1888 — Bertha Benz unternimmt die erste automobile Überlandfahrt

Der Sinn von später welt­berühmten Erfind­un­gen erschließt sich den Zeitgenossen nicht immer sofort. So ging es auch dem pfer­de­losen, motor­getriebe­nen Wagen, den sich Carl Benz im Jan­u­ar 1886 als Reichspatent 37435 ein­tra­gen ließ. Zwar gab es Lob in der Mannheimer Region­al­presse, die von dem Beweis der Möglichkeit schrieb, „mit ele­mentar­er Kraft einen Straßen­wa­gen zu bewe­gen“, und dem Gefährt tat­säch­lich im sel­ben Jahr eine mögliche Zukun­ft im Touris­mus attestierte. Aber es gab zunächst keine Käufer und keine weit­ere Res­o­nanz.

Der Wagen stand fast zwei Jahre herum und wurde nur zu Demon­stra­tions­fahrten benutzt. Benz sah sich „verspot­tet und ver­lacht“, wie er sich später erin­nerte. In dieser Rolle war er auch nicht der erste Fahrzeugerfind­er aus dem ratio­nal durchquadri­erten Mannheim, dem es so erg­ing. Frei­herr von Drais, wohn­haft im Quadrat M1, hat­te sich sechzig Jahre davor mit sein­er ped­al­losen Früh­form des Fahrrads nicht durch­set­zen kön­nen, trotz erfol­gre­ich­er Fer­n­fahrten von Mannheim bis ins badis­che Kehl. Der damit ver­bun­dene Nach­weis, daß seine „Drai­sine“ nicht nur kein Heu fraß, son­dern auf Langstreck­en auch schneller als ein Pferd war, bewog das Großher­zog­tum trotz­dem nicht zum erhofften Ankauf von Draisi­nen für Armeezwecke.

Schließlich waren es die zwei Söhne Benz’, die zusam­men mit Mut­ter Bertha den Beschluß faßten, eben­falls Fer­n­fahrt­tat­sachen zu schaf­fen. Im deutschen Dreikaiser­jahr, am 5. August 1888, brach man früh­mor­gens auf, Bertha Benz fuhr den Wagen. Die Fahrt ging vom badis­chen Mannheim, der Woh­nung im Quadrat T6, bis ins schwäbis­che Pforzheim, ins­ge­samt 106 Kilo­me­ter, für die zwölf Stun­den benötigt wur­den.

All­ge­mein gilt diese erste Über­land­fahrt als Durch­bruch für das spätere Auto. Es hat­te seine All­t­agstauglichkeit bewiesen. Dabei spielte es natür­lich eine Rolle, daß am Steuer eine Frau gesessen hat­te, was heute gern als früher Teil der Fem­i­nis­mus­be­we­gung vere­in­nahmt wird. Bertha Benz erwies sich zwis­chen­durch als patent genug, um kleinere Prob­leme zu lösen, so z. B. den ver­stopften Ver­gas­er mit ein­er Hut­nadel zu reini­gen und die Zün­dung mit einem Strumpf­band zu isolieren. Ihre Beschw­er­den darüber, daß die zweiein­halb PS an manchen Stei­gun­gen nicht gere­icht hat­ten und geschoben wer­den mußte, beschle­u­nigten die bis dahin ver­nach­läs­sigte Entwick­lung eines Getriebes. Trotz­dem war es von dieser Fahrt bis zum Auto als Massen­phänomen noch ein weit­er Weg. Erst die 1920er und 30er Jahre mit der Entwick­lung der Massen­pro­duk­tion in den USA und des „Volk­swa­gens“ in Deutsch­land führten in diese Rich­tung. Bertha Benz kon­nte das noch miter­leben und starb erst, fün­fund­ne­un­zigjährig, im Früh­jahr 1944.

Als Erin­nerung­sort ist die Route dieser Fahrt heute aus­geschildert und wird offiziell gepflegt. Regelmäßig find­en Wieder­hol­ungs­fahrten statt. Die Erfind­ung des Auto­mo­bils wurde Teil nationaler deutsch­er Iden­tität, sein Bau ein­er der wesentlichen Wirtschaft­szweige des Lan­des und seine Weit­er­en­twick­lung bis heute weltweites Aushängeschild deutsch­er Inge­nieur­fähigkeit­en. Dabei blieb das Auto eines jen­er Teile der Erin­nerungskul­tur, denen nicht ein­mal die Wirrun­gen der bun­desre­pub­likanis­chen Geschicht­spoli­tik etwas anhab­en kon­nten. Für das Auto hat sich noch nie­mand entschuldigt, auch nach­dem die Trag­weite sein­er Erfind­ung erkan­nt wor­den war.

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Lit­er­atur:

  • Anna Schnekker: Bertha Benz Memo­r­i­al Route. Geschichte und Kul­tur ent­lang der ersten auto­mo­bilen Fer­n­fahrt, Berlin 2013
  • Win­fried Sei­del: Carl Benz — eine badis­che Geschichte. Die Vision vom “pfer­de­losen Wagen” verän­derte die Welt, Wein­heim 2007