Markt

Markt beze­ich­net grund­sät­zlich jeden Ort, an dem Waren aus­ge­tauscht wer­den und es Käufer und Verkäufer geben kann. Tauschbarkeit set­zt die Annahme von Gle­ich­w­er­tigkeit ver­schieden­er Ange­bote voraus. Das Grund­konzept des mark­t­för­mi­gen Ver­hal­tens gehört zu den ältesten Arten zwis­chen­men­schlich­er Beziehung. Ein Markt im Sinn entwick­el­ter Ökonomie kon­nte sich allerd­ings erst aus­bilden, nach­dem eine gewisse Sied­lungs­dichte erre­icht und Verkehrsmöglichkeit­en geschaf­fen waren und Über­schüsse den Aufwand recht­fer­tigten, weit­er ent­fer­nte Han­delspart­ner aufzusuchen. Dieser Punkt wurde vor etwa fün­f­tausend Jahren erre­icht.

Das bedeutet auch, daß eine sta­bile poli­tis­che Ord­nung und Markt etwa zeit­gle­ich ent­standen. Das Ver­hält­nis zwis­chen bei­den war allerd­ings von Anfang an ges­pan­nt. Ein­er­seits kon­nte die Poli­tik die Entste­hung von Märk­ten fördern, in jedem Fall die dort gel­tenden Bedin­gun­gen kon­trol­lieren und auch selb­st als Akteur auftreten, um von der Exis­tenz eines Mark­tes zu prof­i­tieren. Ander­er­seits gab es früh eine Eigen­dy­namik des Mark­tes, der Aus­tausch von Käufer und Verkäufer erschien selb­st­sta­bil­isierend und von seit­en der den Markt kon­trol­lieren­den Grup­pen wurde ein Mach­tanspruch for­muliert, der dem des poli­tis­chen Sys­tems ent­ge­gen­stand.

Dieser latente Kon­flikt zwis­chen Markt und Poli­tik hat sich als unaufheb­bar erwiesen. Das hängt vor allem mit der »Het­eronomie« (Rolf Peter Siefer­le) des Mark­tes zusam­men, der im freien Spiel der Kräfte Ergeb­nisse her­vor­ruft, die kaum voll­ständig abzuse­hen sind. Im Ide­al­fall ist der Markt ein paz­i­fiziert­er, macht­freier Raum, in dem alles über das Spiel von Ange­bot und Nach­frage geregelt wird. Dage­gen zielt die Poli­tik auf gewollte Ord­nungsstruk­turen und deren dauernde Kon­trolle, was automa­tisch zu Miß­trauen gegenüber der Autonomieforderung des Mark­tes führen muß.

In der Kon­se­quenz hat es wed­er poli­tis­che Sys­teme gegeben, die sich dauer­haft hal­ten kon­nten, ohne dem Markt gewisse Konzes­sio­nen zu machen, noch Märk­te, denen es gelun­gen wäre, sich von jedem poli­tis­chen Ein­fluß freizuhal­ten. Mod­elle, die eine voll­ständi­ge Unterord­nung der Ökonomie unter die poli­tis­chen, vor allem mil­itärischen Belange durchzuset­zen sucht­en – vom spar­tanis­chen Kos­mos bis zum Sow­jet­sys­tem – sind allerd­ings deut­lich­er gescheit­ert, wohinge­gen das in erster Lin­ie von Lib­eralen propagierte Sys­tem der freien Mark­twirtschaft – im Eng­land des 19. Jahrhun­derts und der Thatch­er-Ära oder im Chile Pinochets – nur in Aus­nah­me­fällen, nur kurzzeit­ig und nur annäh­ernd zu ver­wirk­lichen war.

Das hat­te seinen Grund ein­mal in ethis­chen Vor­be­hal­ten gegenüber der unge­hemmten Ent­fal­tung der Mark­tkräfte, aber auch in den Neben­fol­gen des Konzepts, vor allem der steigen­den gesellschaftlichen Desin­te­gra­tion oder der zunehmenden Belas­tung der Umwelt, die durch die Geset­ze des Mark­tes nicht zu kor­rigieren waren.

Am erfol­gre­ich­sten erwiesen sich let­ztlich Sys­teme, die auf einen gewis­sen Aus­gle­ich zwis­chen den Ansprüchen von Markt und Poli­tik set­zten, vom Bis­mar­ckschen Sozial­staat bis zum »rheinis­chen Kap­i­tal­is­mus« oder Ordolib­er­al­is­mus. Indes zeigen auch diese im Lauf der Zeit Degen­er­a­tionser­schei­n­un­gen, die vor allem darauf zurück­zuführen sind, daß die poli­tis­che Ord­nung zur kon­se­quenten Aus­beu­tung der pro­duk­tiv­en Schicht­en neigt, um die Unpro­duk­tiv­en bei Laune zu hal­ten und inner­halb eines demokratis­chen Sys­tems deren Loy­al­ität zu erkaufen.

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Zitate:

Es ist bis­lang konkur­ren­z­los, wed­er Total­i­taris­mus noch Theokratie bracht­en etwas Besseres zum Wohl der größt­möglichen Zahl zus­tande als dieses Sys­tem der abgezweck­ten Frei­heit­en. Natür­lich gilt das nur solange, als wir davon überzeugt sind, daß allein der ökonomis­che Erfolg die Massen formt, bindet und erhellt.
Botho Strauß

Voll aus­ge­baute Steuer­staat­en reklamieren jedes Jahr die Hälfte aller Wirtschaft­ser­folge ihrer pro­duk­tiv­en Schicht­en für den Fiskus, ohne daß die Betrof­fe­nen zu der plau­si­bel­sten Reak­tion darauf, dem antifiskalis­chen Bürg­erkrieg, ihre Zuflucht nehmen. Dies ist ein poli­tis­ches Dres­sur­ergeb­nis, das jeden Finanzmin­is­ter des Abso­lutismus vor Neid hätte erblassen lassen.
Peter Slo­ter­dijk

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Lit­er­atur:

  • Roland Baad­er: Geld, Gold und Gottspiel­er, München 2004
  • Roland Baad­er: Wider die Wohlfahrts­dik­tatur. Zehn lib­erale Stim­men, München 1995
  • Hel­ga Bre­uninger und Rolf Peter Siefer­le (Hrsg.): Markt und Macht in der Geschichte, Stuttgart 1995
  • Jür­gen Elsäss­er: Nation­al­staat und Glob­al­isierung, Wal­trop 2009
  • Joseph Schum­peter: Kap­i­tal­is­mus, Sozial­is­mus und Demokratie [1942/1946], zulet­zt Tübin­gen 2005