Heimat ist ein sehr deutsches und deshalb in andere Sprachen nur schwer übersetzbares Wort. Im Germanischen bezeichnete heimod das eigene Besitztum an Haus und Hof. Heimat ist — nach einer Formulierung Herders — “da, wo ich mich nicht erklären muß”.
Das bedeutet, daß Heimat für das Individuum wie für die Gemeinschaft ein Ganzes aus Raumbezug, natürlichen wie kulturellen Gegebenheiten darstellt, in das man hineingeboren wird, in das man jedenfalls hineinwächst. Die enge Verknüpfung mit der Kindheit spielt eine wichtige Rolle, vor allem aber die “Poesie des Gewachsenen und Gewordenen” (Wilhelm Heinrich Riehl). Das alles erklärt weiter den starken gefühlsmäßigen Bezug, den Menschen im allgemeinen zu ihrer Heimat haben und die Probleme, die durch Heimatverlust entstehen oder beim Versuch, eine “zweite Heimat” zu finden.
Sicher hat das Heimatgefühl des Menschen eine Wurzel in der Territorialität unserer Spezies, das heißt der biologischen Neigung, einen bestimmten Raum als Eigentum zu betrachten und gegen jeden Eindringling zu verteidigen. Aber die Stärke und Differenziertheit der Emotionen, die sich mit der Heimat verbinden, ist dadurch nicht zu erklären. Hier wirken vor allem die lange Tradition der Seßhaftigkeit und der bäuerlichen Lebensweise nach. Die kulturelle Bestimmtheit von Heimat ist auch daran zu erkennen, daß sich die Gefühle durchaus auf verschiedene Lebenskreise beziehen können.
Das erklärt weiter, warum die mit der Industriellen Revolution einsetzende Mobilisierung der Menschen in Europa und die Zerstörung der ökologischen Systeme neben einer Umweltschutz- eine Heimatschutzbewegung entstehen ließen. Beide waren von Anfang an stark konservativ geprägt, was in der Sache selbst begründet lag, aber auch mit der Verschränkung mit konfessionellen oder volkserzieherischen Motiven zu tun hatte. Im Grunde ging die konservative Auffassung von Nation immer darauf aus, diese zur größeren Heimat werden zu lassen.
Umgekehrt haben Linke und Liberale “Heimat ” lange Zeit als Relikt betrachtet, als etwas, das im Zuge der Modernisierung zwangsläufig verschwinden werde und überhaupt wegen der Betonung von Herkommen und Bindung eine negative Wirkung auf die Menschen ausübe, die sich von solchen Beschränkungen tunlichst emanzipieren sollten.
Erst die unübersehbar negativen Begleiterscheinungen des technischen und wirtschaftlichen “Fortschritts” (Entwicklung) haben diese Argumentation fragwürdig werden lassen. Das erklärt, warum neben dem Regionalismus — der mit dem Bezug auf die Heimat gegen nationalstaatliche oder supranationale Integrationsprozesse argumentiert — auch die Diskussionen über “Multikulturalismus” sehr stark von dem Versuch dieser Seite geprägt waren, den Begriff der Heimat zu besetzen.
Ähnliches wird man für die seit den neunziger Jahren beobachtbaren wissenschaftlichen Bemühungen um die Rehabilitierung des Heimatbegriffs sagen können: Sie reichen von entsprechenden Vorschlägen der Kommunitaristen, bis zu einer expliziten “Philosophie der Heimat”, die vor allem auf Heidegger rekurriert.
Das ist eine bemerkenswerte Verschiebung gegenüber den Debatten der Nachkriegszeit, in denen die Bezugnahme auf Heimat mindestens als “reaktionär” oder als “faschistisch” verschrieen wurde. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die politischen Implikationen des Heimatbegriffs oft ausgeblendet werden, zugunsten einer illusionären Vorstellung von kleinteiligen, selbstorganisierten Welten oder einer Identität, die ohne klare Verortung auskommt, sondern diese als patchwork zusammensetzt. Der Tatbestand, daß jede angemessene Vorstellung von Heimat Dauer und Homogenität der Gemeinschaft und ihres Lebensraums voraussetzt, wird regelmäßig umgangen, man meidet ihn so wie den Sachverhalt, daß über Heimat nicht gesprochen werden kann, ohne einen Bezug auf die Anthropologie überhaupt.
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Zitate:
Solange das Gefühl, das sich Heimweh nennt, bei kleinen und großen Kindern — und wer ist schon hundertprozentig erwachsen — nicht ausstirbt, gibt es keinen vernünftigen Grund, das Wort Heimat aus der deutschen Sprache zu tilgen.Christoph TürckeBitte um eine gnädige Höhle,ein gütiges Versteck -Günter Kunert
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Literatur:
- Robert Ardrey: Adam und sein Revier. Der Mensch im Zwang des Territoriums [1968], zuletzt München 1984
- Karen Joisten: Philosophie der Heimat — Heimat der Philosophie, Berlin 2003
- Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hrsg.): Lob des Kleinstaates. Vom Sinn überschaubarer Lebensräume, Herderbücherei Initiative, Bd 32, Freiburg i.Br. 1979
- Edeltraud Klueting (Hrsg.): Antimodernismus und Reform. Beiträge zur Geschichte der deutschen Heimatbewegung, Darmstadt 1991
- Thomas Rohkrämer: Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933, Paderborn 1999
- Christoph Türcke: Heimat. Eine Rehabilitierung, Springe 2006