Reaktion

Reak­tion ist ein Begriff, der ähn­lich wie »Kon­ter-« beziehungsweise »Gegen­rev­o­lu­tion« auf die Vorstel­lung ver­weist, daß der Ablauf der Geschichte, der auf Emanzi­pa­tion zielt, aufge­hal­ten und umgekehrt wer­den kann, durch eine Bewe­gung, die der Aktion durch eine Reak­tion begeg­net, sie zum Still­stand bringt und dann sog­ar ermöglicht, einen sta­tus quo ante wieder­herzustellen.

Entsprechende Vorstel­lun­gen haben in allen rev­o­lu­tionären Epochen eine wichtige Rolle gespielt. Das gilt sog­ar für die Antike, etwa in Gestalt der oli­garchis­chen Parteien der griechis­chen poleis, die die Demokratie zurück­drän­gen woll­ten, oder der Opti­mat­en, die auf eine Restau­ra­tion der römis­chen Repub­lik aus waren, obwohl der Ver­fall ihrer Insti­tu­tio­nen das im Grunde schon nicht mehr zuließ. Klar­er erkennbar trat die Reak­tion im Zusam­men­hang der englis­chen Rev­o­lu­tion auf, die mit der Wieder­her­stel­lung der Monar­chie und der Stu­art-Dynas­tie sog­ar ein Mod­ell für jede Art reak­tionär­er Poli­tik bot.

An dem ori­en­tierte sich vor allem ein Teil der franzö­sis­chen Recht­en nach der Rev­o­lu­tion von 1789, ohne doch ver­gle­ich­bare Erfol­gschan­cen zu haben. Das zeigte sich im Zusam­men­hang des Wiener Kon­gress­es, dessen restau­ra­tive Pro­gram­matik doch keine Reak­tion im eigentlichen Sinn erlaubte. In Frankre­ich gab es allerd­ings bis zum Beginn des 20. Jahrhun­derts die Hoff­nung der Intran­si­gen­ten, daß ein »Gen­er­al Mon­ck« (so der Name des repub­likanis­chen Gen­er­als, der den Prä­ten­den­ten Karl II. 1660 wieder auf den englis­chen Thron geset­zt hat­te) auftreten und eine Wieder­her­stel­lung der franzö­sis­chen Monar­chie mit Zügen des Ancien régime ermöglichen würde.

Seit dem Ersten Weltkrieg hat die Verän­derung der poli­tis­chen und gesellschaftlichen Lage alle Ver­suche zur Reak­tion erledigt. So hat die Hal­tung des Reak­tionärs nur noch einen gewis­sen Reiz für die Lit­er­atur, was man an so ver­schiede­nen Autoren wie Gilbert Kei­th Chester­ton, Gon­zague de Reynold, Erik von Kuehnelt-Led­di­hn, Jean Ras­pail oder Nicolás Gómez Dávi­la gle­icher­maßen erken­nen kann.

Man wird von deren – dem Ursprung doch nahe gebliebe­nen – Ver­ständ­nis des Begriffs Reak­tion einen anderen unter­schei­den müssen, der sich zwar gele­gentlich auch reak­tionär gibt, aber im Grunde doch nicht an ein Zurück denkt, son­dern die his­torische Entwick­lung als solche in Frage stellt, um eine Alter­na­tive anzu­bi­eten, die aber eine Vorwärts‑, keine Rück­wärt­sen­twick­lung bedeuten würde.

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Zitate:

Das kom­mende Jahrhun­dert wird die Män­ner­welt in einen Zwang nehmen, vor eine Entschei­dung stellen, vor der es kein Auswe­ichen und keine Emi­gra­tion gibt, es wird nur noch zwei Typen, zwei Kon­sti­tu­tio­nen, zwei Reak­tions­for­men zulassen: diejeni­gen, die han­deln und hoch wollen, und diejeni­gen, die schweigend die Ver­wand­lung erwarten, die Geschichtlichen und die Tiefen, Ver­brech­er und Mönche – und ich plädierte für die schwarzen Kut­ten.
Got­tfried Benn

Es heißt immer, man könne die Uhren nicht zurück­drehen. Aber wenn sie falsch gehen, kann man genau das machen: sie zurück­drehen.
Gilbert Kei­th Chester­ton

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Lit­er­atur:

  • Nicolás Gómez Dávi­la: Aufze­ich­nun­gen des Besiegten [1992], zulet­zt Wien 1994
  • Nicolás Gómez Dávi­la: Auf ver­loren­em Posten [1986/1992], zulet­zt Wien 2006
  • Gerd-Klaus Kaltenbrun­ner: Was ist reak­tionär? Zur Dialek­tik von Fortschritt und Rückschritt, Herder­bücherei Ini­tia­tive, Bd 14, Freiburg i.Br. 1976
  • Erik von Kuehnelt-Led­di­hn: Die falsch gestell­ten Weichen. Der rote Faden 1789–1984 [1985], zulet­zt Wien 1989
  • Jean Ras­pail: Sire, Bonn 2005
  • Gon­zague de Reynold: Europas Ein­heit. Jerusalem, Griechen­land, Rom, München 1961