Tugend

Tugend ist ein zum Habi­tus gewor­denes, auf das Gute gerichtetes Ver­hal­ten. Der Begriff spielte in der Ethik eine entschei­dende Rolle, was sich auch aus der Überzeu­gung erk­lärt, daß richtiges Ver­hal­ten eingeübt wer­den muß (Erziehung).

Die Ableitung des Wortes Tugend von dem zugrun­deliegen­den Verb »tau­gen« macht deut­lich, daß es sich bei der Tugend ursprünglich um eine Eigen­schaft han­delt (die man prinzip­iell auch Tieren oder Gegen­stän­den zuschreiben kann), die entwed­er ange­boren oder erwor­ben ist. Dementsprechend hat die Philoso­phie seit Aris­tote­les zwis­chen dia­noetis­chen (Ver­standestu­gen­den wie Ver­nun­ft, Weisheit etc.) und ethis­chen Tugen­den (Charak­ter­tu­gen­den) unter­schieden.

Seit dem Mit­te­lal­ter hat sich im Abend­land die Vorstel­lung von sieben »Kar­dinal­tugen­den« durchge­set­zt, die man noch in die the­ol­o­gis­chen (Glaube, Liebe, Hoff­nung) und die weltlichen (Klugheit, Gerechtigkeit, Tapfer­keit und Maß) unterteilte. Wichtig ist dabei, daß die Klugheit als »Mut­ter der Tugend« (Thomas von Aquin) gilt, was bedeutet, daß keine Tugend ohne Klugheit zu beste­hen ver­mag. Diesen Kar­dinal­tugen­den kön­nen Sekundär­tu­gen­den nach­ge­ord­net wer­den wie Pünk­tlichkeit, Höflichkeit, Sauberkeit und so weit­er.

Es ist als Ver­falls­form der Tugen­de­thik anzuse­hen, daß der Begriff seit dem 18. Jahrhun­dert zuerst sub­ver­siv gegen die tradierte Ord­nung gestellt und dann unter bürg­er­lichem Ein­fluß auf den Aspekt der Sex­u­al­ität beschränkt wurde und unter einem »tugend­haften« Leben nur ein keusches ver­standen wurde. Noch prob­lema­tis­ch­er war allerd­ings die Ten­denz, den Bezug auf die Tugend durch einen Bezug auf »Werte« zu erset­zen. Das hängt vor allem mit der Unverbindlichkeit solch­er Werte zusam­men, deren Prokla­ma­tion keine strenge Verpflich­tung zum richti­gen Tun bedeutet.

Alas­dair Mac­In­tyre hat diesen Nieder­gang damit erk­lärt, daß alle Rede von der Tugend die »Ein­heit« der Lebens­form voraus­set­zt. Ist die nicht mehr vorhan­den, gibt es auch keine hin­re­ichend klare Vorstel­lung von der Aus­rich­tung der Tugend mehr. Angesichts dieses Dilem­mas haben sich seit dem Ende des 19. Jahrhun­derts ver­schiedene philosophis­che Ansätze entwick­elt, die nicht unbe­d­ingt auf die klas­sis­che Tugendlehre rekur­ri­erten, aber doch erfol­gre­ich ver­sucht­en, den ethis­chen Rang eines Men­schen wieder auf­grund seines Ver­hal­tens zu bes­tim­men. In diesen Zusam­men­hang gehören alle im weit­eren Sinne prag­ma­tis­chen Ansätze, die den Men­schen in erster Lin­ie als han­del­ndes Wesen auf­fassen.

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Zitate:

Tugend … ist als ein lebendi­ges Macht­be­wußt­sein zum Guten ganz per­sön­lich und indi­vidu­ell. Die erlebte Macht selb­st galt als bess­er als das­jenige, »wozu« sie Macht war, und als dynamisch größer als die Summe der Anstren­gun­gen zum Tun jedes einzel­nen Guten.
Max Schel­er

… die Ein­heit ein­er Tugend im Leben eines Men­schen ist nur als eine Eige­nart eines ein­heitlichen Lebens ver­ständlich, eines Lebens, das als Ganzes begrif­f­en und bew­ertet wer­den kann.
Alas­dair Mac­In­tyre

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Lit­er­atur: