Staat

Staat leit­et sich her vom ital­ienis­chen lo sta­to und ist erst seit der Renais­sance als Beze­ich­nung für eine dauer­hafte poli­tis­che Ord­nung gebräuch­lich, die in einem bes­timmten Gebi­et Mach­tausübung nach ratio­nalen Prinzip­i­en zuläßt. Diese Auf­fas­sung hat dazu geführt, die Staatlichkeit all jen­er poli­tis­chen Sys­teme in Frage zu stellen, die solchen Kri­te­rien nicht genü­gen: akephale und Stammes­ge­sellschaften eben­so wie Per­so­n­en­ver­bände nach dem Muster des Feu­dal­is­mus oder hochen­twick­elte Theokra­tien. Vol­lkom­men durchge­set­zt hat sich der engere Begriff des Staates zwar nicht, aber es spricht für diese Deu­tung, daß sie die Inter­pre­ta­tion der neuzeitlichen poli­tis­chen Entwick­lung Europas möglich macht und damit auch die Frage, wieso dieser Son­der­weg zu ein­er der­ar­ti­gen Mach­t­ent­fal­tung führen kon­nte.

Eine wesentliche Voraus­set­zung des Staates waren die Mod­ernisierungsvorgänge, die seit dem 14. Jahrhun­dert allmäh­lich zur Durch­set­zung von Zen­tral­ge­wal­ten führten, die ein weit­eres Ter­ri­to­ri­um kon­trol­lierten und von anderen – vor allem auch: kirch­lichen – Ein­flüssen weit­ge­hend frei waren. Ihnen gelang es, ein Gewalt­monopol zu schaf­fen und damit die Bedin­gung für die Befriedung des Staates im Inneren und Organ­i­sa­tion der Vertei­di­gung nach außen beziehungsweise Konzen­tra­tion der Kräfte zum Vorstoß gegen andere Staat­en.

Dieser Prozeß war bis zum 18. Jahrhun­dert weit­ge­hend abgeschlossen und fand im Abso­lutismus seinen Höhep­unkt. Allerd­ings wirk­ten sich die geisti­gen Verän­derun­gen der Neuzeit auch dahinge­hend aus, daß die Ent­mach­tung der Gesellschaft durch den Staat zunehmend in Frage gestellt wurde und sich in deren Inneren ver­schiedene Kräfte bün­del­ten, die die Macht des Staates her­auszu­fordern in der Lage waren. Dieser Vor­gang hing nicht zulet­zt mit dem Auf­stieg des Bürg­er­tums zusam­men und führte bis zum 19. Jahrhun­dert nicht nur zu Rev­o­lu­tio­nen, die die Abschaf­fung abso­lutis­tis­ch­er Monar­chien zur Folge hat­ten, son­dern auch zur Durch­set­zung eines Konzepts der Macht­teilung, das sei­ther als typ­isch europäis­ches Mod­ell des mod­er­nen Staates gilt.

Das Nebeneinan­der von Staat­en und Gesellschaft hat weit­er zur Folge gehabt, daß einzelne gesellschaftliche Grup­pen darangin­gen, die staatlichen Insti­tu­tio­nen ihrer Kon­trolle zu unter­w­er­fen, ihren Son­der­in­ter­essen dien­st­bar zu machen und Ele­mente der Staat­shoheit auszuhöhlen. Der so instal­lierte Plu­ral­is­mus hat­te zwar den Machtver­lust des Staates zur Folge, allerd­ings ohne die vor allem von Linken und Lib­eralen erwarteten wohltäti­gen Fol­gen. Vielmehr bah­nte sich eine krisen­hafte Entwick­lung an, die noch dadurch ver­stärkt wurde, daß die Sou­veränität des Staates durch Tech­nisierung, Indus­tri­al­isierung und den Prozeß der Glob­al­isierung nach­haltig in Frage gestellt wurde.

Das Ende des klas­sis­chen Staates, das bere­its in der ersten Hälfte des 20. Jahrhun­derts diag­nos­tiziert wurde, hat allerd­ings eine gewisse Rat­losigkeit angesichts der Frage erzeugt, was danach kom­men kön­nte. Opti­mis­ten glauben, daß die »Zivilge­sellschaft« zukün­ftig ohne die Korsettstan­gen des Staates auskom­men könne, während ger­ade kon­ser­v­a­tive Beobachter den Rück­fall in ein »neues Mit­te­lal­ter« befürcht­en, das von ähn­lich anar­chis­chen Zustän­den geprägt sein wird wie der Feu­dal­is­mus.

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Zitat:

… der Staat ist nicht eine bloße Man­u­fak­tur, Meierei, Asseku­ranz-Anstalt, oder merkan­tilis­che Soci­etät; er ist die innige Verbindung der gesamten physis­chen und geisti­gen Bedürfnisse, des gesamten physis­chen und geisti­gen Reich­tums, des gesamten inneren und äußeren Lebens ein­er Nation, zu einem großen ener­gis­chen, unendlich bewegten und lebendi­gen Ganzen.
Adam Müller

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Lit­er­atur:

  • Alexan­der Demandt: Antike Staats­for­men, Berlin 1995
  • Her­mann Heller: Staat­slehre [1934], Werke, Bd 3, zulet­zt Tübin­gen 1992
  • Roman Her­zog: Staat­en der Frühzeit. Ursprünge und Herrschafts­for­men [1988], zulet­zt München 1998
  • Hel­mut Quar­itsch: Staat und Sou­veränität, Frank­furt a.M. 1970
  • Carl Schmitt: Poli­tis­che The­olo­gie. Vier Kapi­tel zur Lehre von der Sou­veränität [1922], zulet­zt Berlin 1996
  • Carl Schmitt: Ver­fas­sungslehre [1928], zulet­zt Berlin 2003
  • Carl Schmitt: Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebun­den­er Begriff in ders.: Ver­fas­sungsrechtliche Auf­sätze [1958, zulet­zt Berlin 2003, S. 375–385
  • Oth­mar Spann: Der wahre Staat [1921], zulet­zt Graz 1972