Man kann auch nach drei­und­zwan­zig Jah­ren Aka­de­mie-Er­fah­run­gen ei­nen mit Stim­men­ge­wirr an­ge­füll­te Raum noch im­mer mit Scheu be­tre­ten: Hun­dert­vier­zig Ge­sich­ter, grup­piert und ein­zel­ne, man­che wen­den sich, je­der, der da ist, hat sei­ne Grün­de, da zu sein. Man wünscht sich den Teil­neh­mer, der zu­gleich liest und die­ses Le­sen nicht zu ernst nimmt, son­dern die­ses An­ge­le­se­ne mit dem Le­ben und der In­tui­ti­on ab­zu­glei­chen weiß und die Wahr­neh­mung so schwer nimmt wie die Theorie.

Die Scheu: Sie rührt aus dem Un­ver­mö­gen zum ra­schen Ge­spräch, zum Small­talk, zur Zu­frie­den­heit mit dem, was wie­der ge­lang. Ei­nen gro­ßen Saal in ei­nem Ort in der baum­lo­sen Pam­pa am Süd­zip­fel Sach­sen-An­halts zu fül­len, ohne Schar­la­ta­ne­rie, son­dern so gut und ernst­haft vor­be­rei­tet und zu­ge­rü­stet wie ir­gend möglich.

Es ist die Scheu zu ge­nü­gen, die je­der kennt, der sich nicht selbst der Maß­stab ist.

Be­hag­lich die Ge­wohn­heit: die An­rei­se der Mann­schaft am Don­ners­tag­abend, der Auf­bau im lee­ren Saal, Tech­nik-Check, und in der Gast­stu­be gro­ße Por­tio­nen. Am Frei­tag­mor­gen um zehn die letz­te Be­spre­chung, längst Rou­ti­ne, aber wich­tig, be­vor je­der sei­nen Po­sten bezieht.

Dann tru­delt es ein. Zehn Jah­re AfD, hun­dert Jah­re Par­tei­en­kri­tik — wen lock­te das? Eine Men­ge jun­ger Leu­te, gar nicht viel Par­tei, aber schon auch. Vor al­lem: jun­ge Le­ser, das merk­te man gleich, und aus vir­tu­el­len Pro­jek­ten sol­che, die sich hier mal wirk­lich tref­fen, um nicht zu sa­gen: ken­nen­ler­nen, so, wie man sich frü­her kennenlernte.

Drei er­ste Ge­sprä­che: mit ei­nem jun­gen Mann, der sich tie­risch über eine Leh­re­rin auf­reg­te, weil sie ihm ei­nen Vor­trag über die Na­zis aus Schnell­ro­da auf­drück­te, zehn Mi­nu­ten im Sozi-Un­ter­richt; half ihm das über, weil er ein paar fal­sche Fra­gen ge­stellt hat­te. Also forsch­te er los und fand kei­ne Na­zis, son­dern mal was an­de­res — und mel­de­te sich an.

Ein an­de­rer lernt Gärt­ner. Erd­hän­de, Drau­ßen­ge­sicht. Sehr gut, das Ge­spräch über den Wech­sel aus Schu­le und Feld und den in­ten­si­ven Blu­me- und Ge­mü­se­an­bau auf klei­nen Flä­chen. Der Hof als Mit­tel­punkt für die Ver­sor­gung im Dorf und am Ran­de der Stadt — nicht der Net­to und der Rewe. Kur­ze Wege, sai­so­nal — die­sel­ben Grund­sät­ze wie vor Jahr­zehn­ten, man muß nichts da­zu­er­fin­den, bloß ma­chen muß es einer.

Der drit­te: auf­brau­send und deut­lich, als er sich zu Wort mel­de­te, um die Fra­ge zu stel­len, war­um wir al­le­samt hier sei­en und nicht wo­an­ders. Kennt man: die Ab­wer­tung von Lek­tü­re und De­bat­te vor dem Hin­ter­grund der Tat. Aber auch er war ja hier und nicht wo­an­ders. An sei­nen stei­len Tisch setz­te ich mich gleich zum Abend­brot — eine gute, wert­vol­le Stun­de un­ter jun­gen Män­nern, mit de­nen über die Auf­la­dung der Idee, den so­zia­len My­thos, die Wie­der­be­la­stung des Le­bens und die Ab­schät­zig­keit zu re­den war. Sol­che müs­sen wiederkommen.

Heft 112Wel­che nicht? Da gab es eine Pha­se, am er­sten Aka­de­mie­tag, als am Abend vorn an der Büh­ne und ne­ben­an in der Tre­sen­ecke sich Ge­span­ne bil­de­ten und das Netz­werk sicht­bar und hör­bar wur­de: Flecht­ar­beit, Na­men, Ge­wich­tung, Li­ste und List, dazu das Ge­wi­sche auf den Han­dys und die ab­sur­de Vor­stel­lung, je­der sei an der­lei interessiert.

Na­tür­lich: Da wird ver­teilt und an­ge­bo­ten, aus­ge­han­delt und pla­ziert, und zwar mit Fol­gen! Aber das könn­te auch ganz wo­an­ders ab­lau­fen, dazu braucht’s kei­ne Aka­de­mie, und es läuft ja vor al­lem ganz wo­an­ders ab, zum Glück. Bloß ist man manch­mal schon be­ein­druckt und rat­los, wenn man mit­kriegt, wer fast nur noch das im Kop­fe hat.

Die Par­tei und ihr Vor­feld — mich brach­te das zu ei­ner deut­li­chen Aus­sa­ge, von der ich noch nicht recht weiß, wel­che Kon­se­quenz sie for­dert. Je­den­falls: Wir ha­ben hier un­se­ren Ab­schnitt des Vor­felds vor der Par­tei zu schüt­zen. Wir ha­ben uns viel­leicht so­gar aus die­sem Funk­ti­ons­zu­sam­men­hang zu lö­sen. Man wirkt in die­sem Bild so an­stei­gend — als kom­me der Gip­fel erst dann …

Im Ge­spräch mit dem Deutsch­land­ku­rier klingt es we­ni­ger blu­mig so:

Es geht nicht um Spen­den und um Stel­len­an­ge­bo­te für un­se­re Leu­te. So­li­de Pro­jek­te wie un­se­re sind auf die­se na­he­lie­gen­den Un­ter­stüt­zun­gen nicht an­ge­wie­sen. Ich bin eher dar­auf ge­spannt, ob die Par­tei be­greift, daß zur grund­sätz­li­chen Op­po­si­ti­on auch ein grund­sätz­lich an­de­res Ver­hal­ten dem Estab­lish­ment ge­gen­über ge­hört. Wenn auf ei­nem Neu­jahrs­emp­fang im Bun­des­tag die ARD an­we­send ist, die Ver­tre­ter der frei­en Me­di­en hin­ge­gen nicht, dann sind es­sen­ti­el­le Lek­tio­nen nicht ge­lernt worden.

Das not­wen­di­ge Übel Par­tei — die­ses Haupt­wort mit­samt sei­nem ret­ten­den At­tri­but: So zog es sich nicht durch je­den Vor­trag, aber durch die Dis­kus­sio­nen heftig.

Die Par­tei und der Ver­fas­sungs­schutz, die Fra­ge nach dem Grün­dungs­my­thos der AfD und die nach der ka­ta­stro­pha­len Per­spek­ti­ve ei­ner de­mo­gra­phisch ins Frem­de ge­kipp­ten De­mo­kra­tie, in der ein aus­ge­tausch­ter Sou­ve­rän zur Wahl schrei­tet; Vor­trä­ge über die Klas­si­ker der Par­tei­en­kri­tik, ei­ner über die Pro­gram­ma­tik al­ler Vor­gän­ger der so er­folg­rei­chen AfD, von 1948 bis heu­te, dann die Ana­ly­se von Wäh­ler­po­ten­tia­len, pla­stisch an­hand von Bal­ken und Tor­ten­stücken und stei­gen­den Kurven.

Man lern­te dazu. Und so er­trag­reich und nüch­tern wird es wei­ter­ge­hen mit dem, was wir kön­nen: oasi­ge Unterweisung.

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Die Vor­trä­ge und In­hal­te der Win­ter­aka­de­mie kann man in knap­pe­rer Form nach­le­sen im 112. Heft der Se­zes­si­on, das zum The­ma “Zehn Jah­re AfD” ge­ra­de aus der Drucke­rei kam (hier be­stel­len, un­be­dingt). Und man wird alle Vor­trä­ge und zwei Po­di­en im Ka­nal Schnell­ro­da auf you­tube fin­den, nach und nach (hier ein­se­hen und abon­nie­ren).

Fan­gen wir an mit der Ab­schluß­run­de, dem po­li­ti­schen Po­di­um. Land (Kir­cher und Till­schei­der), Bund (Hart­wig) und freie Me­di­en (Ben­dels), mo­de­riert von Erik Lehnert.