Eigentum

Eigen­tum beziehungsweise die Hal­tung zum Eigen­tum tren­nt sehr deut­lich die poli­tis­chen Weltan­schau­un­gen links und rechts der Mitte. Links wird das Recht auf oder das Recht am Eigen­tum regelmäßig in Frage gestellt, rechts prinzip­iell vertei­digt. Das erk­lärt sich im Fall von Anar­chis­ten, Kom­mu­nis­ten und Sozial­is­ten der ver­schiede­nen Schat­tierun­gen durch die Annahme, daß der Ursprung des Eigen­tums in einem Gewal­takt liegen müsse. Die Sen­tenz Rousseaus »Eigen­tum ist Dieb­stahl« kon­nte von Marx wörtlich über­nom­men wer­den. Dem liegt aus­ge­sprochen oder unaus­ge­sprochen die Geschichts­fik­tion zugrunde, es habe einen Naturzu­s­tand gegeben, in dem kein Eigen­tum existierte.

Dem wider­sprechen allerd­ings neuere Erken­nt­nisse von Völk­erkunde und Entwick­lungspsy­cholo­gie. Es trifft zwar zu, daß Gesellschaften auf sehr prim­i­tivem Niveau keinen stren­gen Eigen­tums­be­griff ken­nen, vor allem weil Werkzeuge und Waf­fen rel­a­tiv leicht her­stell­bar und andere Arte­fak­te von größerem Wert – weil aufwendig hergestellt oder unter Schwierigkeit­en beschafft – unbekan­nt sind, aber sobald diese Lage sich ändert, tritt auch die Vorstel­lung von Eigen­tum regelmäßig auf. Wahrschein­lich beste­ht ein Zusam­men­hang mit der Aus­bil­dung ein­er Gesit­tung (Ehe- und Erbrecht) im genaueren Sinn. Jeden­falls ist die Entwick­lung eines Wirtschaft­slebens aus­geschlossen ohne gek­lärte Vorstel­lun­gen von Eigen­tum.

Deshalb gab es zwar Schwankun­gen in der Kul­turgeschichte bezüglich des Eigen­tum­srechts – vom alten Ägypten, das nur ein Obereigen­tum des Pharaos kan­nte, über den spar­tanis­chen Kos­mos mit sein­er egal­itären Verteilung des Landbe­sitzes, bis zur indi­vid­u­alka­p­i­tal­is­tis­chen Erwerb­s­ge­sellschaft angel­säch­sis­chen Musters – aber keine Ord­nung ohne eine Vorstel­lung von Eigen­tum.

Linke Gegenkonzepte, soweit sie nicht über­haupt auf eine Gle­ichverteilung (Gerechtigkeit) von Eigen­tum aus­ge­hen, wie das noch bei den radikalen Jakobin­ern der Fall war, wollen das Eigen­tum­srecht entwed­er auf ein Kollek­tiv (Genossen­schaften) oder den Staat über­tra­gen oder beschränken sich auf spezielle Aspek­te des Eigen­tums, etwa das Eigen­tum an Pro­duk­tion­s­mit­teln. Fak­tisch sind alle diese alter­na­tiv­en Wirtschafts- und Sozialord­nun­gen gescheit­ert, auch dann, wenn sie mit äußer­ster Bru­tal­ität durchge­set­zt wer­den soll­ten.

Das hat seine Ursache zum einen in der unre­al­is­tis­chen Annahme, daß Men­schen ohne Moti­va­tion durch Eigen­tum, den Erhalt, Erwerb oder die Ver­mehrung von Eigen­tum, Leis­tun­gen für die Gemein­schaft erbrin­gen. Zum anderen wird hier verkan­nt, daß der Besitz von Eigen­tum einen erzieherischen Wert hat – Eigen­tum lehrt Ver­ant­wor­tung – und daß Eigen­tum der beste Rück­halt für die Frei­heit des Indi­vidu­ums ist.

Die Beru­fung auf »Bil­dung und Besitz« zur Legit­i­ma­tion des Führungsanspruchs von Lib­eralen und Kon­ser­v­a­tiv­en hat­te hierin eben­so ihren Grund wie die Ablehnung, durch den Sozial­staat Massen von »Staat­srent­nern« her­anzuziehen, deren Loy­al­ität gegenüber den beste­hen­den Ver­hält­nis­sen nur in der Erwartung wurzelt, daß sie – die Eigen­tum­slosen – durch den Staat auf Dauer ali­men­tiert wür­den. Die Ent­deck­ung, daß die Durch­set­zung des »vor­mund­schaftlichen« Staates – egal welch­er Ver­fas­sung – solange unge­fährdet bleibt, solange er Ver­sorgung gewährleis­tet und umgekehrt, daß ohne Pri­vateigen­tum auch kein Frei­heits­be­wußt­sein entste­ht oder erhal­ten wer­den kann, ist durch die Erfahrun­gen des 20. Jahrhun­derts immer wieder bestätigt wor­den.

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Zitat:

Wie wir … gese­hen haben, ist der Schutz der physis­chen Per­son vor dem Neid und der Aggres­sion der kör­per­lich weniger Aus­geze­ich­neten auch eine Auf­gabe des per­sön­lichen Eigen­tums. Eine Gesellschaft, in der alle gle­ich wenig oder gle­ich viel Eigen­tum besäßen bzw. von Staats wegen zugeteilt erhiel­ten, wäre nicht etwa ein vom Neid ver­schontes Idyll, son­dern eine Hölle, in der kein­er sein­er Haut sich­er wäre.
Hel­mut Schoeck

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Lit­er­atur:

  • Friedrich August von Hayek: Die Ver­fas­sung der Frei­heit [1971], zulet­zt Tübin­gen 2005.
  • Gerd-Klaus Kaltenbrun­ner (Hrsg.): Kap­i­tal­is­mus. Nutzen und Moral, Herder­bücherei Ini­tia­tive, Bd 47, Freiburg i. Br. 1982.
  • Hel­mut Schoeck: Der Neid [1966], zulet­zt Frank­furt a. M. 1992.