„Kaum je in der Weltgeschichte dürfte um das Leben von Menschen so lange und so verbissen, von so verschiedenen Stellen und mit so unterschiedlichen Mitteln gerungen worden sein wie um das Leben der sieben Todeskandidaten.“ Mit diesen Worten kommentierte die Wochenzeitung Christ und Welt die Hinrichtung der sieben Kriegsverbrecher in Landsberg am 7. Juni 1951. Der Spiegel schrieb von einem „grauenvollen Hin und Her“, das der Hinrichtung vorangegangen sei. Die Todesurteile waren 1947 und 1948 in verschiedenen sogenannten Nürnberger Nachfolgeprozessen gefällt worden und sollten allein 1951 mehrfach vollstreckt werden, bevor die Verteidiger einen Exekutionsstopp in letzter Minute erwirkten.
Am 31. Januar 1951 hatten die zuständigen US-Amerikaner, der Hohe Kommissar John McCloy und der Oberbefehlshaber in Europa, General Handy, von insgesamt 28 noch nicht vollstreckten Todesurteilen sieben bestätigt. Sie waren wegen Morden im Rahmen der Einsatzgruppen oder der Konzentrationslager verurteilt worden. In der Mehrzahl handelte es sich um höhere SS-Führer, der ranghöchste war Oswald Pohl, Chef des SS-Wirschafts- und Verwaltungshauptamtes. Die öffentliche Debatte drehte sich weniger um die Frage der Schuld der Todeskandidaten als um die Tatsache, daß die Todesstrafe seit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 24. Mai 1949 in Deutschland abgeschafft war.
Selbst der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher äußerte sich entsprechend: „Leute wie Ohlendorf und Pohl sind der schwerste Fall des Typs, der außerhalb der menschlichen Gesellschaft steht und in sie nicht mehr einzuordnen ist. In Anbetracht der Ungeheuerlichkeit der Verbrechen gibt es keine Strafe, die auch nur eine Andeutung von Sühne wäre. Es gibt gegenüber dieser Art menschlicher Entartung nur die völlige strenge Ausschließung. Das deutsche Volk hat in seinem Grundgesetz das Mittel der Todesstrafe verneint. Das Mittel der strengen Absonderung durch strengsten Gewahrsam aber ist gegeben und muß ohne Konzession angewandt werden, das heißt lebenslängliches Zuchthaus.“
Diese Diskrepanz gab dem Gefühl, daß es sich bei der juristischen Aufarbeitung des Dritten Reiches um Siegerjustiz handele, die sich an kein Recht gebunden fühle, neue Nahrung. Bereits bei den Nürnberger Prozessen war durch die Teilnahme der Sowjetunion das Rechtsempfinden der gutwilligsten Deutschen auf eine harte Probe gestellt worden. Die Frage des Befehlsnotstandes, der für die Bewertung der Taten eine entscheidende Rolle zukam, sorgte für zusätzliche Diskussionen.
Aber auch die Amerikaner hatten die Prozesse nicht nach den rechtsstaatlichen Maßstäben durchgeführt, für die sie einzustehen vorgaben. Ein bekanntes Beispiel ist der Malmedy-Prozeß, in dem 73 (ursprünglich 74, von denen sich einer das Leben nahm) Angehörigen der SS-Panzerdivision „Leibstandarte“ vorgeworfen wurde, amerikanische Kriegsgefangene erschossen zu haben. Der Spiegel schrieb damals: „73 wurden verurteilt, 43 zum Tode. Davon sind inzwischen 37 Todesurteile wieder aufgehoben worden. Von den 73 Urteilen wurden 62 revidiert. Schon diese Zahlen kennzeichnen die Fragwürdigkeit einer Militärgerichtsbarkeit, bei der, wie später von offizieller amerikanischer Seite gesagt wurde, “ein überraschend hoher Prozentsatz von Personen aus erst kürzlich naturalisierten Amerikanern bestand, die als ehemalige Verkäufer, Vertreter oder in anderen der Ermittlungsarbeit durchaus nicht verwandten Berufen Beschäftigte die Voruntersuchungen durchführten und auch die Anklage im Prozeß vertraten.“
Im nachhinein bekommt die Vollstreckung der Todesurteile auch dadurch einen eigenartigen Beigeschmack, weil es durchaus nicht eine Frage des Rechts war, wer an den Galgen mußte. Otto Ohlendorf, der für seine Verbrechen als Leiter einer Einsatzgruppe hingerichtet wurde, hatte insofern Pech, als daß er nicht über ähnliche Verwandte und Fürsprecher wie sein Kamerad Martin Sandberger verfügte. Dieser war als Führer eines Einsatzkommandos innerhalb der Einsatzgruppe A zum Tode verurteilt worden. Für ihn setzten sich in der Folge Carlo Schmid, Theodor Heuss und Hellmut Becker, der Verteidiger von Ernst von Weizsäcker, ein. Mit Erfolg: Sandberger wurde 1957 entlassen und starb erst 2010.
Im Frühjahr 1951 befanden sich noch ca. 1800 Deutsche bei den Westmächten in Gefangenschaft. Ein Jahr zuvor waren es noch fast doppelt so viele gewesen. Am 31. Januar 1952, ein halbes Jahr nach den Hinrichtungen, waren es schließlich noch 1258 Personen. 700 von ihnen befanden sich in Gefängnissen auf deutschem Boden (Landsberg, Wittlich, Werl), der Rest in Westeuropa (vor allem in Frankreich, etwa 350). Am 9. Mai 1958 wurden, abgesehen von den in Spandau Inhaftierten, die letzten entlassen. (In Holland saßen bspw. noch bis 1989 Kriegsverbrecher ein.) Bis einschließlich zum 7. Juni 1951 hatten die Westalliierten in Deutschland 486 Todesurteile vollstrecken lassen, in Landsberg allein 288.
In Österreich wurde die Todesstrafe für Zivilisten 1950 abgeschafft, für Soldaten 1968. Die Alliierten vollzogen die Todesstrafe allerdings weiterhin. Die letzte alliierte Hinrichtung wurde im Februar 1955 an einem ehemaligen Lageraufseher des KZ Mauthausen vorgenommen.
Für die sowjetische Besatzungszone liegen keine genauen Zahlen vor. Allerdings verhängten sowjetische Militärtribunale allein zwischen 1944 und 1947 3301 Todesurteile gegen deutsche Staatsbürger, Zivilisten und ehemalige Wehrmachtsangehörige, von denen 2542 vollstreckt wurden. Die DDR richtete am 4. November 1950 24 NS-Täter hin, die in den von völliger Willkür geprägten Waldheimprozessen zum Tode verurteilt worden waren. In der DDR schaffte man die Todesstrafe schließlich 1987 ab. Der letzte NS-Kriegsverbrecher wurde am 21. Oktober 1978 in Leipzig hingerichtet. Es handelte sich um Johannes Kinder, dem vorgeworfen wurde, als Angehöriger der Einsatzgruppe D an der Ermordung Tausender Sowjetbürger mitgewirkt zu haben.
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Literatur:
- Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996
- Armin Mohler: Der Nasenring. Die Vergangenheitsbewältigung vor und nach dem Fall der Mauer, München 1991
- Heinrich Pflanz: Die Hingerichteten von Landsberg und der Spöttinger Friedhof, Beltheim-Schnellbach 2010
- Thomas Raithel: Die Strafanstalt Landsberg am Lech und der Spöttinger Friedhof (1944–1958), München 2009