“Holocaust gehört zu jenen starken Wörtern der Bibel, die auf dem Umweg über das Englische nun zu uns kommen”, schrieb Rudolf Walter Leonhard am 19. Januar 1979 in der Zeit. “Wir werden uns mit dem Wort schwer anfreunden können. Aber begreifen müssen wir es doch.”
Das aus dem Griechischen stammende Wort, das mit „Brandopfer“ übersetzt werden kann, bezeichnete im Englischen ursprünglich Katastrophen großen Ausmaßes und wurde seit den sechziger Jahren zunehmend im Hinblick auf den nationalsozialistischen Genozid an den Juden verwendet. Daß daraus schließlich auch im deutschen Sprachgebrauch der „Holocaust“ wurde, geht auf die gleichnamige vierteilige Fernsehserie (Untertitel: „Die Geschichte der Familie Weiss“) mit Meryl Streep und James Woods in den Hauptrollen zurück, die im April 1978 in den USA und im Januar 1979 in Westdeutschland erstmals ausgestrahlt wurde.
Sie schildert beispielhaft das Schicksal einer jüdischen Familie, die im Dritten Reich sämtliche Stationen der Verfolgung durchläuft: von der Reichskristallnacht über den Aufstand im Warschauer Ghetto und den Partisanenkrieg in der Ukraine bis hin zu Theresienstadt, Auschwitz und Sobibor. Ein paralleler Erzählstrang handelt vom Aufstieg eines jungen Deutschen zum eiskalten SS-Bürokraten. Die Serie war ein großer Erfolg; in den USA sahen sie etwa 100 Millionen Menschen, in der BRD bis zu 15 Millionen. In beiden Ländern hatte ihre Ausstrahlung einen starken Einfluß auf die Wahrnehmung und Interpretation des historischen Ereignisses, das fortan „Holocaust“ getauft wurde.
In den USA nutzten jüdische Organisationen massiv den Erfolg der Serie, um den NS-Genozid zu „amerikanisieren“ und gleichsam zu einer amerikanischen „Erinnerung“ zu machen. Einspruch kam u.a. von Holocaust-Papst Elie Wiesel, der befürchtete, die populäre Trivialisierung könnte die von ihm betriebene Quasi-Sakralisierung des Ereignisses sabotieren. Der Vorwurf, es handele sich bei der Produktion um eine unangemessen kitschige und reißerische Dramatisierung im Stile einer „Soap Opera“, spielte in Deutschland eine ungleich größere Rolle; jedenfalls zündete sie eine wahre Bombe aus Affekten und Emotionen aller Art.
Während man Wert und Unwert der Serie in den Massenmedien flächendeckend debattierte, wurde die Bundeszentrale für politische Bildung mit Zehntausenden Zuschriften aufgewühlter, orientierungssuchender Zuschauer überflutet; sie reagierte auch prompt mit einer entsprechend großen Flut an „Arbeitsmaterialien“ vor allem für den schulischen Gebrauch. Dies trat eine neue Welle der „Vergangenheitsbewältigung“ los: Holocaust wurde überwiegend als notwendiger, kathartischer „Tabubruch“ verteidigt, der die Chance biete, die verdrängte Schuld der Deutschen endlich ins Bewußtsein der Masse zu heben und sie für ein und allemal über die Übel des Nationalsozialismus aufzuklären.
Bekanntlich fand in der Folge weniger eine „Katharsis“ statt, als daß eine neue Ära ritualisierter Schuldkomplexe und politischer Instrumentalisierungen eingeleitet wurde, die bis heute ein zähes und immer wieder aufgefrischtes Zombieleben führt. Als 1994 Steven Spielbergs Schindlers Liste in den deutschen Kinos anlief, gab es kaum eine Kontroverse mehr: Der Hollywood-Film wurde von staatlicher Seite — etwa von Roman Herzog — als sozialpädagogisches Mittel ersten Ranges gepriesen, zu dessen ehrfürchtigem Besuch unzählige Schulklassen verdonnert wurden.
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Literatur:
- Martin Lichtmesz: Besetztes Gelände. Deutschland im Film nach 1945, Schnellroda 2010
- Peter Märthesheimer/Ivo Frenzel (Hrsg.): Im Kreuzfeuer: Der Fernsehfilm “Holocaust”. Eine Nation ist betroffen, Frankfurt a.M. 1979
- Peter Novick: Nach dem Holocaust, München 2001
- Marcus Stiglegger: Auschwitz-TV — Reflexionen des Holocaust in Fernsehserien, Wiesbaden 2014