1818 — Caspar David Friedrich malt die Kreidefelsen auf Rügen

„Krei­de­felsen auf Rügen“, „Abtei im Eich­wald“, „Der Wan­der­er über dem Nebelmeer“, „Zwei Män­ner in Betra­ch­tung des Mon­des“: Dies sind nur vier von schätzungsweise mehr als 300 Gemälden, die Cas­par David Friedrich in seinem 65jährigen Leben geschaf­fen hat. Auch 200 Jahre später sind Bekan­ntheits­grad und Wieder­erken­nungswert in weit­en Teilen des Volkes unge­brochen, seine Werke find­en sich auf Postkarten und Einkauf­s­taschen. Das war nicht immer so: Nach seinem Tod im Jahr 1840 geri­et der Kün­stler erst ein­mal in Vergessen­heit und teilte damit ein Schick­sal viel­er Kun­st­größen.

Der 1774 im damals schwedis­chen Greif­swald geborene Cas­par David Friedrich zog nach sein­er kün­st­lerischen Aus­bil­dung nach Dres­den. Dort ver­di­ent er mit Prospek­ten und Land­schaft­sradierun­gen seinen Unter­halt, betreibt vielfältige Stu­di­en in den Gemälde­samm­lun­gen und pflegt Kon­takt zu Malern und Kun­st­förder­ern. Nach dem Verkauf einiger Bilder reicht es für ein kleines Land­haus in Dres­den-Loschwitz.

Friedrichs frühe Land­schafts­bilder entste­hen in ein­er Zeit, die in der Lit­er­atur als Epoche der Empfind­samkeit (etwa 1740 bis 1790) gilt. Romane, The­ater­stücke und Gedichte dieser Ära sind Aus­druck ein­er Geis­te­shal­tung, in der Mitleid und Rührung, Wehmut, tief emo­tionale Liebe und innige Fre­und­schaften eine beson­dere Rolle spie­len. Die Akteure dieser Epoche fühlen sich in der Natur am wohlsten. In den damals vielz­i­tierten Ruinen­land­schaften schwingt die wehmütige Sehn­sucht nach ver­gan­genen Zeit­en mit: Was einst von Men­schen­hand geschaf­fen wurde, ist zer­fall­en; die Natur hat begonnen, es wieder in Besitz zu nehmen.

Im Gemälde „Eis­meer“ ver­ar­beit­et der Kün­stler in den Jahren 1823/24 ein früh­es Trau­ma: Als Kind brach er beim Schlittschuh­laufen ins Eis ein; sein Brud­er Christof­fer kon­nte ihn ret­ten, kam dabei aber selb­st ums Leben. Auch die Herkun­ft aus einem pietis­tis­chen Eltern­haus kommt in Friedrichs Gesamtwerk immer wieder zum Aus­druck. Zeit seines Lebens bleibt er ein tief religiös­er Men­sch. Für einen Skan­dal sorgt der Maler bere­its 1808 mit seinem Bild „Kreuz im Gebirge“, bess­er bekan­nt als „Tetsch­en­er Altar“. Zum Vor­wurf macht man ihm den Umstand, daß in einem religiösen Bild erst­mals nicht eine heilige Fig­ur, son­dern eine Land­schaft Haupt­ge­gen­stand der Darstel­lung ist. Der Dis­put mit Kun­stkri­tik­ern sorgt aber vor allem dafür, daß der Bekan­ntheits­grad Friedrichs weit­er steigt.

Typ­isch für Friedrich sind zudem die Rück­en­fig­uren, die vor allem zwis­chen 1818 und 1835 entste­hen: Nicht die abge­bildete Per­son scheint das Entschei­dende zu sein, son­dern der Blick der Fig­uren auf die sich vor ihnen — und let­ztlich auch vor den ein­samen Betra­chtern — aus­bre­i­t­ende Welt. Zwar hat es in der Malerei auch lange vor Friedrich Rück­en­fig­uren gegeben. Er ist es jedoch, der ihnen im Bild eine der­art promi­nente Stelle zuweist.

Viele Bild­mo­tive Friedrichs sind von sym­bol­is­ch­er Bedeu­tung, etwa die Fig­ur des ein­samen Wan­der­ers, die Tore und Fried­hof­sp­forten, die Felsen­schlucht und der Nebel. So kön­nen Motive wie der Fried­hof­sein­gang religiös als Pforte vom Dies­seits zum Jen­seits inter­pretiert wer­den. In ähn­lich­er Weise beschreiben die ank­om­menden oder abfahren­den Boote auf den Meere­san­sicht­en vielfach Momente eines räum­lichen oder zeitlichen Über­gangs, die den Men­schen als Teil ein­er vergänglichen Wirk­lichkeit zeigen, und berühren auf diese Weise Fra­gen nach dem Dies­seits und dem Jen­seits. Friedrich selb­st schrieb dazu die Verse: „Warum, die Frag’ ist oft zu mir ergan­gen, / Wählst du zum Gegen­stand der Malerei / So oft den Tod, Vergänglichkeit und Grab? / Um ewig einst zu leben, / Muß man sich oft dem Tod ergeben.“

Daß die Roman­tik gle­ich­wohl keinen radikalen Bruch mit der Aufk­lärung darstellt, arbeit­et Rüdi­ger Safran­s­ki in seinem Buch Roman­tik. Eine deutsche Affäre anschaulich her­aus. Vielmehr habe die Roman­tik Tra­di­tio­nen und Ten­den­zen des 18. Jahrhun­derts fort­ge­set­zt und darüber hin­aus auf den Vor­leis­tun­gen des Sturm und Drang und der Klas­sik aufge­baut. Gewiß darf das Roman­tis­che mit sein­er Waldein­samkeit, Todessehn­sucht und Liebeswehmut als Antwort auf die Entza­uberun­gen der Mod­erne gel­ten. Safran­s­ki: “Der roman­tis­che Geist ist vielgestaltig, musikalisch, ver­suchend und ver­sucherisch, er liebt die Ferne der Zukun­ft und der Ver­gan­gen­heit, die Über­raschun­gen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbe­wußte, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflex­ion. Der roman­tis­che Geist bleibt sich nicht gle­ich, ist ver­wan­del­nd und wider­sprüch­lich, sehn­süchtig und zynisch, ins Unver­ständliche vernar­rt und volk­stüm­lich, iro­nisch und schwärmerisch, selb­stver­liebt und gesel­lig, form­be­wußt und for­mau­flösend.”

Bei Cas­par David Friedrich kommt ein weit­eres Merk­mal der Roman­tik beson­ders zum Aus­druck: das Nationale. Im Unter­schied zu vie­len sein­er Kün­stlerkol­le­gen zieht es ihn nicht nach Ital­ien. Dage­gen reist er immer wieder in seine nord­deutsche Heimat — wo er 1818 eben die berühmten Krei­de­felsen auf Rügen verewigt. Ohne­hin atmet sein Gesamtwerk ein unverblümtes Beken­nt­nis zu Deutsch­land. Aus­ländis­che Motive sucht man vergebens, dafür formt sich im Laufe der Jahre eine Vor­liebe für die For­men der Gotik. Sie wird sein­erzeit nicht nur im deut­lichen Kon­trast zum Barock und Klas­sizis­mus gese­hen, son­dern gilt zugle­ich als urdeutsches Phänomen.

Dies paßt zu Friedrichs poli­tis­ch­er Ein­stel­lung. Als glühen­der Anhänger der nationalen Befreiungs­be­we­gung nimmt er es höchst wider­willig zur Ken­nt­nis, daß seine Wahlheimat Sach­sen an der Seite Napoleons ste­ht. Das eint ihn mit Per­sön­lichkeit­en wie Hein­rich von Kleist, Ernst Moritz Arndt und Theodor Körn­er, die in seinem kar­gen Dres­d­ner Ate­lier ein und aus gehen. Später, zur Zeit des Nation­al­sozial­is­mus, wird der „nordis­che Friedrich“ ob sein­er vater­ländis­chen Hal­tung und als Vor­bild für völkische Land­schafts­malerei verehrt.

Unbe­strit­ten gilt Cas­par David Friedrich bis heute als ein­er der Hauptvertreter der deutschen Frühro­man­tik, wen­ngle­ich ihm an gefühls­be­ton­ten oder gar kitschi­gen Verz­er­run­gen der Real­ität, wie sie mit der Roman­tik und ihrer Verehrung der schöpferischen Phan­tasie gemein­hin assozi­iert wer­den, selb­st nicht gele­gen war. So erscheinen seine Werke durch­weg wie von Über­flüs­sigem gere­inigt, anstatt fröh­lich und ver­spielt zu sein. Er selb­st umschrieb seinen Blick auf die Dinge sein­erzeit so: “Schließe dein leib­lich­es Auge, damit du mit dem geisti­gen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gese­hen, daß es zurück­wirke auf andere von außen nach innen.” Mit diesen Worten beschreibt er ein fun­da­men­tales Cre­do der Roman­tik: die Macht der Imag­i­na­tion.

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Lit­er­atur:

  • Ricar­da Huch: Die Roman­tik, Leipzig 1902
  • Jens Chris­t­ian Jensen: Cas­par David Friedrich. Leben und Werk, Köln 1999
  • Rüdi­ger Safran­s­ki: Roman­tik. Eine deutsche Affäre, München 2007
  • Her­rmann Zschoche: Cas­par David Friedrich auf Rügen, Dres­den 2007