Diwald, Hellmut, Historiker, 1924–1993

Hell­mut Diwald wurde am 13. August im mährischen Schat­tau geboren. In der üblichen Betra­ch­tung der Dinge erscheinen Men­sch und Werk reduziert auf ein einziges Buch: die Geschichte der Deutschen. 1979 erschienen, hat­te dieser Band eine uner­wartete – auch für den Autor uner­wartete – Wirkung. Denn es mochte zwar der Fach­welt störend erscheinen, daß ein His­torik­er »gegenchro­nol­o­gisch« vorg­ing, also die Entwick­lung vom Ist-Stand her rück­wärts erzählte, aber davon abge­se­hen, bot der Text wenig Anstößiges.

Nicht ein­mal die Bemerkun­gen Diwalds zur Zeit­geschichte bzw. Zeit­geschichts­forschung, vor allem die Behaup­tung, daß diese in der Bun­desre­pub­lik poli­tis­ch­er Kura­tel unter­wor­fen sei, hät­ten zur Skan­dal­isierung aus­gere­icht. Dazu bedurfte es der Bezug­nahme auf seine These, daß die Ver­nich­tung der europäis­chen Juden weniger ein sys­tem­a­tisch geplanter Akt der NS-Führung als vielmehr ein unter extremen Kriegs­be­din­gun­gen zus­tande gekommenes Massen­ver­brechen gewe­sen sei. Das allerd­ings klang in den Ohren der ger­ade etablierten Zen­soren unerträglich.

Abge­se­hen von ein­er starken Min­der­heit, für die Diwalds Buch maßge­bliche Bedeu­tung gewann, fol­gte die Öffentlichkeit deren Urteil auf Basis der geschicht­spoli­tis­chen Sicht, die nach 19€™68 einge­führt wurde, aber erst mit dem durch­schla­gen­den Erfolg der Fernsehserie »Holo­caust« (1978) so befes­tigt war, daß nie­mand mehr opponieren durfte, es sei denn um den Preis der öffentlichen Äch­tung.

Daß Diwald sich dieser Gefahr bewußt war, darf man bezweifeln. Seine Bekan­ntheit reichte zwar deut­lich über die Kreise der Zun­ft hin­aus, er galt aber doch zuerst als Wis­senschaftler. In Süd­mähren aufgewach­sen, stammte er aus ein­er »Mis­chehe« zwis­chen einem öster­re­ichis­chen Vater und ein­er tschechis­chen Mut­ter, kam 1938 mit sein­er Fam­i­lie nach Nürn­berg und nahm als Sol­dat am Zweit­en Weltkrieg teil. Nach dem Zusam­men­bruch absolvierte Diwald zuerst ein Studi­um des Maschi­nen­baus, das er 1947 in Nürn­berg abschloß, danach wech­selte er an die Uni­ver­sitäten Ham­burg und Erlan­gen, um Philoso­phie, Ger­man­is­tik und Geschichte zu studieren. In Erlan­gen kam er in den Bannkreis des kon­ser­v­a­tiv­en His­torik­ers Hans-Joachim Schoeps, bei dem er 1952 mit ein­er Arbeit über den »Geschicht­sre­al­is­mus« des 19. Jahrhun­derts pro­moviert wurde.

Allerd­ings trat Diwald selb­st in der Fol­gezeit nicht poli­tisch her­vor. Vielmehr über­nahm er 1965 in Erlan­gen einen Lehrstuhl für Mit­tlere und Neuere Geschichte und legte seinen Forschungss­chw­er­punkt auf die frühe Neuzeit; eine gewisse Promi­nenz erlangten seine Arbeit­en über Wal­len­stein und der Ein­leitungs­band zur »Propy­läen Geschichte Europas«, der die Renais­sance und das Zeital­ter der Ref­or­ma­tion behan­delte.

Hinzu kam weit­er, daß Diwald sich kaum als »Kon­ser­v­a­tiv­er« gese­hen hätte, eher als »Nationaler«. Das war beson­ders deut­lich an seinem ersten, im genaueren Sinn poli­tis­chen Buch erkennbar, das 1970 unter dem Ein­druck der Neuen Ost­poli­tik geschrieben wurde und den Titel Die Anerken­nung trug. Mit »Anerken­nung« war ein­er­seits die fak­tis­che Anerken­nung der DDR durch die Bun­desre­pub­lik gemeint, ander­er­seits die Anerken­nung der Oder-Neiße-Lin­ie und damit der Ver­lust Ost­deutsch­lands. Bemerkenswert­er­weise war das Buch aber kein Gen­er­alan­griff auf die »Verzichtler« in der sozial­lib­eralen Koali­tion, son­dern eine bit­tere Abrech­nung mit den Deutschen der Nachkriegszeit über­haupt.

Daß Diwald den Satz im let­zten Abschnitt des Buch­es – »Die “Deutsche Nation” ist schon lange zu Grabe getra­gen« – nicht als Fest­stel­lung, son­dern als Pro­voka­tion meinte, um der leblosen Nation wieder Leben einzu­flößen, ste­ht außer Frage. Man kann das auch der Tat­sache ent­nehmen, daß er zeit­gle­ich einen Vor­trag über Ernst Moritz Arndt hielt, der in ein­er den dama­li­gen Zeit­geist mas­siv irri­tieren­den Weise das Loblied des großen Nation­alpäd­a­gogen sang. Als Nation­alpäd­a­goge hat sich auch Diwald ver­standen und das je länger je mehr. Seine Präsenz im ein­flußre­ich wer­den­den Fernse­hen nutzte er entsprechend, aber auch seine bre­it­en pub­lizis­tis­chen Möglichkeit­en in der Tages- und Wochen­presse.

Entschei­dend war aber die Geschichte der Deutschen, die er als das Mit­tel betra­chtete, den Deutschen mit der Geschichts- auch die Nationsvergessen­heit auszutreiben. Daß Diwald an dieser Zielset­zung trotz der Hex­en­jagd, die man gegen ihn eröffnete, nicht irre wurde, war der Tat­sache zu ver­danken, daß es dur­chaus noch Wider­stand­szen­tren gab, daß seine Isolierung erst mit ein­er gewis­sen Ver­spä­tung griff und es ihm sein Charak­ter gebot, das ein­mal als richtig Erkan­nte mit allen gebote­nen Mit­teln zu vertei­di­gen. Dabei stand ihm nicht nur eine ungewöhn­liche schrift­stel­lerische Begabung zur Ver­fü­gung, son­dern auch eine Nei­gung zur Verdich­tung, wenn nicht Vere­in­fachung, die es erlaubte, den Deutschen in einzel­nen Fig­uren – vor allem Hein­rich I. und Luther – jene Heroen zurück­zugeben, die sie seit 1945 ent­behrten.

Es ist unbe­stre­it­bar, daß Diwald dabei immer wieder die Gren­zen der Wis­senschaft über­schrit­ten hat und daß ihn das angesichts der Böswilligkeit viel­er Kol­le­gen und der Medi­en­mächti­gen immer weniger küm­merte. Fest ste­ht aber auch, daß er zu den wirk­sam­sten poli­tis­chen Autoren der Nachkriegszeit gehörte. Als Diwald nach schw­er­er Krankheit  am 26. Mai 1993 im Alter von nur 69 Jahren in Würzburg starb, zeigte sich noch ein­mal das Poten­tial der Beun­ruhi­gung, das er verkör­perte. Nach­dem ihm Gus­tav Seibt in der FAZ einen Nachruf gewid­met hat­te, der den Namen nicht ver­di­ente, zeigte wenig­stens ein­er der Kol­le­gen Diwalds – Karl H. Metz – den Mut, das Urteil zu fällen, das für die Masse sein­er Geg­n­er gilt: »Es gibt For­men der Verächtlichkeit, die sel­ber verächtlich machen.«

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Zitat:

Die Geschichtss­chrei­bung legt sich selb­st den Strick um den Hals, wenn sie Schuld­beken­nt­nisse vor die Über­prü­fung his­torisch­er Fak­ten stellt.

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Schriften:

  • Wil­helm Dilthey. Erken­nt­nis­the­o­rie und Philoso­phie der Geschichte, Göt­tin­gen 1963
  • Wal­len­stein. Eine Biogra­phie, München/Esslingen 1969
  • Ernst Moritz Arndt. Das Entste­hen des deutschen Nation­al­be­wußt­seins, München 1970
  • Die Anerken­nung. Bericht zur Klage der Nation, München/Esslingen 1970
  • Anspruch auf Mündigkeit, Propy­läen Geschichte Europas, Bd. 1, 1400–1555, Frank­furt a. M./Berlin/Wien 1975
  • Geschichte der Deutschen, Frank­furt a. M./Berlin/Wien 1978
  • Der Kampf um die Welt­meere, München/Zürich 1980
  • Luther. Eine Biogra­phie, Ber­gisch Glad­bach 1982
  • Die Erben Posei­dons. Seemacht­poli­tik im 20. Jahrhun­dert, München 1984
  • Hein­rich der Erste. Die Grün­dung des Deutschen Reichs, Ber­gisch Glad­bach 1987
  • Deutsch­land einig Vater­land. Geschichte unser­er Gegen­wart, Frank­furt a. M./Berlin 1990

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Lit­er­atur:

  • Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.): Hell­mut Diwald – sein Ver­mächt­nis für Deutsch­land, sein Mut zur Geschichte, Tübin­gen 1994