Mühlmann, Wilhelm Emil, Anthropologe, 1904–1988

Wil­helm Emil Mühlmann war Fach­wis­senschaftler ohne ide­ol­o­gis­che oder poli­tis­che Ambi­tio­nen. Als Eth­nologe, Sozi­ologe und Anthro­pologe befaßte er sich mit den Gren­zge­bi­eten von Human­bi­olo­gie und Gesellschaft, ins­beson­dere der Sozi­olo­gie und Psy­cholo­gie der Beziehun­gen zwis­chen ver­schiede­nen Völk­ern.

Mühlmann, geboren am 1. Okto­ber 1904 in Düs­sel­dorf, studierte Anthro­polo­gie, Eth­nolo­gie und Sozi­olo­gie in Freiburg i.Br. und Berlin. Nach sein­er Pro­mo­tion arbeit­ete er in völk­erkundlichen Museen in Berlin und Ham­burg. Von 1939 bis 1945 war er Dozent für Völk­erpsy­cholo­gie und Eth­nolo­gie in Berlin. Ab 1950 lehrte er Eth­nolo­gie und Sozi­olo­gie in Mainz und von 1960 bis zu sein­er Emer­i­tierung 1970 in Hei­del­berg. Er führte Forschungsreisen nach Indi­en, Südostasien und Sizilien durch.

Mühlmann kam von der physis­chen Anthro­polo­gie, von der aus­ge­hend er sich in den 1930er Jahren zunächst sozial­bi­ol­o­gis­chen Siebungs- und Ausle­se­prozessen zuwandte. Er war der Auf­fas­sung, daß zum Ver­ständ­nis der sozial­bi­ol­o­gis­chen Selek­tions- und Ausle­se­prozesse in ein­er Gesellschaft die Ken­nt­nis ihrer Kul­tur notwendig ist (vgl. das unten ange­führte Zitat, dessen Beispiele genau genom­men natür­lich nur für die his­torische Führungss­chicht berechtigt sind). Die Darstel­lung sozi­ol­o­gis­ch­er Tat­sachen nimmt daher auch schon in sein­er Rassen- und Völk­erkunde von 1936 einen bre­it­en Raum ein. Sie unter­schei­det sich dadurch von der bis dahin noch über­wiegend beschreiben­den Rassenkunde.

Mühlmann inter­essierte sich vor allem für die Dynamik sozial­bi­ol­o­gis­ch­er und ethno­genetis­ch­er Vorgänge. Standen hier zunächst noch die innervölkischen Siebung­sprozesse im Mit­telpunkt, so wen­dete er sich bald schon den Prob­le­men von eth­nis­chen Kon­tak­ten und Assim­i­la­tion­sprozessen zu. Sein method­is­ch­er Ansatz war dabei ein phänom­e­nol­o­gisch-funk­tionaler, er faßte die Eth­nolo­gie als die „sozi­ol­o­gis­che The­o­rie intereth­nis­ch­er Sys­teme“ auf, zu deren Gegen­stand auch die europäis­chen Völk­er gehören. Mühlmann unter­schied zwis­chen der Rasse im biol­o­gis­chen Sinn und der Rasse im sozi­ol­o­gis­chen Sinn. In der Span­nweite der men­schlichen Kul­tur­erschei­n­un­gen sah er den Aus­druck der biol­o­gisch begrün­de­ten Mod­i­fika­tions­bre­ite des Men­schen. Er betonte den Wert der Intu­ition auf der Grund­lage bre­it­en Wis­sens bei der Beschrei­bung von sozi­ol­o­gis­chen Typen im Sinne Max Webers. In seinen empirischen Forschun­gen befaßte sich Mühlmann vor allem mit der Eth­nolo­gie Poly­ne­siens, der Sozialpsy­cholo­gie nativis­tis­ch­er Bewe­gun­gen als Reak­tion auf die west­liche Kolonisierung, mit Mahat­ma Gand­hi und patri­ar­chalis­chen Klien­tel­sys­te­men auf Sizilien.

Wil­helm Emil Mühlmann ver­starb am 11. Mai 1988 in Wies­baden.

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Zitat:

Ohne die Völk­erkunde ver­mag die Rassenkunde vie­len Prob­le­men nicht beizukom­men. Ein Beispiel: Prob­leme der Siebung und Auslese wer­den unter­sucht. Auch hier berück­sichtigt der Rassenkundler nur das Erbliche: Erb­fak­toren oder Men­schen bes­timmter (oder vielmehr nicht genau bes­timmter) erblich­er Ver­an­la­gung. Er ken­nt aber diese Ver­an­la­gung nicht, wenn er nicht die Siebungs­be­din­gun­gen in ein­er Gesellschaft ken­nt, wenn er nicht die kul­turellen Werte und die Wer­tord­nung ken­nt, nach der gesiebt wird. Die Ken­nt­nis dieser Dinge ver­mit­telt ihm die Völk­erkunde. Sie ver­mag etwa den Unter­schied in der seel­is­chen Ver­an­la­gung des Japan­ers oder des Chi­ne­sen zu erk­lären, wenn sie darauf hin­weist, daß jen­er nach dem Vor­bild des Kriegers, jen­er nach dem des Gelehrten gesiebt und gezüchtet ist.

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Schriften:

  • Stu­di­en zur Kul­tur- und Sozial­bi­olo­gie, in: Archiv für Rassen- und Gesellschafts­bi­olo­gie 23 (1931)
  • Ausle­se­prozesse in der men­schlichen Gesellschaft, in: Bre­mer Beiträge zur Natur­wis­senschaft, Bre­men 1933
  • Rassen- und Völk­erkunde, Braun­schweig 1936
  • Methodik der Völk­erkunde, Stuttgart 1938
  • Krieg und Frieden, Hei­del­berg 1940
  • Assim­i­la­tion, Umvolkung, Volk­w­er­dung, Stuttgart 1944
  • Die Völk­er der Erde, Berlin 1945
  • Geschichte der Anthro­polo­gie, Bonn 1948 (3. Auflage Wies­baden 1984)
  • Eth­nis­che Auf­stiegsas­sim­i­la­tion und Rassen­wan­del, in: Homo 1 (1949)
  • Zur The­o­rie der sozialen Siebung, in: Jahrbuch für Sozial­wis­senschaft 1 (1950)
  • Mahat­ma Gand­hi, Tübin­gen 1950
  • Eth­nolo­gie als sozi­ol­o­gis­che The­o­rie der intereth­nis­chen Sys­teme, in: Köl­ner Zeitschrift für Sozi­olo­gie und Sozialpsy­cholo­gie 8 (1956)
  • Homo Cre­ator. Abhand­lun­gen zur Sozi­olo­gie, Anthro­polo­gie und Eth­nolo­gie, Wies­baden 1962
  • Rassen, Eth­nien, Kul­turen. Mod­erne Eth­nolo­gie, Neuwied 1964

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Lit­er­atur:

  • H.P. Henec­ka: Mühlmann, Wil­helm Emil, in: Inter­na­tionales Sozi­olo­gen­lexikon, Bd. 2, Stuttgart 1984
  • Ernst Wil­helm Müller: Wil­helm Emil Mühlmann †, in: Zeitschrift für Eth­nolo­gie 114 (1989)
  • Ilse Schwidet­zky: Wil­helm Emil Mühlmann und die Anthro­polo­gie, in: Homo 38 (1987), erschienen 1989