Held bezeichnet auch heute noch den hervorragenden Menschen, dessen Tat das erwartbare Maß an Tapferkeit übersteigt. Da solche Tapferkeit für gewöhnlich im Kampf gezeigt wird, ist das Verhältnis “post-heroischer” Gesellschaften zum Heldentum aber zwiespältig. Einerseits kann das Vorkommen von Held nicht bestritten werden, andererseits neigt man dazu, ihre Bedeutung unter Bezug auf pazifistische, utilitaristische oder hedonistische Argumente zu verkleinern. Im tiefsten geht es dabei immer um ein Ressentiment gegenüber dem Held, eben weil er das Gleichheitsdogma (Gerechtigkeit) durch Handeln und Sein in Frage stellt.
Die Haltung, die für die Gegenwart kennzeichnend ist, unterscheidet sich dramatisch von den Vorstellungen älterer Gesellschaftsformen. Das hat im wesentlichen drei Ursachen:
1. deren kriegerischen Charakter;
2. die Dominanz männlicher Wertvorstellungen (Geschlecht);
3. das Widerspiel von Schande und Ehre als Regulativ des Verhaltens.
Man kann diesen Zusammenhang beispielhaft an den griechischen Poleis der Antike ablesen, die nicht nur einen ausgesprochenen Heldenkult trieben, sondern im “Heros” mehr als einen überlegenen Krieger sahen; als Heroen wurden auch die halbgöttlichen Stifter der Gemeinschaften wie etwa Lykurg angesehen. Ihre Heldentat hatte darin bestanden, das Chaos — den schlimmsten aller Feinde — zu überwinden.
Bezeichenderweise läßt sich der griechische Begriff heros nicht ins Lateinische übersetzen, während das deutsche Wort “Held” durchaus als Äquivalent gelten kann. Für die Römer war die Disziplin des Kämpfers entscheidend, nicht dessen agonaler Einsatz oder die außergewöhnliche Tat. Demgegenüber spielte im griechischen wie im germanisch-deutschen Mythos der Held als einzelner — auch als tragisch scheiternder einzelner — die zentrale Rolle.
Das Christentum hat diese Vorstellungen zwar abgewandelt, aber die mittelalterliche Gesellschaft blieb durch die tragende Bedeutung ritterlich-aristokratischer Leitideen nachhaltig vom Gedanken des heldenhaften Lebens geprägt. Das war an den Motiven der Gralssage — einer genuinen religiösen Schöpfung des Abendlandes -, die immer wieder um die Bewährung des Helden kreiste, genauso zu erkennen wie an dem Konzept des “geistlichen” Kampfes, den der Kleriker, in gewissem Sinne aber auch jeder Laie zu führen hatte.
An der Vorbildlichkeit des Helden wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts kein prinzipieller Zweifel geäußert. Auch die revolutionären Kräfte der Zeit hatten sich ausdrücklich auf heroische Taten berufen und Heldenhaftigkeit von ihren Anhängern gefordert.
Allerdings stand dahinter doch die Vorstellung, daß durch solche Anstrengung ein gesellschaftlicher Zustand erreicht werden könnte, in dem sich das Heldentum erübrigte. Daß entsprechende Vorstellungen allmählich immer größeren Einfluß gewinnen würden, haben einige Beobachter des Zeitgeschehens — vor allem Thomas Carlyle, Friedrich Nietzsche und Georges Sorel — sehr früh erkannt. Sie waren der Überzeugung, daß die durch die Aufklärung eingeleitete Entwicklung zum Tod des großen Individuums führe und die Ideologie der Gleichheit schließlich einen Zustand erzeugen werde, in dem der Held als Typus unmöglich wäre.
Sie entwarfen dagegen eine “heroische Weltanschauung”, die einerseits auf das antike Erbe und den Genie-Kult der Klassik Bezug nehmen konnte, die aber doch praktischer und politischer gerichtet war, da sie darauf ausging, einen “Übermenschen” vorzubereiten, der alle Eigenschaften eines Helden in sich vereinigt hätte.
Obwohl dieses Projekt erheblichen Einfluß auf die europäische Intelligenz ausübte, wurde seine Wirkung durch den Mißbrauch in den totalitären Regimen und die Furchtbarkeit des Krieges im 20. Jahrhundert konterkariert. Vor allem in Deutschland glaubte man nach 1945 ohne Helden auskommen zu können. Diese Vorstellung wurde indes korrigiert durch die neuerlichen Erfahrungen mit der Realität des Krieges. Seit einiger Zeit gibt es wieder eine wachsende Zahl von Stimmen, die eine Rückbesinnung auch auf den Helden als militärisches Vorbild verlangen und einen Kult der Feigheit und der Desertion als Ausweis von Dekadenz ansehen.
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Jede Verwundung des natürlichen Seins ist auf den Tod hin. So nährt sich aus der Todesbereitschaft wie aus seiner tiefsten Wurzel jedes tapfere Tun, mag es, von außen gesehen noch so weit entfernt scheinen selbst von jeglichem Gedanken an den Tod. Eine “Tapferkeit”, die nicht hinabreicht bis in die Tiefe der Bereitschaft, zu fallen, ist in der Wurzel verdorben und ohne Wirklichkeitsmacht.Achilleus wiederzubeleben wird uns nicht gelingen. Aber ab und zu an ihn zu denken, als an ein reinigendes Ideal — das könnte hilfreich sein.Joachim Latacz
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Literatur:
- Jürgen Busche: Heldenprüfung, Stuttgart 2004
- Thomas Carlyle: Über Helden und Heldenverehrung in der Geschichte [1841], zuletzt St. Gallen 2001
- “Heldengedenken” — Sonderheft der Zeitschrift Merkur 63 (2009) 724/725
- Joachim Latacz: Achilleus. Wandlungen eines europäischen Heldenbildes, Lectio Teubneriana, Bd III, Stuttgart und Leipzig 1995