Vaterland

Vater­land ist, wie das Wort schon sagt, das »Land der Väter«, also das Gebi­et, in dem die Vor­fahren lebten und in dem die Nach­fahren weit­er­leben wollen. Der eigentliche Verpflich­tungscharak­ter des Vater­land, die Forderung nach Vater­land­sliebe vor allem, resul­tiert ursprünglich aber aus der Tat­sache, daß mit der Seßhaftigkeit jenes Ter­ri­to­ri­um an Bedeu­tung gewann, in dem sich die Gräber der Vor­fahren befan­den, die zu erhal­ten waren und an denen man die vorgeschriebe­nen Kulthand­lun­gen vol­lziehen mußte. Dadurch knüpfte man eine weit über das Heimat­ge­fühl hin­aus­ge­hende emo­tionale Verpflich­tung an das Vater­land, was hin­re­ichend erk­lärt, warum schon in der Antike die Vertei­di­gung und Bewahrung des Vater­land außeror­dentlich­es Anse­hen genoß.

Dabei blieb es auch im Mit­te­lal­ter, das aus der römis­chen Tra­di­tion den Begriff der patria für Vater­land über­nahm. Allerd­ings blieb die Vorstel­lung unscharf und trat rel­a­tiv weit in den Hin­ter­grund gegenüber primär per­son­alen Bindun­gen. Erst am Beginn der Neuzeit – in den ober­i­tal­ienis­chen Städten, aber auch in Bur­gund – läßt sich ein Wieder­au­fleben der älteren Vater­land­sidee und damit ver­bun­den die Forderung nach Patri­o­tismus beziehungsweise ein­er Erziehung zum Patri­o­tismus fest­stellen. Ein Sachver­halt, der beispiel­sweise in den Schriften Machi­avel­lis deut­lich her­vor­tritt, wom­it schon angedeutet ist, daß der neue Auf­stieg des Begriffs mit der Entste­hung des mod­er­nen Staates, aber auch mit der des Nation­al­is­mus und der Demokratie ver­bun­den war.

Die zum Teil sehr kleinen, jeden­falls poli­tisch keines­falls über­lebens­fähi­gen Vater­län­der ver­schwan­den in einem lang­wieri­gen, von Rückschlä­gen gekennze­ich­neten Prozeß. Erst im 18. Jahrhun­dert waren jene mod­er­nen Flächen­staat­en weit­ge­hend durchge­set­zt, an die sich dauer­haft die Vorstel­lung ein­er patria knüpfen ließ. Mit der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion wurde dann die Nation zum gewöhn­lichen Bezugspunkt des Patri­o­tismus, während alle anderen Vater­län­der ihre Funk­tion ein­büßten. Es ist insofern abwegig, Patri­o­tismus als eine gemäßigte Vari­ante des Nation­al­is­mus zu deuten, denn in der Mod­erne ist das Vater­land nor­maler­weise die Nation, was bedeutet, daß jede Gemüt­sre­gung zu seinen Gun­sten bei einiger Inten­sität als Nation­al­is­mus zu ver­ste­hen ist.

Beze­ich­nend ist auch, daß sich die radikale Infragestel­lung des Vater­lands­gedankens nie hat durch­hal­ten lassen. Marx’€™ Dik­tum »Der Pro­le­tari­er hat kein Vater­land« wurde nach dem Erfolg der bolschewis­tis­chen Rev­o­lu­tion rasch umgemünzt in die Idee der Sow­je­tu­nion als »Vater­land aller Werk­täti­gen« und die Forderung nach einem spez­i­fis­chen Sow­jet-Patri­o­tismus, der sich in seinen wesentlichen Zügen nicht von anderen Nation­al­is­men unter­schied.

Ein ähn­lich­es Scheit­ern kann man auch im Fall des neuen Welt­bürg­er­tums fest­stellen, das unter Beru­fung auf die Glob­al­isierung das Ende aller Vater­län­der verkün­dete, sich aber angesichts schwinden­den Zusam­men­halts rasch darauf besin­nt, einen »weltof­fe­nen«, »zivilge­sellschaftlichen«, »aufgek­lärten« Patri­o­tismus zu propagieren, da in ein­er mod­er­nen Gesellschaft die Notwendigkeit unbe­stre­it­bar ist, das Loy­al­ität­sempfind­en der vie­len einzel­nen gegenüber dem größeren Ganzen aktiv zu unter­stützen.

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Zitate:

Die Vater­län­der wer­den immer von den Bet­tlern vertei­digt und von den Reichen ver­rat­en.
Charles Péguy

Ich habe ver­sucht, in meinen Kindern Werte einzupflanzen, die viele als unmod­ern beze­ich­nen, vor allem die Liebe zum Vater­land. Ich bete darum, daß sie niemals ihre Hand erheben müssen, um es zu vertei­di­gen, aber ich will, daß sie einen tiefen Respekt in sich nähren für die, die es tat­en.
John Wayne

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Lit­er­atur:

  • Eugen Lem­berg: Nation­al­is­mus, 2 Bde, Rein­bek bei Ham­burg 1967/68
  • Kurt Hüb­n­er: Das Nationale, Graz 1991
  • Michael Jeis­mann; Hen­ning Rit­ter: Gren­zfälle. Über neuen und alten Nation­al­is­mus, Leipzig 1993
  • Karl­heinz Weiß­mann: Nation?, Bad Vil­bel 2001