Herrschaft

Herrschaft bedeutet die dauer­hafte Ausübung von Macht, “Macht bedeutet jede Chance, inner­halb ein­er sozialen Beziehung den eige­nen Willen auch gegen Wider­streben durchzuset­zen, gle­ichviel worauf diese Chance beruht” (Max Weber). Ohne Zweifel ist Herrschaft ein Urphänomen men­schlich­er Gemein­schafts­bil­dung und hängt mit der notwendi­gen Gliederung und dem damit ver­bun­de­nen Macht­ge­fälle zwis­chen den Indi­viduen schon in kleinen Grup­pen zusam­men. Allerd­ings ist die dauer­hafte Ausübung von Herrschaft an bes­timmte Bedin­gun­gen geknüpft, die in prim­i­tiv­en Sozial­for­men noch nicht gegeben sind. Eine ver­gle­ichende Unter­suchung vorstaatlich­er und staatlich­er Organ­i­sa­tio­nen zeigt jeden­falls, daß die Sta­bil­isierung von Herrschaft nur dann möglich ist, wenn eine kom­plexere Kul­tur (Seßhaftigkeit, Arbeit­steilung, kon­tinuier­liche Tra­di­tions­bil­dung, am besten mit Hil­fe der Schrift) voraus­ge­set­zt wer­den kann.
Wenn auf­grund dessen die Linke immer wieder ein “herrschafts­freies” Zeital­ter am Beginn behauptet hat und behauptet und noch alle Gesellschaftsver­trags­the­o­rien von einem “Urlib­er­al­is­mus” (Bernd Mar­quardt) aus­ge­hen, in dem nie­mand jeman­dem befehlen kon­nte, wird doch festzuhal­ten sein, daß die Herrschaft in der Horde vielle­icht eine insta­bile oder nur von Fall zu Fall aktu­al­isierte war, daß aber das völ­lige Fehlen von Herrschaft deshalb nicht angenom­men wer­den darf; sie äußerte sich wahrschein­lich nur in der selb­stver­ständlichen Befehls­ge­walt des Mannes gegenüber der Frau, des Vaters gegenüber der Fam­i­lie, des Stärk­eren gegenüber den Schwächeren.
 
Die spätere Dif­feren­zierung hat­te sich aber nur angedeutet, die Max Weber dazu brachte, drei For­men “legit­imer” Herrschaft­sausübung zu unter­schei­den: die tra­di­tionale, die auf über­liefer­ungs­bes­timmter Anerken­nung beruht, die charis­ma­tis­che, die nur die Aus­nah­meper­sön­lichkeit wegen ihrer “Gabe” zu üben ver­mag oder die — dann allerd­ings abgeschwächt — auf dem Amtscharis­ma des einzel­nen oder ein­er Elite beruht, und die ratio­nale, die sich über dauernde Ver­wal­tungsak­te sta­bil­isiert. In diesen Herrschafts­for­men, so Weber, gelinge es, die Ausübung von Macht auf Dauer zu stellen und mit­tels Insti­tu­tio­nen jenen Ord­nungs­grad zu erre­ichen, der über­haupt erst die Bil­dung eines Staates im genauen Sinn möglich macht.
 
Hel­mut Schel­sky hat einge­wandt, daß in dieser Herrschaftssozi­olo­gie zwei wesentliche Aspek­te fehlten:
1. die Klärung der Motive der Herrschen­den
2. die Unter­suchung jen­er Macht­mit­tel, die den Beherrscht­en trotz beste­hen­der Herrschaft blieben.
 
Was den ersten Aspekt bet­rifft, so wird man der von Weber nahegelegten Vorstel­lung, alle Herrschaft tendiere im Zuge des Mod­ernisierung­sprozess­es zur ratio­nalen Form, den Hin­weis auf das hohe Maß an Irra­tional­ität in der Herrschaft­sausübung und im Selb­stver­ständ­nis der Herrschen­den ent­ge­gen­hal­ten müssen; die mod­erne “Mediokratie” zeigt jeden­falls, wie Schel­sky zu beto­nen nicht müde wurde, ein erstaunlich­es Maß an Ähn­lichkeit mit eigentlich über­wun­den geglaubten For­men der Priester­herrschaft.
 
In bezug auf den zweit­en Aspekt ist ein Ver­weis auf Hegels berühmtes Kapi­tel in der Phänom­e­nolo­gie des Geistes zum Ver­hält­nis von “Herr” und “Knecht” wichtig, das die Analyse des erstaunlichen Sachver­halts enthält, daß die Geschichte zulet­zt nicht vom Her­rn, son­dern vom Knecht vor­angetrieben wird. Allerd­ings entste­hen dadurch — ent­ge­gen allen pro­gres­siv­en Träu­men — keine Möglichkeit­en zur Schaf­fung “herrschafts­freier” Ver­hält­nisse, son­dern immer nur andere — keineswegs notwendig bessere — For­men von Herrschaft
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Zitate:
Kein Wun­der, daß seit Jahren ein welt­poli­tis­ches Gefälle im Sinne des Mythos von Herr und Knecht ent­standen ist, wenn selb­st diejeni­gen, gegen die er sich richtet und denen er das Wass­er abgräbt, sich zu seinen Ver­bre­it­ern aufge­wor­fen haben.
 
Warum, meinest Du, daß jet­zt die Welt so voll Untreue, Schande, Jam­mer und Mord ist? Weil jed­er­mann sein eigen­er Herr sein und nie­mand über sich haben will, auf nie­mand etwas geben und alles tun will, was ihn gelüstet! Darum strafe Gott einen Buben mit dem andern, daß, wo Du Deinen Her­rn betrügst oder ver­acht­est, ein ander­er komme, der Dir wieder so mit­spiele, ja so, daß Du in Deinem Haus von Weib, Kind oder Gesinde zehn­mal mehr lei­den müss­est.
Mar­tin Luther
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Lit­er­atur: