Hans Rothfels, geboren am 12. April 1891 in Kassel, gehörte zu den einflußreichsten Historikern der Nachkriegszeit. Das hatte wesentlich damit zu tun, daß er, der auf Grund seiner jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten vertrieben worden war, bald nach Kriegsende in die angestammte Heimat zurückkehrte und einen geschichtspolitischen Kurs verfolgte, den viele Westdeutsche unterstützten. Bei ausdrücklicher Ablehnung des NS-Regimes wurde von ihm doch an der positiven Wertung der nationalen Traditionen – insbesondere der preußischen – festgehalten. Die von Rothfels (wieder) veröffentlichten Bücher zur Person und Politik Bismarcks dienten genauso diesem Zweck wie die Verteidigung des „Primats der Außenpolitik“, die Beteiligung an der großen Dokumentation der Vertreibungsverbrechen im Auftrag der Bundesregierung oder das strikte Festhalten am Ziel der Wiedervereinigung. Man muß aber auch seine außerordentlich verbreitete Arbeit mit dem Titel Die deutsche Opposition gegen Hitler (zuerst 1949) in diesem Kontext sehen, da sie letztlich auf eine Rehabilitierung abzielte, jedenfalls auf eine scharfe Zurückweisung der Kollektivschuldthese.
Rothfels Renommée, er übernahm nicht nur 1950 – neben seiner Professur in Chicago — ein Ordinariat an der Universität Tübingen, sondern gehörte auch zu den Gründervätern des Instituts für Zeitgeschichte, wurde erst nach seinem Tod in Frage gestellt. Das hatte mit einer spezifischen Form der Vergangenheitsbewältigung zu tun, bei der es seit den neunziger Jahren immer stärker darum ging, auch diejenigen zu diskreditieren, deren persönliche und moralische Integrität bis dahin niemand in Zweifel gezogen hätte, zumal sie erkennbar keine Nationalsozialisten gewesen waren. Im Fall Rothfels bewahrten nicht einmal mehr die jüdische Herkunft, die Amtsverdrängung und die Tatsache der Emigration im Jahr 1939 vor der Anschuldigung, daß er zu den „Wegbereitern“, wenn nicht zu den „Mitschuldigen“ gehörte, daß es jedenfalls einen „Fall Rothfels“ (Volker Ullrich) gebe, den man zu diskutieren habe.
Anhalt schienen solche Vorwürfe daran zu finden, daß Rothfels, der, nach einem Studium der Geschichte und Philosophie in Heidelberg, bereits 1926 Professor an der Universität Königsberg geworden war, zu jener Mehrheit deutscher Hochschullehrer gehörte, die man bestenfalls als „vernunftrepublikanisch“ bezeichnen konnte. Sicher ging sein Wohlwollen nie so weit wie das seines Lehrers Friedrich Meinecke, doch er bewunderte Hindenburg und auch Stresemann. Der Parlamentarismus überzeugte ihn allerdings so wenig wie das Format der Weimarer Parteien. Auf Grund seines Alters gehörte er zur Frontgeneration – als Freiwilliger eingezogen, war er noch im ersten Kriegsjahr 1914 als Schwerverwundeter aus dem Militärdienst entlassen worden – und weltanschaulich zu den Jungkonservativen, bei starker Orientierung an der Vorkriegsordnung, die ihm durchaus als Modell eines guten Staates erschien. Seine Überzeugung von der Fatalität des Versailler Vertrages einerseits und sein historisches Interesse an der Geschichte Mitteleuropas andererseits brachten Rothfels außerdem früh zu der Ansicht, daß in diesem Teil des Kontinents die Schaffung homogener Nationalstaaten nach westlichem Vorbild unmöglich sei und man sich deshalb am „historischen Staat“ mit einer gemischten Bevölkerung orientieren solle. Daß solche Erwägungen in den zwanziger und dreißiger Jahren mit Diskussionen über das „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ wie der Erneuerung der „Reichsidee“ zu tun hatten, war selbstverständlich. Hinweise darauf, daß Rothfels wie andere Köpfe der konservativen Intelligenz eine „Revolution von rechts“ erhoffte, sich wahrscheinlich sogar etwas vom „nationalen Aufbruch“ des Jahres ‘33 versprach, gibt es genug, aber von einer Vorwegnahme der NS-„Raumpolitik“ kann deshalb trotzdem nicht die Rede sein.
Hans Rothfels verstarb am 22. Juni 1976 in Tübingen.
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Zitat:
Wohl aber wird man im christlich geformten Menschentum aller Bekenntnisse, wie ehedem während des Dritten Reiches, den stärksten Widerpart gegen die Überfremdung … erhoffen dürfen, als eine Kraft, die nicht um unmittelbarer politischer Wirkung willen, sondern aus ihrem eigensten Auftrag zugleich ein nationalverbindendes Element ist: Religion in extremis als innerliche Stütze und äußerer Bewahrer der Nationalität.
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Schriften:
- Carl von Clausewitz. Politik und Krieg. Eine ideengeschichtliche Studie, Berlin 1920
- Stein und der deutsche Staatsgedanke, Königsberg 1932
- Bismarck und der Osten. Eine Studie zum Problem des deutschen Nationalstaats, Leipzig 1934
- Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke, Leipzig 1935
- 1848. Betrachtungen im Abstand von hundert Jahren, Krefeld 1948
- Die deutsche Opposition gegen Hitler, Krefeld 1949
- Gesellschaftsform und auswärtige Politik, Schloß Laupheim 1951
- 700 Jahre Königsberg, Duisburg 1955
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Literatur:
- Wolfgang Benz/Hermann Graml (Hrsg.): Aspekte deutscher Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Aufsätze Hans Rothfels zum Gedenken, Stuttgart 1976
- Werner Conze: Hans Rothfels, in: Historische Zeitschrift 237 (1983)
- Jan Eckel: Hans Rothfels. Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen 2005
- Wolfgang Neugebauer: Rothfels, Hans, in: Neue Deutsche Biographie, Bd 22
- Theodor Schieder: Hans Rothfels zum 70. Geburtstag am 12. April 1961, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 9 (1961)