Als der Nord-Ostsee-Kanal nach nur achtjähriger Bauzeit und ohne Überschreitung der geplanten Kosten am 21. Juni 1895 durch Kaiser Wilhelm II. mit einem international besetzten Schiffskonvoi unter Führung der kaiserlichen Yacht „Hohenzollern“ feierlich eröffnet wurde, erhielt die knapp 100 Kilometer lange erste Reichswasserstraße den Namen „Kaiser-Wilhelm-Kanal“. Dieser Name blieb ihr bis 1948 erhalten. Außer unter diesem alten Namen und dem heute gebräuchlichen „Nord-Ostsee-Kanal“ kennt man das sich von Kiel-Holtenau am Nordufer der Kieler Förde bis an den Unterlauf der Elbe bei Brunsbüttel diagonal durch Schleswig-Holstein hinziehende Wasserbauwerk in der internationalen Seemannssprache als „Kiel Canal“.
Mit dem Kanalbau wurde ein langgehegter Wunsch nicht nur norddeutscher Kaufleute und Kapitäne erfüllt: Der weitaus längere und sturmbedingt gefährlichere Seeweg rund um das Skagerrak an der Nordspitze Jütlands konnte fortan vermieden werden, davon profitieren Seefahrt und Handel zwischen Nordsee- und Ostseeraum bis heute. Zwar hatte es mit dem Ende des 18. Jahrhunderts erbauten Eider-Kanal bereits einen ersten ernsthaften Versuch gegeben, die Route zwischen Nord- und Ostsee durch eine künstliche Wasserstraße quer durch Schleswig-Holstein zu verkürzen, doch war dieses Bauwerk bereits zum Zeitpunkt seiner Entstehung eher unterdimensioniert ausgelegt gewesen.
Wichtig war der 1895 eröffnete Kanalbau auch aus militärstrategischer Sicht — die Verlegung größerer Flottenverbände von Kiel an die Deutsche Bucht konnte fortan schneller und im Bedarfsfall auch wesentlich diskreter verlaufen, weil sie nicht durch internationale Gewässer führen mußte. Der militärstrategischen Bedeutung des Kaiser-Wilhelm-Kanals war man sich auch in England von Anfang an sehr bewußt: Eine seiner ersten literarischen Würdigungen erfuhr das Bauwerk acht Jahre nach seiner Eröffnung durch den Roman The Riddles of the Sands (1903) von Robert Erskine Childers (deutscher Titel: Das Rätsel der Sandbank), dessen Ziel es war, die englische Öffentlichkeit wachzurütteln und auf die heraufziehende Bedrohung durch die kaiserliche Marine aufmerksam zu machen. Dem Kaiser-Wilhelm-Kanal wurde hier, weil die von Erskine Childers erdachte fiktive Bedrohung Englands vom ostfriesischen Wattenmeer und den dahinterliegenden Sielorten ausging, allerdings nur eine Nebenrolle zugestanden.
Unzweifelhaft die Hauptrolle füllte der Kaiser-Wilhelm-Kanal im ältesten deutschen Filmwerk aus, das laut späteren Rekonstruktionsversuchen (vor allem von Hauke Lange-Fuchs) wahrscheinlich zwei Tage vor der Eröffnung am 19. Juni 1895 gedreht wurde. Deutsch waren an diesem Film strenggenommen nur der Drehort im Bereich der Holtenauer Schleusen und der Anlaß, denn der Filmpionier Birt Acres war als Sohn englischer Eltern in den USA geboren worden. Der einminütige Film mit dem etwas irreführenden Titel Opening of the Kiel Canal zeigt — gemessen am Aussagewert späterer Dokumentarfilme — so gut wie nichts: drei Leute in einem den neuen Kanal befahrenden Ruderboot und einen Jungen mit Strohhut.
Die Eröffnungsfeierlichkeiten selbst gibt der Film also nicht wieder. Im Hintergrund sieht man allerdings einige Vorzeichen der nahen Einweihungsfeiern: auf dem Schleusenkopf stehende, mit Girlanden umwickelte Statuen und ein die Schwingen ausbreitender Reichsadler. Am gegenüberliegenden Ufer sind Fahnenmasten zu erkennen. Von einigen weiteren Filmen, die Acres in Kiel vor und nach der Feier drehte, sind nur Fragmente in Gestalt von Standfotos erhalten, doch die filmerische Pioniertat bleibt zu würdigen.
In technologischer Hinsicht gleichfalls bemerkenswert waren die Hoch- und Drehbrücken- sowie die Schleusenkonstruktionen. Der Kanal hat seit seiner Inbetriebnahme mehrere Ausbaustufen erfahren. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg kam es aufgrund der Abmessungen der nach 1900 gebauten Großkampfschiffe zu ersten Kanalerweiterungen. Vor allem aufgrund der notwendig werdenden Schleusenerweiterungen kostete der Ausbau bis 1914 deutlich mehr als der gesamte Kanalbau vor 1895.
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Literatur:
- Walter Schulz: Der Nord-Ostsee-Kanal. Eine Fotochronik der Baugeschichte, Heide 1986
- Hauke Lange-Fuchs: Birt Acres, Kiel 1987