Teutoburger Wald: Nordrhein-Westfalen, zwischen Bielefeld und Detmold

»An dieser Schlacht im Teu­to­burg­er Walde hing das Schick­sal der Welt.« Es war kein gerin­ger­er als der Frei­heits­dichter Ernst Moritz Arndt, der 1813 zu dieser ulti­ma­tiv­en Bew­er­tung der Ereignisse im Jahre neun nach Chris­tus kam. In den ger­man­is­chen Wäldern hat­te der Cherusker­fürst drei Legio­nen des römis­chen Feld­her­rn Pub­lius Quinc­til­ius Varus aufgerieben und damit etwa ein Zehn­tel der gesamten Stre­itkräfte des Römis­chen Reich­es ver­nichtet. In Rom ließ Kaiser Augus­tus dem Geschichtss­chreiber Sue­ton zufolge sein­er Wut freien Lauf, brüllte seine zum geflügel­ten Wort gewor­dene Tirade hin­aus – »Varus, Varus, gib mir meine Legio­nen wieder!« – und soll sich aus Gram eine Zeit­lang Haare und Bart nicht mehr schnei­den lassen haben.

Im Deutsch­land des Jahres 1813 rück­te die welt­poli­tis­che Dimen­sion der mil­itärischen Nieder­lage Roms naturgemäß ganz beson­ders in den Blick, war man doch selb­st soeben mit der  Völk­er­schlacht bei Leipzig und dem Sieg über die napoleonis­chen Besatzungstrup­pen Zeuge eines Erleb­niss­es der nationalen Samm­lung gewor­den. Der Umstand, daß sich mit der Varuss­chlacht
die Aus­dehnung des römis­chen Wel­tre­ichs und damit mit­tel­bar die Ver­bre­itung der christlich-römis­chen Kul­tur um acht Jahrhun­derte verzögerte und vor­erst weit­er­hin der Rhein – und nicht die Elbe – die Gren­ze zwis­chen »Rom« und »Bar­baren« bildete, ist in sein­er his­torischen Dimen­sion evi­dent. Unmit­tel­bar nach den erfol­gre­ichen Befreiungskriegen wirk­te die Sen­sorik für die Erhe­bun­gen der Vor­fahren und jegliche Kohärenz der nationalen Bewe­gun­gen mithin um so mehr.

Im Jahr 1813 hat­te Ernst Moritz Arndt mit seinem Gedicht »Des Deutschen Vater­land« der all­ge­meinen Stim­mungslage präg­nan­ten Aus­druck ver­liehen. Bere­its 1805 hat­te er Napoleon mit den Feld­her­ren des alten Rom ver­glichen und einen »neuen Her­mann« als Heils­bringer gefordert. Auch nah­men Johann Got­tlieb Fichte und Hein­rich von Kleist (Die Her­mannschlacht) in ihrem Frei­heits­drang Bezug auf Arminius, eben­so Friedrich Lud­wig Jahn, der das Datum der Varuss­chlacht gar als Nation­alfeiertag etablieren wollte und mit ein­er fik­tiv­en »Rede des Arminius an die Deutschen vor der Teu­to­burg­er Schlacht« zum Waf­fen­gang gegen die Fran­zosen aufrief. Auch die His­to­rien­malerei griff das The­ma der Varuss­chlacht vom 19. Jahrhun­dert an ver­stärkt auf. Hat­te es bere­its im 18. Jahrhun­dert, etwa bei Friedrich Got­tlieb Klop­stock, vere­inzelt lit­er­arische Rück­griffe auf den Cherusker gegeben, so brach sich die nationale Sym­bo­l­ik in der Phase unmit­tel­bar nach den Befreiungskriegen vol­lends ihre Bahn.

Während man bei Regens­burg mit der Wal­hal­la (auch hier ist die Varuss­chlacht im Fries des Nordgiebels verewigt wor­den) Nation­al­ität und Klas­sizis­mus vere­inte und in Köln mit dem
fort­ge­set­zten Dom­bau ein Zeichen für die Ein­bindung des Nationalen in die christliche Vorstel­lungswelt set­zte, ließen auf dem Platz der früheren Groten­burg auf dem Teut­berg im Teu­to­burg­er Wald der Bild­hauer Joseph Ernst von Ban­del und der Pub­lizist und Poli­tik­er Moritz Leopold Petri dem Arndtschen Weck­ruf seit 1838 Tat­en fol­gen.

In ganz Deutsch­land kon­sti­tu­ierten sich vater­ländis­che Fördervere­ine, die selb­st in Hein­rich Heine (Lore­ley) einen Unter­stützer fan­den: »Zu Det­mold ein Mon­u­ment geset­zt; hab sel­ber sub­skri­bieret«, heißt es in seinem Werk Deutsch­land, ein Win­ter­märchen. Obwohl die Zer­e­monie zur Grund­stein­le­gung des Her­manns­denkmals in der Lit­er­atur als »rit­uell« umschrieben wird, ließ die Euphorie rund um den Bau offen­bar bald nach. Es kam zu Finanzierung­sprob­le­men, angesichts der­er Bild­hauer von Ban­del sein gesamtes Pri­vatver­mö­gen ein­set­zte. Es bedurfte mit dem Sieg über Frankre­ich und der Grün­dung des Deutschen Kaiser­re­ich­es (Ver­sailles) erst eines weit­eren nationalen Erweck­ungser­leb­niss­es, damit es zur Fer­tig­stel­lung kom­men kon­nte. Kaiser Wil­helm I. (Kyffhäuser) selb­st hat­te gemein­sam mit dem Reich­stag die fehlende Summe bere­it­gestellt und ließ es sich nicht nehmen, am 16. August 1875 gemein­sam mit 30 000 Zuschauern der feier­lichen Ein­wei­hung beizu­wohnen. Für Ernst von Ban­del, der während der Arbeit­en zeitweise in einem eigens errichteten Block­haus am Fuße des Denkmals gewohnt hat­te, bedeutete es die Vol­len­dung eines Leben­spro­jek­ts. Entkräftet starb er im Jahr darauf nach einem vier­monati­gen Kuraufen­thalt, den ihm der Kaiser bezahlt hat­te.

Das ins­ge­samt 53 Meter hohe und in ein­er Mis­chung aus gotis­chem und roman­is­chem Stil gehal­tene Denkmal gliedert sich in einen etwa 27 Meter hohen Unter­bau von run­dem Grun­driß, auf dem die knapp 27 Meter hohe und 42 Ton­nen schwere Fig­ur des Her­mann ste­ht, gek­lei­det mit Rüs­tung und Flügel­helm. Der rechte Arm reckt ein sieben Meter langes Schw­ert senkrecht und sieges­gewiß in die Höhe. Die Inschrift des Schw­ertes lautet: »Deutsche: Einigkeit: Meine: Staerke. Meine: Staerke: Deutsch­lands: Macht«. Der linke Arm ruht auf einem bauch­ho­hen Schild mit der Auf­schrift »Treufest«. Zu den Füßen liegen ein Adler und ein Ruten­bün­del.

Fast einein­halb Jahrhun­derte, bis 1945, galt die Schlacht im Teu­to­burg­er Wald gemein­hin als der Grund­stein der deutschen Geschichte – ein Pos­tu­lat, das später von His­torik­ern wie Felix Dahn (»Sieges­ge­sang nach der Varuss­chlacht«) und Theodor Momm­sen gestützt wurde. Auch der poli­tis­chen Rück­griffe gab es reich­lich: So bedi­ente man sich im Kul­turkampf des Denkmals eben­so wie bei den zahlre­ichen Anlässen, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts zur nationalen Selb­stvergewis­serung boten – bis hin zu Anlehnun­gen durch die Nation­al­sozial­is­ten. In einem Wandtep­pich für die Neue Reich­skan­zlei stellte etwa der Kün­stler Wern­er Pein­er die Varuss­chlacht dar. Gle­ich­wohl gilt die Wertschätzung der Nation­al­sozial­is­ten für den in der römis­chen Armee aus­ge­bilde­ten Arminius gemein­hin als über­schaubar. In der  Geschichtss­chrei­bung hinge­gen wurde die Schlacht im Teu­to­burg­er Wald lange Zeit ein­hel­lig als jen­er »Wen­depunkt der Welt­geschichte« bew­ertet, als den Theodor Momm­sen sie einst beze­ich­net hat­te. Ten­den­zen zur Rel­a­tivierung und Ent­poli­tisierung set­zten sich unter Alth­is­torik­ern erst in jüng­ster Zeit durch, während die Touris­musin­dus­trie der Inter­pre­ta­tion des Denkmals einen aus­drück­lich folk­loris­tis­chen Zun­gen­schlag ver­lieh; ins­beson­dere die Inter­pre­ta­tion als Entschei­dungss­chlacht eines »nationalen Befreiungskampfs« gilt gemein­hin als überkom­men. Dazu paßt, daß sich die His­to­ri­ogra­phie zulet­zt vor allem auf die Frage kaprizierte, ob die knapp 20 000 römis­chen Sol­dat­en nicht vielmehr nahe Kalkriese bei Bram­sche nördlich von Osnabrück den Tod fan­den. In der Tat hat­te schon Theodor Momm­sen 1885 einen Zusam­men­hang zwis­chen Münz­fun­den in der Kalkrieser-Niewed­der Senke und der Varuss­chlacht hergeleit­et. Ein­hun­dert Jahre später fand dann ein englis­ch­er Offizier mit einem Met­allde­tek­tor 162 römis­che Dinare, wom­it der Startschuß für ein Heer von Archäolo­gen gegeben war, den ver­meintlich wahren Ort der Varuss­chlacht zu unter­suchen. Dem wider­spricht die These, es kön­nte sich auch um Über­reste des späteren Rachefeldzugs des Ger­man­i­cus han­deln. Zwar hat sich die Wis­senschaft inzwis­chen mit dem Aus­grabung­sort Kalkriese arrang­iert, wis­senschaftlich unstrit­tig ist die Sach­lage gle­ich­wohl nicht. Trotz teil­weise spek­takulär­er Funde, ein­er bre­i­tan­gelegten Ver­mark­tungsstrate­gie und zahlre­ich­er Mel­dun­gen, die Varuss­chlacht sei nun »ein­deutig lokalisiert«, kon­nte das Geheim­nis jedoch bis heute nicht zweifel­los gek­lärt wer­den.

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Lit­er­atur:

  • Ernst Bal­tr­usch (Hrsg.): 2000 Jahre Varuss­chlacht. Geschichte – Archäolo­gie – Leg­en­den, Berlin 2012
  • Hans Jür­gen Koch: Wall­fahrtsstät­ten der Nation. Zwis­chen Bran­den­burg und Bay­ern, Frank­furt a. M. 1986
  • Rein­hard Wolters: Die Schlacht im Teu­to­burg­er Wald. Arminius, Varus und das römis­che Ger­manien, München 2008