1569 — Mercator veröffentlicht die erste Weltkarte mit winkeltreuer Projektion

Es gibt für Per­so­n­en wie für Völk­er ver­schiedene Möglichkeit­en, sich die Welt anzueignen. Die einen grün­den Impe­rien, die anderen ver­bre­it­en ihre bevorzugte Reli­gion, wieder andere durch­drin­gen den Plan­eten mit ihren Han­del­spro­duk­ten. Zur typ­isch deutschen Form der Weltane­ig­nung gehörten in der Frühen Neuzeit zweifel­los Kar­togra­phie und Geo­gra­phie. Die Liste der hierzu­lande entwick­el­ten Neuerun­gen auf diesem Feld ist beachtlich. Dazu gehören der erste Globus der Welt von Mar­tin Behaim (1493), die erste Weltkarte, auf der auch der Name „Ameri­ka“ auf­tauchte, von Mar­tin Wald­seemüller (1507) und auch die erste Einzel­darstel­lung des amerikanis­chen Dop­pelkon­ti­nents durch Sebas­t­ian Mün­ster (1544). Das sind nur einige der Namen, die damals mit ihrem Wel­truf und ihren Kos­mo­gra­phien das Welt­bild der Zeit mit­prägten.

Ger­hard Mer­ca­tor (1512–1594) pro­duzierte seit den 1530er Jahren mehrere Aufla­gen von Welt­globen, zunächst als Mitar­beit­er, später als Fed­er­führer. Die in vollem Gang befind­liche Ent­deck­ung der Welt aus europäis­ch­er Per­spek­tive machte in der Darstel­lung stets Änderun­gen möglich und nötig. Berühmt wurde Mer­ca­tor allerd­ings nicht durch ein Einzel­w­erk, son­dern durch eine neue Meth­ode der Darstel­lung. Jed­er ken­nt den Ein­druck der Welt aus der Per­spek­tive, die er gefun­den hat, aus der zwei­di­men­sion­alen Kar­tendarstel­lung in der Mer­ca­tor-Pro­jek­tion.

Der Grundgedanke ist im Prinzip ein­fach: Man stelle sich einen trans­par­enten Globus mit einem Licht im Zen­trum inner­halb eines Zylin­ders vor. Die Kon­ti­nente wür­den an der Innen­wand des Zylin­ders einen Schat­ten wer­fen. Schnei­det man den Zylin­der senkrecht auf und rollt die Innen­wand aus, sieht man die Welt vor sich, wie sie auf der Mer­ca­tor-Pro­jek­tion erscheint. Das hat bekan­ntlich Vor- und Nachteile. Ein ger­ad­er Kurs, der auf ein­er solchen Karte einge­tra­gen wird, führt tat­säch­lich ans Ziel. Deshalb ist die Mer­ca­tor-Pro­jek­tion für die Seefahrt stets von großem Wert gewe­sen, was der Titel der ersten großen Mer­ca­tor-Weltkarte von 1569 auch aus­drück­lich als Anwen­dungs­ge­bi­et emp­fahl. Als Nachteil des Ganzen stellt sich bere­its auf den ersten Blick die Größen­verz­er­rung der Län­der her­aus. Die eigentlich ver­gle­ich­sweise winzige Antark­tis etwa erscheint auf der Mer­ca­tor-Karte wie eine gigan­tis­che, erdumspan­nende Land­masse.

So paßte die Mer­ca­tor-Pro­jek­tion auf dop­pelte Weise in das Europa der Frühen Neuzeit, dessen Seefahrt die Kon­ti­nente zum ersten­mal miteinan­der verknüpfte. Ihre Meth­ode half dabei mit, während dieses Vor­gangs die Ori­en­tierung nicht zu ver­lieren. Zugle­ich stellte die Mer­ca­tor-Karte für Jahrhun­derte die Welt so dar, wie sie bis in die Mitte des zwanzig­sten Jahrhun­derts auch struk­turi­ert sein sollte. Europa lag in ihrem Zen­trum, und in Europas Zen­trum lag Deutsch­land. Der Rest der Welt erschien gigan­tisch, geheimnisvoll, bere­it für seine Ent­deck­ung und — fre­undlich aus­ge­drückt — prak­tis­che Erschließung. An der nun wiederum beteiligte sich Deutsch­land in der Prax­is nur wenig. Das spätere Land der Dichter und Denker nahm seine Zukun­ft vor­weg und beließ es bei der intellek­tuellen Durch­dringung, in diesem Fall auch bei der visuellen.

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Lit­er­atur:

  • Michael Föllmer: Die Welt des Ger­hard Mer­ca­tor. Karten, Atlanten und Globen aus Duis­burg, Duis­burg 2006
  • Ute Schneider/Stefan Brak­en­siek (Hrsg.): Ger­hard Mer­ca­tor. Wis­senschaft und Wis­senschaft­strans­fer, Darm­stadt 2015