Loreley: Rheinland-Pfalz, 40 km südlich von Koblenz

Zwis­chen St. Goar­shausen und Ober­we­sel liegt in ein­er Rhein­schleife der Lore­leyfelsen. An dieser Stelle ist das Gebirge steil und der Fluß eng. Das Gestein ragt weit in das tief eingeschnit­tene Mit­tel­rhein­tal hinein. Der Lore­leyfelsen gehört zur markant gegliederten Ter­rassen­land­schaft ent­lang der engen Talschlucht. Der Ort ist so bekan­nt wie kaum ein ander­er in der Rhein­re­gion. Trotz häu­figer Ver­suche der Erk­lärung des Namens, ist seine Deu­tung nicht voll­ständig aufge­hellt. Das »lei« in »Lur­ley« oder »Lurlei« kön­nte für »Fels«, »Stein« oder »Schiefer« ste­hen, »lur« hinge­gen für »spähen«. Vom (männlichen) »Lurlei« hält man dem­nach Auss­chau.

Auf­grund sein­er gün­sti­gen Topogra­phie wurde der leg­en­de­num­wobene Berg von der Frühzeit an (Alt­stein- und Jung­steinzeit sowie späte Bronze- und Eisen­zeit) besiedelt. In der römis­chen Kaiserzeit spielte diese Gegend ein wichtige Rolle, was sich in einem spür­baren Bevölkerungszuwachs nieder­schlug. Auch in späteren Epochen übte das Zusam­men­spiel von Wass­er und Gebirge eine eige­nar­tige Fasz­i­na­tion auf die Men­schen aus. Im Mit­te­lal­ter sorgte der »Rit­ter von der Lore­ley« für Auf­se­hen, ein min­nereisender Held namens Wern­er Gutende.

Mit der Wende zur Neuzeit trat ein Wan­del der Wahrnehmung von Natur­denkmälern ein. Religiöse Akzente ver­loren an Rel­e­vanz. Statt dessen ver­anstal­tete die von den Human­is­ten begrün­dete Wis­senschaft der »Kos­mo­gra­phie« inten­sive Ver­suche der Weltbeschrei­bung. In diesem Kon­text stellte man häu­figer das Phänomen des beson­deren Echos am Lore­leyfelsen her­aus, das eigen­tüm­lich stark hallt. Üblicher­weise wird angenom­men, daß der Schall in mehrere Felsen­gänge ein­dringt und aus jed­er Höh­le sich ein Wider­hall bemerk­bar macht.

Einen nach­halti­gen Ein­schnitt für die Lore­ley-Rezep­tion stellt das Zeital­ter der Roman­tik dar. Was vor 1800 wenig attrak­tiv war – als ein­för­mig, ermü­dend und gefährlich beschriebene Gegend –, wird kurz danach zu einem wirk­mächti­gen Mythos. Clemens Brentanos Roman God­wi enthält (in der Bal­lade »Zu Bacharach am Rheine«) die Frauengestalt der »Lore Lay«. Sie per­son­ifiziert
eine die Män­ner ins Verder­ben stürzende, unglück­liche und schöne »Zauberin«, die ins Kloster ver­ban­nt wird und sich auf dem Weg dor­thin in den Rhein stürzt. Der bekan­nte Echo-Felsen mutiert zum Frauen­na­men. Wesentliche Bestandteile dieser Dich­tung sind auf charak­ter­is­tis­che Weise roman­tisch: vom antiken Echo-Mythos über die per­sön­lich-schwärmerische Befind­lichkeit dieser Gestalt bis hin zur Wieder­bele­bung des Mit­te­lal­ters am Rhein.

Nach­dem Brentano die Grund­la­gen dafür gelegt hat­te, war es nur ein klein­er Schritt zur poet­is­chen Aus­gestal­tung der Lore­ley-Gestalt. Lore­ley-Fig­uren tauchen im Zeital­ter der Roman­tik öfter und in vie­len Vari­anten auf, etwa als »Hexe Lorelei« bei Joseph von Eichen­dorff. Die Lore­ley wurde im Zusam­men­wirken von Dich­tung und zunehmender Touris­tik in die Rhein­gaue dezi­diert zur män­ner­mor­den­den, auf dem Felsen thro­nen­den Schön­heit. So erstaunt es nicht, daß  angesichts der größer wer­den­den Zahl von Reisenden der Schrift­steller Aloys Schreiber in seinem Land­schafts­führer die kurze Zeit vorher neukreierte Erzäh­lung zur his­torischen Wahrheit umfunk­tion­ierte. So erschien auf dem Lur­ley eine Jungfrau, die aus Liebesleid betörend sang, so daß nicht wenige Män­ner, die der mod­er­nen Sire­nen-Sän­gerin lauscht­en, in den Strudeln des Flusses untergin­gen und ihre Schiffe an den Rif­f­en zer­schell­ten.

Mit Hein­rich Heines Lore­ley-Gedicht begann 1823 die bald über­all beachtete lyrische Ver­ar­beitung des Stoffes. Der Text ist bis heute berühmt und enthält als erste von vier Stro­phen: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, / Daß ich so trau­rig bin; / Ein Märchen aus alten Zeit­en, / Das kommt mir nicht aus dem Sinn.« Beson­ders ein­drucksvoll sind die von Heine geprägten Meta­phern wie »Abend­son­nen­schein« und »gold­enes Haar«. Trotz der her­aus­ra­gen­den  Bedeu­tung der Heine-Fas­sung hat die Ger­man­is­tik diese auch als den Beginn des Abstiegs gese­hen. Das Lore­ley-Motiv wurde im Anschluß an diese Poe­sie nur noch »wie eine abge­grif­f­ene Münze weit­ergegeben, die jed­er ver­wen­den und ver­w­erten zu dür­fen glaubte« (Rotraud Ehren­zeller-Favre). Nach Heine kam die Lore­ley-Dich­tung nicht mehr zur Ruhe. Sie ent­fal­tete eine lange Tra­di­tion und reicht bis zu Karl Valentin und Erich Käst­ner.

Auch in anderen Kün­sten wie der Musik fand dieser Mythos rege Auf­nahme. Heines Dich­tung wurde ver­tont von Friedrich Silch­er, den man als zeit­genös­sis­chen Meis­ter des Volk­liedes verehrte. Im Laufe der Zeit ent­standen weit­ere Ver­to­nun­gen. Die Opern­pro­duk­tio­nen, die sich um die Lore­ley drehen, reichen von Max Bruch bis zu William Vin­cent Wal­lace. Bekan­nt ist Paul Linck­es Operette Fräulein Lore­ley, die 1900 in Berlin uraufge­führt wurde.

Als blonde Frau repräsen­tiert Lore­ley ein reizvolles Sujet für die malerische Umset­zung der Sagengestalt. Carl Joseph Begas’€™ Gemälde »Lure­ley« ent­stand 1835. Carl Fer­di­nand Sohn stellte seine »Lore­ley« 1852/53 als »schön­ste Jungfrau« dar, Philipp von Foltz in den 1850er Jahren hinge­gen als eine »unsterbliche Wassernymphe«. Zur Zeit der Reich­seini­gung wird die Fig­ur zwar mehr und mehr poli­tisiert. Sie erre­icht jedoch, vor allem wegen des regionalen Bezuges, nicht jene nationale Akzen­tu­ierung, die der mon­u­men­tal­en Sym­bol­fig­ur der »Ger­ma­nia« zukommt. Zudem fungierte sie in den Jahren unmit­tel­bar vor 1871 nicht sel­ten als Akt­mod­ell, was eine Verbindung zu den poli­tis­chen Geschehnis­sen schwieriger machte. So galt die Betörerin wei­thin als denkmalun­fähig.

Die Lore­ley-Sage reicht bis in die Zeit des Nation­al­sozial­is­mus hinein. Als in der Frühzeit des »Drit­ten Reich­es« Thingstät­ten gefördert wur­den, sollte eine solche auch ober­halb des berühmten Felsens errichtet wer­den. Nach fünf Jahren war die Anlage, deren Bau sich durch tech­nis­che und finanzielle Schwierigkeit­en länger als erwartet hinge­zo­gen hat­te, fer­tiggestellt. Als die Amerikan­er die Region 1945 eroberten, hißten sie sym­bol­haft dort die Fahne, um die Ein­nahme des Rhein­lan­des anzuzeigen.

Nach 1945 stellte sich die Frage, was mit der nation­al­sozial­is­tis­chen Thingstätte, die unz­er­stört geblieben war, geschehen soll. Unter dem Inten­dan­ten Karl Siebold begrün­dete man Fest­spiele, die anfangs größere Erfolge verze­ich­neten. So erwies sich etwa die Auf­führung Die Nibelun­gen als Kassen­schlager. Freilich ver­siegte der Besuch­er­strom ab Mitte der 1950er Jahre. Klas­sis­che Auf­führun­gen ver­loren an Attrak­tiv­ität. Aus finanziellen Grün­den verzichtete die Kom­mune St. Goar­shausen bald auf Eigen­pro­duk­tio­nen. Seit den 1960er Jahren find­en dort regelmäßig
Rock­konz­erte statt.

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Lit­er­atur:

  • Rotraud Ehren­zeller-Favre: Lore­ley. Entste­hung und Wand­lung ein­er Sage, Flens­burg 1948.
  • Peter Lent­wo­jt: Die Lore­ley in ihrer Land­schaft. Roman­tis­che Dich­tungsal­le­gorie und Klis­chee. Ein lit­er­arisches Sujet bei Brentano, Eichen­dorff, Heine und anderen, Frank­furt a. M. et al. 1998.
  • Die Lore­ley. Ein Fels im Rhein. Ein deutsch­er Traum, hrsg. v. Mario Kramp und Matthias Schmandt, Mainz 2004