Roman Schnur gehörte zu den profiliertesten und originellsten Vertretern der Staatsrechtslehre der ersten Jahrzehnte der Bundesrepublik Deutschland. Seine besonderen Interessen galten der Verwaltungsorganisation und –reform, der europäischen Staatsphilosophie der Neuzeit zwischen Macchiavelli, Bodin und Hobbes sowie insbesondere dem Werk von Carl Schmitt. An der Rezeption von Schmitt in der Bundesrepublik hatte Schnur entscheidenden Anteil. Ein großes Interesse galt der Verfassungsgeschichte Frankreichs und Polens sowie der politischen Ideengeschichte dieser Länder.
Der Sohn eines katholischen Volksschullehrers aus dem Saarland, geboren am 21. Oktober 1927, wurde im Zweiten Weltkrieg noch als Luftwaffenhelfer eingesetzt und mußte nach Kriegsende zunächst die Abiturprüfung nachholen. Ab 1947 studierte er Rechtswissenschaften an der von der französischen Besatzungsmacht neugegründeten Universität Mainz. Die Promotion über die Geschichte des ersten Rheinbundes von 1658 erfolgte 1953 bei dem Rechtshistoriker Karl Siegfried Bader. Anschließend wurde er unter dem Rechtsphilosophen Theodor Viehweg Redakteur für „Politische Philosophie“ der Zeitschrift Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (ARSP) und zugleich „Hilfsassistent“ in Mainz. Seit 1951 stand er mit dem damals noch weitgehend gemiedenen Carl Schmitt in Kontakt und gehörte bald zu dessen engeren Schülern. Schnurs Vetter Ernst Schilly war 1943/44 Schmitts Nachbar in Berlin-Schlachtensee und hatte diesen auf Schmitts „Verfassungslehre“ aufmerksam gemacht. Daneben bildete Schnur bereits in dieser Zeit europäische Netzwerke, etwa zu Reinhart Koselleck in Heidelberg und Alexandre Kojève in Paris.
1956 wurde Schnur Assistent von Carl-Hermann Ule, eines Schülers von Otto Koellreutter, an der Verwaltungshochschule Speyer. 1957 wurde eine Habilitation bei dem in Heidelberg lehrenden Schmitt-Schüler Ernst Forsthoff vereinbart. 1961 erfolgte die Habilitation für Öffentliches Recht in Heidelberg über den Gesetzesbegriff. Mit dem damals in Heidelberg lehrenden Ernst-Wolfgang Böckenförde gehörte Schnur 1962 zu den Gründern der wiederum Carl Schmitt besonders verpflichteten Zeitschrift Der Staat. Als geschäftsführender Herausgeber schrieb Schnur wenig später an Carl Schmitt, unter den Herausgebern (Werner Weber, Hans-Julius Wolff, Gerhard Oestreich) sei „weder ein Linker, ein Rechthaber noch ein Spätsieger“. Seit 1961 war Schnur unter Ministerpräsident Peter Altmeier in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei als Regierungsrat beschäftigt; er galt als Fachmann der Verwaltungsreform. 1965 wurde Schnur an die wenige Jahre zuvor gegründete Ruhr-Universität Bochum berufen, um mit einem Lehrauftrag für Politische Wissenschaft einen Studiengang für Verwaltungswissenschaft zu begründen. 1968 wurde Schnur als Nachfolger von Fritz Morstein Marx auf den Lehrstuhl für Vergleichende Verwaltungswissenschaft und Öffentliches Recht berufen. 1972 wechselte er erneut auf den Lehrstuhl für Öffentliches Recht in Tübingen, das bis zuletzt den Mittelpunkt seines Wirkens bilden sollte.
Das Werk von Schnur ist ausgesprochen vielseitig. Neben eher technokratischen Veröffentlichungen zur Verwaltunsglehre und –reform stehen Grundlagenforschungen zur Staatstheorie und ihrer Geschichte mit einem besonderen Schwerpunkt auf Frankreich, darunter etwa auch ein Quellenband zur Erklärung der Geschichte der Menschen- und Bürgerrechte. Hervorzuheben ist seine vielleicht wichtigste Rolle als Garant eines konservativen Netzwerkes. Er war der führende Vertreter der ersten bundesdeutschen Schülergeneration von Carl Schmitt und setzte sich für dessen Rezeption ein, so als Herausgeber und Redakteur von Zeitschriften oder der ersten (umstrittenen) Festschrift für Carl Schmitt. Neben zahlreichen Besuchen in Plettenberg und den dabei geführten „Gesprächen in der Sicherheit des Schweigens“ (Dirk van Laak) ist ein umfangreicher Briefwechsel überliefert. Als sichtbares Publikationsorgan des von Schnur beförderten Netzwerkes, zu dem auch die Staatsrechtslehrer Helmut Quaritsch und Ernst Forsthoff gehörten, galt die Zeitschrift Der Staat. Daneben veröffentlichte Schnur auch teilweise autobiographisch gefärbte Prosatexte.
Roman Schnur verstarb am 5. August 1996 in Tübingen.
– — –
Zitat:
Von dem Augenblick an, wo der Kreis der Meinenden immer größer wird, vermögen die weniger distanzierten Meinungen, genauer: interessenorientierten Meinungen sich in den Meinungsbildungsprozeß einzuschalten.
– — –
Schriften:
- Der Rheinbund von 1658 in der deutschen Verfassungsgeschichte, Bonn 1955
- Die französischen Juristen im konfessionellen Bürgerkrieg des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Geschichte des modernen Staates, Berlin 1962
- Individualismus und Absolutismus. Zur politischen Theorie von Thomas Hobbes (1600–1640), Berlin 1963
- Zur Geschichte der Erklärung der Menschenrechte, Darmstadt 1964 (2. Aufl. 1974)
- Strategie und Taktik bei Verwaltungsreformen, Baden-Baden 1966
- Institution und Recht, Darmstadt 1968
- Staat und Gesellschaft. Studien über Lorenz von Stein, Berlin 1978
- Vive la République oder vive la France. Zur Krise der Demokratie in Frankreich 1939/40, Berlin 1982
- Polen in Mitteleuropa, Baden-Baden 1984
- Transversale. Spurensicherungen in Mitteleuropa, Wien 1988
- Kennen Sie Piatigorsk oder doch wenigstens Lermontow? Kaukasisches, Rottenburg 1988 (2. Aufl. 1990)
- Geschichte in Geschichten verstrickt: von Astrachan nach Kairouan (über Jeruzalem), Berlin 1992
- Die Ermächtigungsgesetze von Berlin 1933 und Vichy 1940 im Vergleich, Tübingen 1993
– — –
Literatur:
- Frieder Günther: Denken vom Staat her. Die bundesdeutsche Staatsrechtslehre zwischen Dezision und Integration 1949 bis 1970, München 2004
- Dirk van Laak: Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993
- Rudolf Morsey/ Helmut Quaritsch/ Heinrich Siedentopf (Hrsg.): Staat, Politik, Verwaltung in Europa. Gedächtnisschrift für Roman Schnur, Berlin 1997
- Wolfgang Schuller, Gedenkrede auf Roman Schnur an seinem 70. Geburtstag: am 20. Oktober 1997 vor der Universität Tübingen, in: Der Staat 37 (1998)