 (1982), S. 148–163.
  • Otto Höfler: Kul­tische Gehe­im­bünde der Ger­ma­nen, Bd 1 nicht erschienen, Frank­furt a. M. 1934.
  • Her­man Schmalen­bach: Die sozi­ol­o­gis­che Kat­e­gorie des Bun­des, in: Die Dioskuren 1 (1922), S. 35–105.
  • Hein­rich Schurtz: Alter­sklassen und Män­ner­bünde, Berlin 1902.
  • Lionel Tiger: Warum die Män­ner wirk­lich herrschen, München 1972.
  • Karl­heinz Weiß­mann: Män­ner­bund, Schnell­ro­da 2004.