1180 — Markgraf Otto I. stiftet Kloster Lehnin

Kaum vier Kilo­me­ter Luftlin­ie ent­fer­nt vom Lärm des Auto­bah­n­dreiecks Werder, wo die Auto­bahn 2 vom Berlin­er Ring gen West­en abzweigt, liegt — umgeben von Wäldern — das Kloster Lehnin. In der Mitte des 12. Jahrhun­derts, so will es die Grün­dungsle­gende, soll sich der bran­den­bur­gis­che Mark­graf Otto I. nach anstren­gen­der Jagd unter ein­er der zahlre­ichen Eichen ein Nick­erchen gegön­nt haben. Im Traum wurde er von einem weißen Hirsch attack­iert, der erst von ihm abließ, als Otto den Namen Christi anrief. Als er unversehrt aufwachte, legte er das Gelübde ab, an dieser Stelle ein Kloster zu erricht­en.

Auch poli­tisch paßte dem Mark­grafen die Kloster­grün­dung ins Konzept. Erst ein Viertel­jahrhun­dert zuvor hat­te der erste Mark­graf, Albrecht der Bär, nach einem entschei­den­den Sieg über den Slawen­fürsten Jaxa von Köpenick die Mark Bran­den­burg gegrün­det, die zu diesem Zeit­punkt allerd­ings nur aus der Alt­mark, dem östlichen Havel­land und der Zauche bestand. Ger­ade dort gab es zwis­chen Deutschen und Slawen­stäm­men regelmäßig Schar­mützel, bei denen die Deutschen oft genug das Nach­se­hen hat­ten und zurückge­drängt wur­den. Erst unter Otto I. gelang mit Hil­fe christlich­er Siedler, etwa aus Flan­dern, die Kon­so­li­dierung.

Zum Durch­bruch ver­half schließlich die Kloster­grün­dung in Lehnin, die erste in der Mark Bran­den­burg über­haupt, gewis­ser­maßen als „Brück­enkopf“ beson­ders tatkräftiger Chris­ten. Die Mis­sion­ierung der Zis­terzienser stützte daraufhin die weit­ere schrit­tweise Besied­lung gen Osten. Im Zuge der Ostkoloni­sa­tion kam den Zis­terziensern eine tra­gende Rolle zu, die für das mit­te­lal­ter­liche Europa weg­weisend war. Ohne den Orden wären die Chris­tian­isierung und die Ger­man­isierung Ostel­bi­ens im Hochmit­te­lal­ter kaum denkbar gewe­sen.

So wurde die Mark Bran­den­burg Zis­terzienser­land. Lehnin, Chorin, Zin­na sind dabei eben­so nur Beispiele wie Dober­an für Meck­len­burg oder Elde­na für Vor­pom­mern. “Über­all, wo die Ost­wand einen chorar­ti­gen Aus­bau, ein sauber gear­beit­etes Sakris­tei­häuschen oder das Dach infolge späteren Anbaus eine rechtwin­klige Biegung, einen Knick zeigt, über­all da mögen wir sich­er sein — hier waren Zis­terzienser”, schreibt Theodor Fontane in seinen Wan­derun­gen durch die Mark Bran­den­burg.

Am 21. März 1098 hat­ten im bur­gundis­chen Citeaux nahe Dijon 22 Benedik­tin­er ihren Orden durch die streng­ste Ein­hal­tung der Regeln des heili­gen Benedikt in Gebet und har­ter Arbeit erneuert. Von ihrer geistlichen Heimat waren sie fort­ge­zo­gen, weil sie deren Nieder­gang in Nach­läs­sigkeit und innerem Ver­fall nicht länger ertra­gen mocht­en. Benedikt galt seit der Grün­dung des Klosters auf dem Monte Cassi­no im Jahr 529 als Vater des abendländis­chen Mönch­tums. Von Citeaux aus ver­bre­it­eten die Mönche nun 500 Jahre später weit­er­hin den Grund­satz ihrer Lebens­führung -“Ora et lab­o­ra“ (Bete und arbeite!) -, ver­ban­den damit jedoch einen vielfälti­gen kul­turellen und zivil­isatorischen Anspruch. In Anlehnung an den Ort der Erneuerung nan­nten sie sich Zis­terzienser.

Mit dem Ein­tritt des heili­gen Bern­hard, der im Jahr 1113 gle­ich dreißig Edelleute mit­brachte, erlebte Citeaux einen enor­men Auf­schwung, der bald in ein­er regen Expan­sion­stätigkeit Aus­druck fand. Bern­hard selb­st grün­dete 1115 mit zwölf Mönchen die Abtei Clair­vaux, wo er als ein­er der großen Predi­ger des zweit­en Kreuz­zugs bekan­nt wurde. Auch am Rhein faßten die Zis­terzienser Fuß und grün­de­ten Nieder­las­sun­gen wie Kamp bei Rhein­berg am Nieder­rhein (1123), das als „zis­terzien­sis­ch­er Uradel“ gilt. Von Kamp bah­nte sich der Weg weit­er nach Osten. In direk­ter Abstam­mung wer­den im sel­ben Jahrhun­dert vierzehn Tochterk­löster bis nach Hid­densee genan­nt. Der Kam­per Stamm­baum, ein riesiges Gemälde im dor­ti­gen Muse­um aus dem Jahr 1728, verze­ich­net die Grün­dung von ein­hun­dert Klöstern bis Liv­land.

„Nie hat ein Orden einen rascheren und gewaltigeren Siegeszug über die Welt gehal­ten“, so Fontane. Fün­fzig Jahre nach Grün­dung des Ordens gab es in Mit­teleu­ropa bere­its über 500, weit­ere fün­fzig Jahre später sog­ar an die 2000 Zis­terzienserk­löster. Dazu kamen zahlre­iche Non­nen­klöster. Noch heute ste­hen klangvolle Namen in enger Verbindung zum Wirken der Zis­terzienser, so etwa Him­merod, Heis­ter­bach, Altenberg, Marien­statt, Maulbronn, Erbach, Heils­bronn, Salem, Schulp­for­ta.

Die hohe Zahl der zis­terzien­sis­chen Grün­dun­gen weist darauf hin, daß der Orden mit sein­er stren­gen Obser­vanz und der Zurück­ge­zo­gen­heit von den Städten das Lebens­ge­fühl viel­er mit­te­lal­ter­lich­er Men­schen traf. Mit kargem Essen, kargem Schlaf, har­ter Feld- und Bauar­beit soll­ten die Mönche — „Aussteigern“ ähn­lich — nur das Notwendig­ste zum Leben und Wohnen erwer­ben. Auf den Verzehr von Wein und von tierischem Eiweiß verzichtete man; gewöhn­lich gab es nur eine Mahlzeit am Tag. Zugle­ich zeigten sich die Mönche als begabte Bienen­züchter, gute Käsemach­er und erfol­gre­iche Bier­brauer. Es galt ein unbe­d­ingtes Schweigege­bot. Im Gegen­satz zu den clu­ni­azen­sis­chen Gewän­dern, die schwarz waren, trug man das Weiß der Benedik­tin­er mit schwarzem Über­wurf (Ska­puli­er) und tiefre­ichen­der Kapuze. Über­schüsse ihrer harten Fel­dar­beit durften nur zum Tausch gegen leben­snotwendi­ge Güter ver­wandt wer­den. Ursprünglich tat­en alle Mönche die gle­iche schwere Arbeit, und viele sollen diese Askese mit ein­er Lebenser­wartung von allen­falls 25 Jahren bezahlt haben.

Später wurde die Arbeit­spflicht der Mönche wegen ihrer litur­gis­chen Pflicht­en reduziert, somit ent­standen in Werk­stät­ten kost­bare Büch­er wie die „Kam­per Bibel“, die heute in der Stiftung Preußis­ch­er Kul­turbe­sitz auf­be­wahrt wird. An einen neuen Ort kamen sie jew­eils mit der Bibel, den Chor­büch­ern und eini­gen Reliquien, die in einen neuen Altar ein­gelegt wer­den soll­ten. Über hun­dert Zis­terzienser­mönche wur­den allein im 12. Jahrhun­dert zu Bis­chöfen, zwölf zu Kardinälen erhoben. Bis heute sind zwei Päp­ste, 44 Kardinäle und 580 Bis­chöfe aus dem Orden her­vorge­gan­gen, davon viele aus den rheinis­chen Nieder­las­sun­gen.

Die Kirchen der Zis­terzienser hat­ten schlicht zu sein und durften keine hochra­gen­den Türme, son­dern nur einen Dachre­it­er zur Auf­nahme der Glock­en besitzen. Den­noch haben die stren­gen Bau­for­men der Zis­terzienser die Gotik von Frankre­ich über das Rhein­land nach Osten getra­gen. Grund­sät­zlich iden­ti­fiziert man mit der Architek­tur der Zis­terzienser schlichte Back­stein­baut­en, die auf Türme verzicht­en und mit dem zier­lichen Dachre­it­er auskom­men müssen. Und doch, aller Beschei­den­heit zum Trotz: Als erfahrene Bauhandw­erk­er und fleißige Ziegel­bren­ner wur­den die Zis­terzienser während der Ost­sied­lung zu Pro­mo­toren der Back­stein­gotik.

Der Blütezeit des Ordens im Hochmit­te­lal­ter fol­gte der Ver­fall. Die stärk­er wer­dende Gruppe der Laien­brüder führte zu inneren Kon­flik­ten, hinzu kamen Hun­dertjähriger Krieg, Hus­sitenkriege, Pest und schließlich die Ref­or­ma­tion. Viele Zis­terzienserk­löster Ostel­bi­ens wur­den säku­lar­isiert, und schließlich macht­en neuge­grün­dete Bet­telor­den den Zis­terziensern Konkur­renz. Heute ver­sieht der Orden der Zis­terzienser mit Män­ner- und Frauen­klöstern vor allem seel­sorg­erische Tätigkeit­en. Der jet­zt gültige Tage­s­plan ori­en­tiert sich zumeist an der ursprünglichen Spir­i­tu­al­ität der früh­esten Mönch­sregel. Er begin­nt um 3.30 Uhr mit den Vig­ilien, dem nächtlichen Chorge­bet, und set­zt sich mit Gebet und Arbeit bei nur ein­er kurzen „Rekreation“ nach dem Aben­dessen fort bis zur Com­plet um 19 Uhr. Danach begin­nt das nächtliche Stillschweigen. So, wie es bere­its Grün­der Benedikt im sech­sten Jahrhun­dert gebot.

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Lit­er­atur:

  • Immo Eberl: Die Zis­terzienser. Geschichte eines europäis­chen Ordens, Ost­fildern 2002
  • H. Jür­gen Feuerstake/Oliver H. Schmidt (Hrsg.): Die Zis­terzienser und ihre Klöster in Bran­den­burg, Berlin 2005
  • Theodor Fontane: Wan­derun­gen durch die Mark Bran­den­burg, Bd. 3: Havel­land, Berlin 1880
  • Ter­ryl N. Kinder: Die Welt der Zis­terzienser, Würzburg 1997