1454 — Gutenberg präsentiert die ersten gedruckten Bibeln

Auf der Frank­furter Herb­stmesse im Okto­ber 1454 bot der „vir mirabilis“ Johannes Guten­berg aus Mainz seine Bibeln zum Kauf an, und das geneigte Pub­likum, u.a. Enea Sil­vio Pic­colo­mi­ni, der spätere Papst Pius II., nahm davon begeis­tert Ken­nt­nis.

In den Jahren ab 1450 waren bere­its andere Druck­erzeug­nisse erschienen, zugle­ich fan­den Ablaßzettel ihre Abnehmer, die beispiel­sweise auf Ver­an­las­sung von Nico­laus Cusanus in Mainz gedruckt wor­den waren wie der auf den 22. Okto­ber 1454 datier­bare „zyprische Ablaßbrief“ wider die Türken — die erste Massendruck­sache der Welt­geschichte. Dem Buch­druck war im Abend­land die Vervielfäl­ti­gung von Bildern im Hochdruck­ver­fahren des Holzschnitts voraus­ge­gan­gen, wovon seit etwa 1400 einzelne Zeug­nisse erhal­ten sind und seit 1423/27 sog­ar solche mit zugle­ich mitge­druck­tem Text wie etwa der Bux­heimer Christopho­rus (1423). Und aus dem Jahr 1443 ist der früh­este Kupfer­stich über­liefert, das vor der Erfind­ung der Lith­o­gra­phie (Alois Sene­felder, Ende des 18. Jahrhun­derts) wesentliche Ver­fahren zur Repro­duk­tion von Bildern, tech­nis­chen Zeich­nun­gen und Land­karten.

Zwar sind „Drucke“ mit beweglichen Pun­zen und Stem­peln schon früher bekan­nt, und zudem wur­den im Fer­nen Osten — ins­beson­dere in Korea — bere­its zuvor Texte gedruckt, doch bedurfte es zur „Erfind­ung“ des Buch­drucks als ein­er kom­plex­en Sys­temtech­nolo­gie des Zusam­men­tr­e­f­fens mehrerer Fak­toren — tech­nis­ch­er und ökonomis­ch­er. Das europäis­che Mit­te­lal­ter war eine Zeit begren­zter Schriftlichkeit; die mündliche Über­liefer­ung dominierte, und bei ein­er zumeist illit­er­at­en Bevölkerung bestand kaum Bedarf an Textdruck­en. Dies wan­delte sich mit dem Auf­blühen von städtis­chem Gewerbe, Kauf­mannschaft und Fern­han­del. Fähigkeit­en des Schreibens und Rech­nens, u.a. bei der Buch­führung, entsch­ieden über geschäftlichen Erfolg.

Daneben hängt der Grad der schriftlichen Über­liefer­ung ein­er Kul­tur von den ver­füg­baren Beschreib­stof­fen wesentlich ab. Die Antike ver­fügte mit Papyrus und Wach­stafeln bere­its über Beschreib­ma­te­ri­alien, die fast beliebig ver­mehrbar waren, während im Mit­te­lal­ter mit dem Perga­ment, also ungegerbter Tier­haut, ein teur­er und quan­ti­ta­tiv begren­zter Beschreib­stoff dominierte. Die Exis­tenz von Palimpses­ten alleine spricht hier­für. Papi­er, das seit dem 13. Jahrhun­dert Ver­bre­itung fand, befriedigte diesen Bedarf, und mit der ersten deutschen Papier­müh­le des Ulman Stromer zu Nürn­berg (1290) begann dessen Her­stel­lung nördlich der Alpen. Flankiert durch andere tech­nis­che Inno­va­tio­nen wie den mech­a­nis­chen Drahtzug, der entsprechend feine Papier­siebe ermöglichte, kon­nten ab dem frühen 15. Jahrhun­dert plane, hochw­er­tige Papiere hergestellt wer­den. Oberdeutsch­land wirk­te zu jen­er Zeit ger­adezu als Epizen­trum inno­va­torisch­er Prozesse, wobei Patriziat und Kauf­mannschaft der Reichs- und Han­delsstädte als treibende Kräfte wirk­ten. Lim­i­tieren­der Fak­tor der Vervielfäl­ti­gung blieb einst­weilen die Arbeit­sleis­tung des Schreibers, sei es in ein­er römis­chen Kan­zlei, sei es in einem monas­tis­chen Skrip­to­ri­um.

Guten­bergs Leis­tung liegt also weniger in ein­er genialis­chen Gesamterfind­ung als vielmehr im Zusam­men­führen wesentlich­er Teil-Tech­nolo­gien zu einem anwen­dungsreifen Ver­fahren. Dazu gehörten: Beschreib­stoffe, Tinten/Druckfarben, die Druck­er­presse selb­st und schließlich die beweglichen Let­tern und der Set­zkas­ten, in den diese immer wieder zurück­ge­ord­net und zu neuen Tex­ten kom­biniert wer­den kon­nten. Nicht zu vergessen das Per­son­al der Druck­er und Set­zer; let­ztere mußten zudem des Lateinis­chen mächtig sein, um kom­plizierte Manuskripte fehler­frei set­zen zu kön­nen. Nicht alleine Guten­berg arbeit­ete an Ver­fahren zur Vervielfäl­ti­gung von Tex­ten. So sind die Ver­suche ein­er „ars arti­fi­cialiter scriben­di“ (Tech­nik kün­stlichen Schreibens) des Prokop Wald­vo­gel in Avi­gnon (1444–1446) über­liefert, während wiederum in Nürn­berg Kon­rad Forster (gest. 1459) ganze Texte mit Einzel­stem­peln „druck­te“.

Schon in sein­er Straßburg­er Zeit (1434–1448) hantierte Guten­berg mit Pressen, auf denen er u.a. Pil­ger­spieglein als Devo­tion­alien her­stellte. Die Druck­er­presse unter­schied sich allerd­ings von Obst‑, Wein- oder Papier­pressen, da hier der Druck sub­til und den­noch kräftig und gle­ich­mäßig auf den Bedruck­stoff über­tra­gen wer­den mußte, ohne diesen zu beschädi­gen. Bei der Druck­er­schwärze wiederum kam es auf deren Beständigkeit, Anhaf­tung und Trock­nungs­fähigkeit an. Hier exper­i­men­tierte er erfol­gre­ich mit Lam­p­en­ruß, Fir­nis und ver­schiede­nen Sikka­tiv­en, die mit­tels eines hund­sled­er­nen Drucker­bal­lens auf die Druck­plat­ten aufge­tra­gen wer­den kon­nten. Nach dem Patrize-Matrize-Prinzip ent­standen mit­tels des „Handgießin­stru­ments“ gle­ich­för­mige Let­tern aus ein­er Blei-Zinn-Anti­mon­legierung, wobei deut­lich mehr als die zweimal 26 Let­tern des lateinis­chen Alpha­bets gegossen wur­den, denn es erforderte zusät­zlich zahlre­iche Lig­a­turen, Ini­tialen, gängige lateinis­che Abkürzun­gen, so daß für den Bibel­druck 290 unter­schiedliche Let­tern über­liefert sind.

Sich­er war Guten­berg der Kopf jenes Tech­nolo­gie­un­ternehmens, doch darf man annehmen, daß es zur Ver­vol­lkomm­nung der Tech­nik auf das syn­er­getis­che Zusam­men­wirken mit anderen ankam und daß es zweifel­los zahlre­ich­er Exper­i­mente mit unter­schiedlichen Kom­po­nen­ten bedurft hat­te, um schließlich so weit zu kom­men. Diese Exper­i­men­tier­phase fällt in die Jahre ab 1448, als Guten­berg wieder in Mainz nach­weis­bar ist.

Nicht zu vergessen die Kosten des Unternehmens: Gebäude, Per­son­al, Mate­ri­alien und Gerätschaften, Rohstoffe, Zulief­er­er — nicht anders als bei einem Großpro­jekt unser­er Zeit. Hier­für war ein Finanzi­er und Kom­pagnon erforder­lich, den Guten­berg mit dem wohlhaben­den Mainz­er Advokat­en Johannes Fust fand, der das Anfangskap­i­tal stellte. Wiewohl es stets schwierig ist, den gegen­wär­ti­gen Wert his­torisch­er Sum­men einzuord­nen, kann den­noch von einem Mil­lio­nen­pro­jekt in heutiger Währung gesprochen wer­den.

Das Guten­bergsche Druck­ver­fahren ist unlös­bar mit dem großar­ti­gen Bibel­pro­jekt der zweiund­vierzigzeili­gen Bibel ver­bun­den, in das Fust ins­beson­dere investierte, denn es soll­ten inner­halb von zwei bis drei Jahren 180 Bibeln gedruckt und aus­ges­tat­tet wer­den, die es auf der Frank­furter Messe zu verkaufen galt, darunter 40 Exem­plare auf Perga­ment und 140 Exem­plare auf Papi­er zu jew­eils 1282 Seit­en. Dafür waren vier bis sechs Set­zer und Druck­er für drei Jahre zu beschäfti­gen. Der rev­o­lu­tionäre Charak­ter des Unternehmens wird deut­lich, wenn man bedenkt, daß ein Schreiber etwa die gle­iche Zeit — drei Jahre — benötigte, um eine Bibel herzustellen.

Es fie­len mithin die wesentlichen Ele­mente ein­er erfol­gre­ichen Erfind­ungs­geschichte zusam­men: ein inno­v­a­tiv­er Kopf, die tech­nis­chen Voraus­set­zun­gen, ein liq­uider Finanzi­er und vor allem das Bedürf­nis bre­it­er Käufer- und Inter­essen­tenkreise am Pro­dukt. All dies war um die Mitte des 15. Jahrhun­derts gegeben, als in Europa mit Renais­sance, Human­is­mus, Ent­deck­ungsreisen, Fern­han­del und schließlich der Ref­or­ma­tion das Streben nach Infor­ma­tion und Wis­sen explo­sion­sar­tig anwuchs. Selb­st die „mil­i­tary rev­o­lu­tion“, das Aus­greifen der europäis­chen Mächte mit­tels artilleri­es­tark­er Flot­ten­ver­bände rund um den Globus, ist ohne die ras­ante Ver­bre­itung von tech­nol­o­gis­chem und kar­tographis­chem Wis­sen in dieser Zeit undenkbar.

Von Mainz aus­ge­hend griff die neue Tech­nolo­gie rasch in Europa um sich, und Offizinen schossen vor allem in den Uni­ver­sitätsstädten aus dem Boden: Straßburg 1460, Rom 1467, Lyon 1473, Krakau 1475, West­min­ster 1476, Istan­bul 1503, Moskau 1553, Isfa­han 1640, Kairo 1798, um nur einige zu nen­nen. Beze­ich­nend ist der wis­senschaftlich-tech­nol­o­gis­che und ökonomis­che Vor­sprung, den Europa damit bin­nen kurzem gegenüber den Kul­tur­räu­men des Fer­nen Ostens und des Ori­ents errang. Ander­wärts reüssierte das neue Medi­um nur schlep­pend, entwed­er der sper­ri­gen Sym­bol­schriften wegen, oder aus ein­er grund­sät­zlichen Inno­va­tion­sun­willigkeit her­aus, wie in der mus­lim­is­chen Welt, wo die Druck­kun­st erst flächen­deck­end ab dem 18. Jahrhun­dert Einzug hielt.

Die Typogra­phie ebnete damit den Weg in das Zeital­ter von Massen­me­di­en und Massen­bil­dung, das Zeitun­gen, eine umfassende Bürokratie und ein blühen­des Geis­tesleben her­vor­brachte. Mar­tin Luther gar und die Ref­or­ma­tion mit ihrem ausufer­n­den Schrift­tum an Büch­ern, Trak­tat­en und Pam­phleten sind ohne das Medi­um der Druck­kun­st kaum vorstell­bar.

Schon in den let­zten Dekaden des 20. Jahrhun­derts ver­schwand der Bleisatz, abgelöst durch den Pho­to­satz und schließlich dig­i­tale Tech­niken. Damit ging ein Ausster­ben der Berufe des Druck­ers und des Set­zers ein­her. An der Schwelle des 21. Jahrhun­derts schließlich tren­nte sich Infor­ma­tion vom physis­chen Träger Papi­er und dessen Leitmedi­um, dem Buch. Reich­weite und Dimen­sion dieser Entwick­lung sind heute noch nicht abzuse­hen, sie dürfte aber ähn­lich rev­o­lu­tionär sein wie die Erfind­ung des „vir mirabilis“ Johannes Guten­berg um die Mitte des 15. Jahrhun­derts, die an der Wiege der Massen­me­di­en stand.

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Lit­er­atur:

  • Stephan Füs­sel: Guten­berg und seine Wirkung, Frank­furt a. M. 1999
  • Stephan Füs­sel: Johannes Guten­berg, Ham­burg 2003
  • Wolf­gang von Stromer: Guten­bergs Geheim­nis. Die Sei­den­straße als Mit­tler der Druck­ver­fahren von Zen­tralasien nach Mit­teleu­ropa, hrsg. v. Dirk Reitz, Genf 2000