Rothfels, Hans — Historiker, 1891–1976

Hans Roth­fels, geboren am  12. April 1891 in Kas­sel, gehörte zu den ein­flußre­ich­sten His­torik­ern der Nachkriegszeit. Das hat­te wesentlich damit zu tun, daß er, der auf Grund sein­er jüdis­chen Herkun­ft von den Nation­al­sozial­is­ten ver­trieben wor­den war, bald nach Kriegsende in die anges­tammte Heimat zurück­kehrte und einen geschicht­spoli­tis­chen Kurs ver­fol­gte, den viele West­deutsche unter­stützten. Bei aus­drück­lich­er Ablehnung des NS-Regimes wurde von ihm doch an der pos­i­tiv­en Wer­tung der nationalen Tra­di­tio­nen – ins­beson­dere der preußis­chen – fest­ge­hal­ten. Die von Roth­fels (wieder) veröf­fentlicht­en Büch­er zur Per­son und Poli­tik Bis­mar­cks dien­ten genau­so diesem Zweck wie die Vertei­di­gung des „Pri­mats der Außen­poli­tik“, die Beteili­gung an der großen Doku­men­ta­tion der Vertrei­bungsver­brechen im Auf­trag der Bun­desregierung oder das strik­te Fes­thal­ten am Ziel der Wiedervere­ini­gung. Man muß aber auch seine außeror­dentlich ver­bre­it­ete Arbeit mit dem Titel Die deutsche Oppo­si­tion gegen Hitler (zuerst 1949) in diesem Kon­text sehen, da sie let­ztlich auf eine Reha­bil­i­tierung abzielte, jeden­falls auf eine scharfe Zurück­weisung der Kollek­tivschuldthese.

Roth­fels Renom­mée, er über­nahm nicht nur 1950 – neben sein­er Pro­fes­sur in Chica­go — ein Ordi­nar­i­at an der Uni­ver­sität Tübin­gen, son­dern gehörte auch zu den Grün­dervätern des Insti­tuts für Zeit­geschichte, wurde erst nach seinem Tod in Frage gestellt. Das hat­te mit ein­er spez­i­fis­chen Form der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung zu tun, bei der es seit den neun­ziger Jahren immer stärk­er darum ging, auch diejeni­gen zu diskred­i­tieren, deren per­sön­liche und moralis­che Integrität bis dahin nie­mand in Zweifel gezo­gen hätte, zumal sie erkennbar keine Nation­al­sozial­is­ten gewe­sen waren. Im Fall Roth­fels bewahrten nicht ein­mal mehr die jüdis­che Herkun­ft, die Amtsver­drän­gung und die Tat­sache der Emi­gra­tion im Jahr 1939 vor der Anschuldigung, daß er zu den „Weg­bere­it­ern“, wenn nicht zu den „Mitschuldigen“ gehörte, daß es jeden­falls einen „Fall Roth­fels“ (Volk­er Ull­rich) gebe, den man zu disku­tieren habe.

Anhalt schienen solche Vor­würfe daran zu find­en, daß  Roth­fels, der, nach einem Studi­um der Geschichte und Philoso­phie in Hei­del­berg, bere­its 1926 Pro­fes­sor an der Uni­ver­sität Königs­berg gewor­den war, zu jen­er Mehrheit deutsch­er Hochschullehrer gehörte, die man besten­falls als „ver­nun­ftre­pub­likanisch“ beze­ich­nen kon­nte. Sich­er ging sein Wohlwollen nie so weit wie das seines Lehrers Friedrich Mei­necke, doch er bewun­derte Hin­den­burg und auch Stre­se­mann. Der Par­la­men­taris­mus überzeugte ihn allerd­ings so wenig wie das For­mat der Weimar­er Parteien. Auf Grund seines Alters gehörte er zur Front­gen­er­a­tion – als Frei­williger einge­zo­gen, war er noch im ersten Kriegs­jahr 1914 als Schw­erver­wun­de­ter aus dem Mil­itär­di­enst ent­lassen wor­den – und weltan­schaulich zu den Jungkon­ser­v­a­tiv­en, bei stark­er Ori­en­tierung an der Vorkrieg­sor­d­nung, die ihm dur­chaus als Mod­ell eines guten Staates erschien. Seine Überzeu­gung von der Fatal­ität des Ver­sailler Ver­trages ein­er­seits und sein his­torisches Inter­esse an der Geschichte Mit­teleu­ropas ander­er­seits bracht­en Roth­fels außer­dem früh zu der Ansicht, daß in diesem Teil des Kon­ti­nents die Schaf­fung homo­gen­er Nation­al­staat­en nach west­lichem Vor­bild unmöglich sei und man sich deshalb am „his­torischen Staat“ mit ein­er gemis­cht­en Bevölkerung ori­en­tieren solle. Daß solche Erwä­gun­gen in den zwanziger und dreißiger Jahren mit Diskus­sio­nen über das „Grenz- und Aus­lands­deutsch­tum“ wie der Erneuerung der „Reich­sidee“ zu tun hat­ten, war selb­stver­ständlich. Hin­weise darauf, daß Roth­fels wie andere Köpfe der kon­ser­v­a­tiv­en Intel­li­genz eine „Rev­o­lu­tion von rechts“ erhoffte, sich wahrschein­lich sog­ar etwas vom „nationalen Auf­bruch“ des Jahres ‘33 ver­sprach, gibt es genug, aber von ein­er Vor­weg­nahme der NS-„Raumpoli­tik“ kann deshalb trotz­dem nicht die Rede sein.

Hans Roth­fels ver­starb am 22. Juni 1976 in Tübin­gen.

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Zitat:

Wohl aber wird man im christlich geformten Men­schen­tum aller Beken­nt­nisse, wie ehe­dem während des Drit­ten Reich­es, den stärk­sten Wider­part gegen die Über­frem­dung … erhof­fen dür­fen, als eine Kraft, die nicht um unmit­tel­bar­er poli­tis­ch­er Wirkung willen, son­dern aus ihrem eigen­sten Auf­trag zugle­ich ein nation­alverbinden­des Ele­ment ist: Reli­gion in extrem­is als inner­liche Stütze und äußer­er Bewahrer der Nation­al­ität.

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Schriften:

  • Carl von Clause­witz. Poli­tik und Krieg. Eine ideengeschichtliche Studie, Berlin 1920
  • Stein und der deutsche Staats­gedanke, Königs­berg 1932
  • Bis­mar­ck und der Osten. Eine Studie zum Prob­lem des deutschen Nation­al­staats, Leipzig 1934
  • Ostraum, Preußen­tum und Reichs­gedanke, Leipzig 1935
  • 1848. Betra­ch­tun­gen im Abstand von hun­dert Jahren, Krefeld 1948
  • Die deutsche Oppo­si­tion gegen Hitler, Krefeld 1949
  • Gesellschafts­form und auswär­tige Poli­tik, Schloß Laupheim 1951
  • 700 Jahre Königs­berg, Duis­burg 1955

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Lit­er­atur:

  • Wolf­gang Benz/Hermann Graml (Hrsg.): Aspek­te deutsch­er Außen­poli­tik im 20. Jahrhun­dert. Auf­sätze Hans Roth­fels zum Gedenken, Stuttgart 1976
  • Wern­er Conze: Hans Roth­fels, in: His­torische Zeitschrift 237 (1983)
  • Jan Eck­el: Hans Roth­fels. Eine intellek­tuelle Biogra­phie im 20. Jahrhun­dert, Göt­tin­gen 2005
  • Wolf­gang Neuge­bauer: Roth­fels, Hans, in: Neue Deutsche Biogra­phie, Bd 22
  • Theodor Schieder: Hans Roth­fels zum 70. Geburt­stag am 12. April 1961, in: Viertel­jahreshefte für Zeit­geschichte 9 (1961)