410 — Die Westgoten unter Alarich erobern Rom

Fast 800 Jahre lang hat­te kein feindlich­es Heer die Stadt Rom erobern kön­nen. Nach der Gal­lier­in­va­sion unter König Bren­nus 387 v. Chr. war es erst in der Spä­tan­tike wieder soweit. Der West­gotenkönig Alarich stand mit ein­er riesi­gen Stre­it­macht vor den Mauern der Stadt. Eine Belagerung war über­flüs­sig, denn am 24. August 410 n. Chr. öffneten einige Sklaven das Salarische Tor an der Mauer des Aure­lian, und die Ger­ma­nen kon­nten unge­hin­dert in die Stadt ein­drin­gen.

Es war ein Ereig­nis, das den Zeitgenossen uner­hört schien und das die Chris­ten, vor allem der Kirchen­vater Augusti­nus und sein Schüler Paulus Oro­sius, als eine Zeit­en­wende ansa­hen. Der gal­lo-römis­che Schrift­steller Pros­per Tiro von Aqui­tanien berichtet über diese Zeit: „Sowohl in den ländlichen Gegen­den wie in den Städten bewahrte nichts seinen früheren Zus­tand. Alles stürzte in den Abgrund.“

395 n. Chr. war das Römis­che Reich unter den Söh­nen des Kaisers Theo­do­sius geteilt wor­den. Die west­liche Hälfte erhielt der noch unmündi­ge Hon­o­rius. Zeitzeu­gen schildern ihn als einen Schwachkopf, der sich nur dank des Bei­s­tandes seines Heer­führers Stili­cho auf dem Thron hal­ten kon­nte. Dieser Stili­cho wehrte auch die ersten Inva­sionsver­suche der Goten unter ihren Anführern Alarich und Rada­gais in Nordi­tal­ien ab. Damit war eine frühe Welle der Völk­er­wan­derung verebbt. Doch im August 408 fiel Stili­cho ein­er Palastin­trige zum Opfer und wurde ermordet.

Als Reichshaupt­stadt Westroms fungierte seit 402 die Stadt Raven­na; sie lag mit­ten im sump­fi­gen Flußdelta des Po und galt als unein­nehm­bar. Hier wartete Kaiser Hon­o­rius untätig den Vor­marsch der Goten ab, der sich vor allem gegen die damals noch uner­meßlich reiche Stadt Rom richtete. Eine erste Belagerung hob der inzwis­chen zum Heerkönig aufgestiegene Alarich 408 gegen Zahlung eines gewalti­gen Lösegeldes (u.a. 5000 Pfund Gold und Tausende Sei­dengewän­der) wieder auf.

Zwei Jahre später ver­langte der Gote von Hon­o­rius eine Ver­sorgung sein­er hungern­den Krieger mit Getrei­de. Doch der Kaiser im sicheren Raven­na zeigte sich unwillig, und nach mehrwöchi­gen ergeb­nis­losen Ver­hand­lun­gen erschien Alarichs Heer 410 aber­mals vor Rom. Es fol­gte eine dre­itägige Plün­derung, ein Teil der Stadt ging in Flam­men auf. Wobei die Römer sich zu jen­er Zeit nach der Eroberung ein­er Stadt meist nicht zivil­isiert­er benah­men. Zeitzeu­gen bericht­en, daß die Ger­ma­nen zumin­d­est das Asyl­recht christlich­er Kirchen respek­tierten: “Mit­ten in dem Tumult bewegt sich eine feier­liche Prozes­sion vom Quiri­nal-Hügel über das Mars­feld und die Tiber­brücke nach der Kirche des Apos­tels Petrus auf dem Vatikan. Die glänzende Leib­wache des Königs, ganz in Schar­lach gek­lei­det, ist zum Schutze aufgestellt; Diener tra­gen gold­ene und sil­berne Gefäße voran. Verängstigte Römer eilen aus ihren Schlupfwinkeln her­vor, um sich dem Zug anzuschließen. Es sind die dem Apos­tel gewei­ht­en Geräte, die man zur Kirche führt, nach­dem sie ein from­mer Gote im Haus ein­er gottge­heiligten Jungfrau ent­deckt hat.”

Unter den Gefan­genen befand sich auch Gal­la Placidia, die Stief­schwest­er des Kaisers Hon­o­rius. Ver­mut­lich plante Alarich, die junge Dame als Geisel zu ver­wen­den oder durch sie in die weströmis­che Kaiser­dy­nas­tie einzuheirat­en. Tat­sache ist, daß Gal­la schließlich Alarichs Nach­fol­ger Athaulf heiratete und so kurzzeit­ig Köni­gin der West­goten wurde. Ver­sorgungss­chwierigkeit­en — sein Heer umfaßte etwa 80000 Krieger mit Frauen und Kindern — zwan­gen Alarich zum baldigen Abzug aus Rom. Wenige Wochen später starb der kaum 40jährige König uner­wartet. Der Nim­bus Roms war mit der Eroberung von 410 dahin, der Schw­er­punkt des Reich­es ver­lagerte sich immer mehr nach Raven­na und Kon­stan­tinopel. Die ein­stige Welt­metro­pole ver­sank in der Bedeu­tungslosigkeit. Der Kirchen­lehrer Hierony­mus schrieb: “Die Stimme stockt mir, und mein Schluchzen unter­bricht alle Worte, die ich hier schreibe. — Die Stadt Rom ist ein­genom­men, welche die ganze Welt besiegt hat.”

Da im The­ater der Antike auf jedes Dra­ma eine Komödie fol­gen mußte, sei hier der Bericht des byzan­ti­nis­chen Geschichtss­chreibers Proko­pios von Cae­sarea zitiert: “Wie man erzählt, hat­te damals der Kaiser Hon­o­rius einen Eunuchen, welch­er die Auf­sicht über seinen Hüh­n­er­hof führte; dieser meldete ihm, daß Rom ver­loren sei. Er aber schrie laut und sagte: “Sie hat doch eben noch aus mein­er Hand gefressen.” Der Kaiser besaß näm­lich eine sehr schöne Henne, die Roma hieß. Da begriff der Eunuch, was Hon­o­rius meinte, und erk­lärte, daß die Stadt Rom von Alarich zer­stört sei. Darauf soll der Kaiser gesagt haben: “Ach, ich glaubte schon, meine Henne, die Roma, wäre gestor­ben.””

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Lit­er­atur:

  • Rigob­ert Gün­ther: Vom Unter­gang Westroms zum Reich der Merowinger, Berlin 1984
  • Peter Heather: Der Unter­gang des Römis­chen Wel­tre­ich­es, Stuttgart 2007
  • Michael Kulikows­ki: Die Goten vor Rom, Darm­stadt 2009