Kaum vier Kilometer Luftlinie entfernt vom Lärm des Autobahndreiecks Werder, wo die Autobahn 2 vom Berliner Ring gen Westen abzweigt, liegt — umgeben von Wäldern — das Kloster Lehnin. In der Mitte des 12. Jahrhunderts, so will es die Gründungslegende, soll sich der brandenburgische Markgraf Otto I. nach anstrengender Jagd unter einer der zahlreichen Eichen ein Nickerchen gegönnt haben. Im Traum wurde er von einem weißen Hirsch attackiert, der erst von ihm abließ, als Otto den Namen Christi anrief. Als er unversehrt aufwachte, legte er das Gelübde ab, an dieser Stelle ein Kloster zu errichten.
Auch politisch paßte dem Markgrafen die Klostergründung ins Konzept. Erst ein Vierteljahrhundert zuvor hatte der erste Markgraf, Albrecht der Bär, nach einem entscheidenden Sieg über den Slawenfürsten Jaxa von Köpenick die Mark Brandenburg gegründet, die zu diesem Zeitpunkt allerdings nur aus der Altmark, dem östlichen Havelland und der Zauche bestand. Gerade dort gab es zwischen Deutschen und Slawenstämmen regelmäßig Scharmützel, bei denen die Deutschen oft genug das Nachsehen hatten und zurückgedrängt wurden. Erst unter Otto I. gelang mit Hilfe christlicher Siedler, etwa aus Flandern, die Konsolidierung.
Zum Durchbruch verhalf schließlich die Klostergründung in Lehnin, die erste in der Mark Brandenburg überhaupt, gewissermaßen als „Brückenkopf“ besonders tatkräftiger Christen. Die Missionierung der Zisterzienser stützte daraufhin die weitere schrittweise Besiedlung gen Osten. Im Zuge der Ostkolonisation kam den Zisterziensern eine tragende Rolle zu, die für das mittelalterliche Europa wegweisend war. Ohne den Orden wären die Christianisierung und die Germanisierung Ostelbiens im Hochmittelalter kaum denkbar gewesen.
So wurde die Mark Brandenburg Zisterzienserland. Lehnin, Chorin, Zinna sind dabei ebenso nur Beispiele wie Doberan für Mecklenburg oder Eldena für Vorpommern. “Überall, wo die Ostwand einen chorartigen Ausbau, ein sauber gearbeitetes Sakristeihäuschen oder das Dach infolge späteren Anbaus eine rechtwinklige Biegung, einen Knick zeigt, überall da mögen wir sicher sein — hier waren Zisterzienser”, schreibt Theodor Fontane in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg.
Am 21. März 1098 hatten im burgundischen Citeaux nahe Dijon 22 Benediktiner ihren Orden durch die strengste Einhaltung der Regeln des heiligen Benedikt in Gebet und harter Arbeit erneuert. Von ihrer geistlichen Heimat waren sie fortgezogen, weil sie deren Niedergang in Nachlässigkeit und innerem Verfall nicht länger ertragen mochten. Benedikt galt seit der Gründung des Klosters auf dem Monte Cassino im Jahr 529 als Vater des abendländischen Mönchtums. Von Citeaux aus verbreiteten die Mönche nun 500 Jahre später weiterhin den Grundsatz ihrer Lebensführung -“Ora et labora“ (Bete und arbeite!) -, verbanden damit jedoch einen vielfältigen kulturellen und zivilisatorischen Anspruch. In Anlehnung an den Ort der Erneuerung nannten sie sich Zisterzienser.
Mit dem Eintritt des heiligen Bernhard, der im Jahr 1113 gleich dreißig Edelleute mitbrachte, erlebte Citeaux einen enormen Aufschwung, der bald in einer regen Expansionstätigkeit Ausdruck fand. Bernhard selbst gründete 1115 mit zwölf Mönchen die Abtei Clairvaux, wo er als einer der großen Prediger des zweiten Kreuzzugs bekannt wurde. Auch am Rhein faßten die Zisterzienser Fuß und gründeten Niederlassungen wie Kamp bei Rheinberg am Niederrhein (1123), das als „zisterziensischer Uradel“ gilt. Von Kamp bahnte sich der Weg weiter nach Osten. In direkter Abstammung werden im selben Jahrhundert vierzehn Tochterklöster bis nach Hiddensee genannt. Der Kamper Stammbaum, ein riesiges Gemälde im dortigen Museum aus dem Jahr 1728, verzeichnet die Gründung von einhundert Klöstern bis Livland.
„Nie hat ein Orden einen rascheren und gewaltigeren Siegeszug über die Welt gehalten“, so Fontane. Fünfzig Jahre nach Gründung des Ordens gab es in Mitteleuropa bereits über 500, weitere fünfzig Jahre später sogar an die 2000 Zisterzienserklöster. Dazu kamen zahlreiche Nonnenklöster. Noch heute stehen klangvolle Namen in enger Verbindung zum Wirken der Zisterzienser, so etwa Himmerod, Heisterbach, Altenberg, Marienstatt, Maulbronn, Erbach, Heilsbronn, Salem, Schulpforta.
Die hohe Zahl der zisterziensischen Gründungen weist darauf hin, daß der Orden mit seiner strengen Observanz und der Zurückgezogenheit von den Städten das Lebensgefühl vieler mittelalterlicher Menschen traf. Mit kargem Essen, kargem Schlaf, harter Feld- und Bauarbeit sollten die Mönche — „Aussteigern“ ähnlich — nur das Notwendigste zum Leben und Wohnen erwerben. Auf den Verzehr von Wein und von tierischem Eiweiß verzichtete man; gewöhnlich gab es nur eine Mahlzeit am Tag. Zugleich zeigten sich die Mönche als begabte Bienenzüchter, gute Käsemacher und erfolgreiche Bierbrauer. Es galt ein unbedingtes Schweigegebot. Im Gegensatz zu den cluniazensischen Gewändern, die schwarz waren, trug man das Weiß der Benediktiner mit schwarzem Überwurf (Skapulier) und tiefreichender Kapuze. Überschüsse ihrer harten Feldarbeit durften nur zum Tausch gegen lebensnotwendige Güter verwandt werden. Ursprünglich taten alle Mönche die gleiche schwere Arbeit, und viele sollen diese Askese mit einer Lebenserwartung von allenfalls 25 Jahren bezahlt haben.
Später wurde die Arbeitspflicht der Mönche wegen ihrer liturgischen Pflichten reduziert, somit entstanden in Werkstätten kostbare Bücher wie die „Kamper Bibel“, die heute in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt wird. An einen neuen Ort kamen sie jeweils mit der Bibel, den Chorbüchern und einigen Reliquien, die in einen neuen Altar eingelegt werden sollten. Über hundert Zisterziensermönche wurden allein im 12. Jahrhundert zu Bischöfen, zwölf zu Kardinälen erhoben. Bis heute sind zwei Päpste, 44 Kardinäle und 580 Bischöfe aus dem Orden hervorgegangen, davon viele aus den rheinischen Niederlassungen.
Die Kirchen der Zisterzienser hatten schlicht zu sein und durften keine hochragenden Türme, sondern nur einen Dachreiter zur Aufnahme der Glocken besitzen. Dennoch haben die strengen Bauformen der Zisterzienser die Gotik von Frankreich über das Rheinland nach Osten getragen. Grundsätzlich identifiziert man mit der Architektur der Zisterzienser schlichte Backsteinbauten, die auf Türme verzichten und mit dem zierlichen Dachreiter auskommen müssen. Und doch, aller Bescheidenheit zum Trotz: Als erfahrene Bauhandwerker und fleißige Ziegelbrenner wurden die Zisterzienser während der Ostsiedlung zu Promotoren der Backsteingotik.
Der Blütezeit des Ordens im Hochmittelalter folgte der Verfall. Die stärker werdende Gruppe der Laienbrüder führte zu inneren Konflikten, hinzu kamen Hundertjähriger Krieg, Hussitenkriege, Pest und schließlich die Reformation. Viele Zisterzienserklöster Ostelbiens wurden säkularisiert, und schließlich machten neugegründete Bettelorden den Zisterziensern Konkurrenz. Heute versieht der Orden der Zisterzienser mit Männer- und Frauenklöstern vor allem seelsorgerische Tätigkeiten. Der jetzt gültige Tagesplan orientiert sich zumeist an der ursprünglichen Spiritualität der frühesten Mönchsregel. Er beginnt um 3.30 Uhr mit den Vigilien, dem nächtlichen Chorgebet, und setzt sich mit Gebet und Arbeit bei nur einer kurzen „Rekreation“ nach dem Abendessen fort bis zur Complet um 19 Uhr. Danach beginnt das nächtliche Stillschweigen. So, wie es bereits Gründer Benedikt im sechsten Jahrhundert gebot.
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Literatur:
- Immo Eberl: Die Zisterzienser. Geschichte eines europäischen Ordens, Ostfildern 2002
- H. Jürgen Feuerstake/Oliver H. Schmidt (Hrsg.): Die Zisterzienser und ihre Klöster in Brandenburg, Berlin 2005
- Theodor Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 3: Havelland, Berlin 1880
- Terryl N. Kinder: Die Welt der Zisterzienser, Würzburg 1997