Krieg

Krieg ist nicht zuerst die »Fort­set­zung der Poli­tik unter Beimis­chung ander­er Mit­tel«, wie Clause­witz meinte, son­dern in sein­er Vor- und Früh­form die Anwen­dung kollek­tiv­er Gewalt, ohne daß von »Poli­tik« im eigentlichen Sinn die Rede sein kön­nte. Der »Urkrieg« war eher jen­er Grup­pe­nag­gres­sion ähn­lich, die man an Schim­pansen beobacht­en kann, die Raubzüge gegen andere Hor­den unternehmen, aber auch einen regel­recht­en Impe­ri­al­is­mus ken­nen, der neben dem Zweck, sich begehrte Nahrungsquellen anzueignen oder Weibchen zu rauben, auch der bloßen Ver­drän­gung dient.

Zwar reichen unsere Ken­nt­nisse der Anfangsphase der Men­schheits­geschichte nicht, um auf strenge Analo­gie zu schließen, aber es spricht vieles dafür, daß noch die kriegsar­ti­gen Kon­flik­te zwis­chen homo sapi­ens und Nean­der­taler im Paläolithikum diesem Muster glichen. Der Jet­zt­men­sch bildete aber durch seine größere intellek­tuelle und soziale Kom­pe­tenz die ein­deutig über­legene Partei, so daß es anders als im Tier­re­ich weniger auf Kör­perkraft und Hor­den­stärke, son­dern darauf ankam, den Rüs­tungswet­t­lauf zwis­chen bei­den Arten zu beste­hen. Die Wech­sel­wirkung zwis­chen der Dif­feren­zierung ein­er Gesellschaft, dem Grad der tech­nol­o­gis­chen Entwick­lung und dem mil­itärischen Erfolg sollte den weit­eren Gang der Men­schheits- als Kriegs­geschichte (Geschichte) nach­haltig bes­tim­men.

Das heißt, es kann nicht nur der Schub in der Werkzeug- und Waf­fe­nen­twick­lung am Ende des Paläolithikums aus dem Krieg zwis­chen den bei­den Men­schenarten erk­lärt wer­den, es spricht auch vieles dafür, daß die dauernde Auseinan­der­set­zung zur Entste­hung und Sta­bil­isierung ganz neuer Sozial­for­men (Insti­tu­tion) führte, die dann auch als poli­tisch betra­chtet wer­den kön­nen: der Krieg stärk­te jeden­falls die Sol­i­dar­ität des Klans oder des Stamms, in der Vor­bere­itung des Kampfes, angesichts des errun­genen Tri­umphes oder genährt durch den Wun­sch, Rache für eine Nieder­lage zu nehmen; der Krieg förderte die Zen­tral­isierung der Macht und die Unter­schei­dung von Herrschaft und Knechtschaft, gab Kri­te­rien für die Gliederung und die Bes­tim­mung von Volljährigkeit und Heirats­fähigkeit durch das Merk­mal der Kriegstüchtigkeit an die Hand. Die Bedeu­tung des Krieges als »inte­gri­eren­der Bestandteil der bish­eri­gen men­schlichen Kul­turgeschichte« (Wil­helm E. Mühlmann) erk­lärt auch, warum über­mäßige Kul­tiviertheit regelmäßig zum Ver­fall der Kriegstüchtigkeit und dann zum Ver­fall des Staatswe­sens führte. Prim­i­tiv­eren und beson­ders kriegerischen Grup­pen kann deshalb aber kein prinzip­ieller Vor­rang zuge­s­tanden wer­den. Diese sind nur unter beson­ders gün­sti­gen Umstän­den in der Lage, ihre Unter­legen­heit in bezug auf Aus­rüs­tung und Organ­i­sa­tion durch beson­dere Härte und Aus­dauer zu kom­pen­sieren.

Der Wahrnehmung eines Zusam­men­hangs von fehlen­der Bere­itschaft zur Kriegführung und Dekadenz stand in Europa nach der Erfind­ung des Schießpul­vers und ander­er immer schreck­licher­er Waf­fen und der Erfahrung der beson­ders bluti­gen Kon­fes­sion­skriege seit dem 16. Jahrhun­dert der Ver­such gegenüber, die Menge der kon­ven­tionellen Kriegsregeln zu kod­i­fizieren und zu erweit­ern. Trotz der Bemühun­gen um ein Kriegsvölk­er­recht und trotz der ver­traglichen Abmachun­gen zwis­chen den Großmächt­en (Haager Land­krieg­sor­d­nung, Gen­fer Kon­ven­tion, Briand-Kel­logg-Pakt etc.) ist es aber bis in die Gegen­wart nicht gelun­gen, den Krieg wirk­lich und dauer­haft zu ächt­en. Man neigt lediglich zur Ver­schleierung sein­er Wirk­lichkeit, indem man nicht mehr von Krieg, son­dern von »Polizeimaß­nahme«, »Inter­ven­tion« etc. spricht.

Auch wer erwartet hat­te, daß die Per­fek­tion­ierung der Waffe selb­st in Gestalt der Atom­bombe zu ein­er Art von dauer­hafter Selb­st­block­ade des Krieges führen würde, muß sich ent­täuscht sehen. Spätestens mit dem Auftreten der »neuen Kriege« (Her­fried Mün­kler), die als »asym­metrische« geführt wer­den oder schon wieder an klas­sis­che Staatenkon­flik­te erin­nern, zeigt sich, daß der Krieg unaufheb­bar zum Wesen des Men­schen gehört.

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Zitate:

Es gibt nur drei respek­table Exis­ten­zen: der Priester, der Krieger, der Dichter.
Charles Baude­laire

Da die Geschichte nicht aufge­hört hat, ihre tragis­chen Dis­po­si­tio­nen zu tre­f­fen, kann nie­mand vorausse­hen, ob unsere Gewalt­losigkeit den Krieg nicht bloß auf unsere Kinder ver­schleppt.
Botho Strauß

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Lit­er­atur:

  • Robert Ardrey: Adam und sein Revi­er, München 1972.
  • Mar­tin van Crev­eld: Die Zukun­ft des Krieges [1998], zulet­zt Ham­burg 2004.
  • Mar­tin van Crev­eld: Die Gesichter des Krieges, Berlin 2009.
  • Carl von Clause­witz: Vom Kriege [1832], zulet­zt München 2008.
  • Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Krieg und Frieden aus Sicht der Ver­hal­tens­forschung [1975], zulet­zt München 1997.
  • Dirk Huse­mann: Als der Men­sch den Krieg erfand, Ost­fildern 2005.
  • John Kee­gan: Kul­tur des Krieges [1993/1995], zulet­zt Rein­bek bei Ham­burg 2003.
  • Ernst Nolte: His­torische Exis­tenz, München 1998.
  • Franz Uhle-Wet­tler: Der Krieg. Gestern – heute – mor­gen?, Ham­burg 2001.