Schmitt, Carl, Staatsrechtler,1888–1985

Carl Schmitt wurde am 11. Juli 1988 in Plet­ten­berg geboren, wo er auch am 7. April 1985 starb. Im Som­mer 1945, kurz nach Kriegsende, schrieb Carl Schmitt das Gutacht­en Das  inter­na­tion­al­rechtliche Ver­brechen des Angriff­skrieges und der Grund­satz »Nul­lum crimen, nul­la poe­na sine lege« (1994 veröf­fentlicht), mit dem er die dama­li­gen Forderun­gen zurück­wies,
auch Indus­trielle und Geschäft­sleute wegen der Beteili­gung an diesem Delikt anzuk­la­gen, und dabei aufzeigte, daß der Ver­such, Kriege und Aggres­sio­nen mit Strafen, Ver­boten und Sank­tio­nen zu ver­hin­dern, nur dazu führen kann, daß der Krieg per­ma­nent und der Frieden unauffind­bar wird.

Schmitt wurde im Sep­tem­ber 1945 festgenom­men und zunächst für ein Jahr in Berlin interniert; es war beab­sichtigt, ihn als Kriegsver­brech­er anzuk­la­gen. Er hat seine Erleb­nisse und Reflex­io­nen während dieser Zeit in dem Buch Ex Cap­tiv­i­tate Salus (1950) geschildert; das Manuskript wurde aus dem Lager geschmuggelt. Im März 1947 wurde Schmitt wiederum festgenom­men und ins Nürn­berg­er Jus­tizge­fäng­nis ver­bracht, um von dem stel­lvertre­tenden Ankläger der Vere­inigten Staat­en beim Nürn­berg­er Prozeß, Robert W. Kemp­n­er, einem früheren Beamten des preußis­chen Jus­tizmin­is­teri­ums, ver­hört zu wer­den; Kemp­n­er warf Schmitt »Beteili­gung an der Vor­bere­itung eines Angriff­skrieges vor« (Antworten in Nürn­berg, 2000). Im Mai 1947 ent­lassen, ver­brachte Schmitt noch einige Zeit im Nürn­berg­er Zeu­gen­haus und zog sich danach nach Plet­ten­berg zurück; eine Rück­kehr an die Uni­ver­sität war unmöglich.

Da Schmitt bis 1952 auf seine Pen­sion warten mußte, war er auf die Unter­stützung durch die Fam­i­lie und einige engere Fre­unde angewiesen. Das während dieser schwieri­gen Zeit begonnene
Spätwerk, in dem das Glos­sar­i­um – Aufze­ich­nun­gen der Jahre 1947–1951 (1991) einen beson­deren Rang ein­nimmt, ist intellek­tuell zwar oft glanzvoll und ohne Zweifel auch für sich bedeu­tend; man muß es aber wohl über­wiegend als Ergänzung, Kom­men­tierung, Erläuterung und par­tiell bleibende Weit­er­führung der bis 1945 ver­faßten Schriften betra­cht­en. Als Schmitt 1950 mit gle­ich vier Schriften her­vor­trat, wurde meist überse­hen, daß es sich dabei, mit Aus­nahme von Ex Cap­tiv­i­tate Salus, um Schriften han­delte, die 1945 abgeschlossen waren.

Auch Der Nomos der Erde, unstrit­tig neben der Ver­fas­sungslehre (1928) Schmitts Hauptwerk, war 1944, bis auf ganz unwesentliche Ergänzun­gen, vol­len­det, um dann, Jahrzehnte später, seine unver­min­derte Aktu­al­ität zu beweisen: daß es ohne Ortung keine Ord­nung gibt und daß es im Völk­er­recht nicht um die Diskri­m­inierung des Krieges, son­dern nur darum gehen kann, den Krieg zu begren­zen und einzuhe­gen, um zum jew­eils konkret möglichen Frieden zu gelan­gen.

Mit Poli­tis­che The­olo­gie II (1970) nimmt Schmitt noch ein­mal die The­matik von Poli­tis­che The­olo­gie (1922) auf und ent­fes­selt damit eine noch andauernde, inter­na­tionale Diskus­sion zu dem von ihm allen­falls skizzierten Prob­lem. Wir find­en in Schmitts Spätwerk, neben den Bekräf­ti­gun­gen sein­er früheren Schriften, lit­er­aturgeschichtliche Spaziergänge (Ham­let oder Heku­ba, 1956) oder Ver­tiefun­gen (Die Tyran­nei der Werte, 1960); wirk­lich neuen Boden betritt Schmitt mit dem Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber (1954), – vor allem aber mit der The­o­rie des Par­ti­sa­nen (1963).

Diese Bemühung um eine Konkretisierung des Begriffs des Poli­tis­chen (um die es bei Schmitts bekan­ntestem Text von 1927/1932 nicht allzu gut bestellt war) reha­bil­i­tierte zumin­d­est auf ein­er moralis­chen und welt­geschichtlichen Ebene den bish­er fast außer­halb des Völk­er­rechts situ­ierten Par­ti­sa­nen, wenn er sich für »Altar und Herd« schlug und nicht zum Agen­ten des Welt­bürg­erkriegs, zum Kämpfer für die Ein­heit der Welt, der kom­mu­nis­tis­chen Wel­trev­o­lu­tion und ähn­lich­er Groß- Abstrak­tio­nen wurde, die den Frieden unauffind­bar wer­den lassen. Der ille­gale Par­ti­san kon­nte das Niveau der Legit­im­ität erre­ichen.

Schmitts Spätwerk, das sich durch eine beträchtliche geistige Dis­tanz, ja durch Desin­ter­esse gegenüber dem neuen deutschen (West-)Staat ausze­ich­nete und 1983 mit dem Inter­view »Un giurista davan­ti a se stes­so« des ital­ienis­chen Ver­fas­sung­shis­torik­ers Ful­co Lan­ches­ter endete, wurde begleit­et von ein­er unaufhör­lich wach­senden, eher wuch­ern­den Sekundär­lit­er­atur.

Zählen wir in den Jahren 1921–1945 elf Büch­er und 239 Auf­sätze zu Schmitt, so find­en sich zwis­chen 1946 und 1985 achtund­vierzig Büch­er und 537 Auf­sätze – von zahllosen Bezug­nah­men zu schweigen. Zu einem beträchtlichen Teil stammt die Lit­er­atur nach 1945 nicht mehr von Juris­ten, son­dern von Philosophen, Sozi­olo­gen, The­olo­gen, Kul­tur­jour­nal­is­ten u. a., die dabei in oft beliebig scheinen­der Weise an Schmitt anknüpfen, so daß die samenkapse­lar­tige Frucht­barkeit seines Denkens deut­lich wird. Schmitt wird nun auch zunehmend par­tiell ge- und benutzt und muß sog­ar als Nothelfer der lib­eralen Ver­fas­sung, der »wehrhaften Demokratie« etc. dienen; die Lieb­haber ein­er pro­vi­sorischen »Ver­fas­sung« (des Grundge­set­zes), die Schmitt stets scharf ablehnte, rekur­ri­eren sog­ar auf seine Argu­mente zugun­sten ein­er Erschwerung der Ver­fas­sungsän­derung.

Doch die Deu­tungs-Indus­trie zu Schmitt wurde nach 1945 auch begleit­et von ein­er Dif­famierungs-Indus­trie, die mit oft verblüf­fend­er Ken­nt­nis­ar­mut die ewig gle­ichen Vor­würfe repetierte.
Schmitt sei der »Kro­n­jurist des Führers« gewe­sen, der »Toten­gräber der Weimar­er Repub­lik«, der »schlimm­ste aller Schreibtis­chtäter«, der »Zuhäl­ter der Gewalt« etc. Immer­hin tru­gen auch diese, kaum zu zäh­len­den Ver­fol­ger fleißig zu Schmitts Ruhm bei.

Schmitt, nicht frei von philiströs­er Ängstlichkeit und vom Wun­sche, beliebt zu sein, kränk­ten diese Vor­würfe und das oft feind­selige Ver­hal­ten sein­er Kol­le­gen über die Maßen. An zwei entschei­den­den Punk­ten gelang es ihm aber, den Ring der Ver­fe­mu­ng zu durch­brechen. In den fün­fziger bis zu den siebziger Jahren war sein geistiger Ein­fluß in Fran­co-Spanien außeror­dentlich; weit­ge­hend wurde er zu dieser Zeit der Fix­punkt der poli­tol­o­gis­chen, ver­fas­sungs­the­o­retis­chen wie auch der kul­turellen Debat­ten.

Die außergewöhn­liche Anre­gungs- und Auf­schließungskraft von Schmitts Denken zeigte sich hier aufs schön­ste, so daß man von der äußer­sten Recht­en, über die Falangis­ten, die Carlis­ten, die lib­eralen Monar­chis­ten, die jun­gen Tech­nokrat­en Fran­cos, bis hin zu dessen erbit­terten Fein­den seine Posi­tio­nen und Begriffe auf­nahm, abwan­delte oder umschmolz.

Spanien hat so, nach oder sog­ar neben Deutsch­land, die wichtig­sten Beiträge zur Deu­tung Schmitts geleis­tet und gelangte dabei zu ein­er – für viele über­raschen­den – Plu­ral­ität der Ansicht­en; seit den frühen siebziger Jahren belebte sich auch das eher von der Linken aus­ge­hende Inter­esse an Schmitt in Ital­ien und führte zu ein­er Rei­he bedeu­ten­der Inter­pre­ta­tio­nen. Auch in Deutsch­land, trotz des Getös­es der Ver­fe­mu­ng und des so uner­bit­tlichen wie töricht­en Mantra der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung, wuchs Schmitts Ein­fluß damals.

Zunächst war dies weniger ein offen sicht­bar­er Ein­fluß; er fand nach der Art eines unterirdis­chen Wurzel­stocks, eines immer umfan­gre­icheren Rhi­zoms statt. Bis zu seinem Tode schrieb Schmitt einige tausend, oft sehr umfan­gre­iche Briefe (u. a. an Hans Bar­i­on, Ernst Jünger, Rein­hart Kosel­leck, Armin Mohler, Hans-Diet­rich Sander), in denen er sein Werk erläuterte, das aktuelle Geschehen kom­men­tierte, auf ungezählte juridis­che, poli­tis­che, philosophis­che, lit­er­arische Fra­gen eing­ing. Er bewies, daß gegenüber ein­er kor­rumpierten, die Fairneßregeln des geisti­gen Umgangs ver­let­zen­den Öffentlichkeit der pri­vate Brief eine effek­tive Waffe sein kon­nte.

Schmitt war ohne Zweifel ein­er der größten Brief­schreiber des 20. Jahrhun­derts. Doch neben dem rast­losen Kor­re­spon­den­ten Schmitt gab es ab 1950 auch den Mann, der das geistige Gespräch suchte und im Laufe von Jahrzehn­ten mit Hun­derten von Deutschen, Spaniern, Lateinamerikan­ern, Fran­zosen, Angel­sach­sen, Japan­ern, Ital­ienern u. a. sprach, stets zuhören kon­nte (»es muß nur inter­es­sant sein«) und dabei sein großes Tal­ent bewies, mit­tels sein­er Hebam­men-Tech­nik auch Ander­s­denk­ende zu fördern und zu fordern.

Tat­säch­lich war es ein alter, kranker, dif­famiert­er und macht­los­er Mann, der das »frucht­barste Zen­trum des deutschen Geis­teslebens nach 1945« (Nico­laus Som­bart) bildete. Die Schmitt-Lit­er­atur der Jahre 1986–2009 umfaßt denn auch 355 Büch­er und 1301 Auf­sätze: Carl Schmitt und kein Ende.

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Zitat:

Einem Macht­losen würde ich sagen: Glaube nicht, daß du schon deshalb gut bist, weil du keine Macht hast.

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Schriften:

  • Das inter­na­tion­al­rechtliche Ver­brechen des Angriff­skrieges und der Grund­satz »Nul­lum crimen, nul­la poe­na sine lege« [1945], Berlin 1994
  • Ex Cap­tiv­i­tate Salus. Erfahrun­gen der Zeit 1945/47, Köln 1950
  • Antworten in Nürn­berg [1947], Berlin 2000
  • Glos­sar­i­um. Aufze­ich­nun­gen der Jahre 1947–1951, Berlin 1991
  • Der Nomos der Erde im Völk­er­recht des Jus Pub­licum Europaeum, Köln 1950
  • Die Lage der europäis­chen Rechtswis­senschaft, Tübin­gen 1950
  • Donoso Cortés in gesam­teu­ropäis­ch­er Inter­pre­ta­tion, Köln 1950
  • Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber, Pfullin­gen 1954
  • Ham­let oder Heku­ba, Düs­sel­dorf 1956
  • Die Tyran­nei der Werte, Pri­vat­druck 1960
  • The­o­rie des Par­ti­sa­nen. Zwis­chenbe­merkung zum Begriff des Poli­tis­chen, Berlin 1963
  • Poli­tis­che The­olo­gie II. Die Leg­ende von der Erledi­gung jed­er Poli­tis­chen The­olo­gie, Berlin 1970

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Lit­er­atur:

  • Alain de Benoist: Carl Schmitt. Inter­na­tionale Bib­li­ogra­phie der Primär- und Sekundär­lit­er­atur, Graz 2010
  • Dirk van Laak: Gespräche in der Sicher­heit des Schweigens. Carl Schmitt in der poli­tis­chen Geis­tes­geschichte der frühen Bun­desre­pub­lik, Berlin 1993