429 — Vandalenstaat in Nordafrika

Die Urheimat der Van­dalen liegt in Var­namo, ein­er Kle­in­stadt in der schwedis­chen Prov­inz Smoland. Die Van­dalen gal­ten als das beweglich­ste Volk der Völk­er­wan­derungszeit. Der Jahrzehnte währende Wan­derzug der Van­dalen führte sie zunächst aus ihren Stammes­ge­bi­eten in Süd­westschwe­den und Nord­däne­mark in das Gebi­et des ein­sti­gen Schle­sien, später nach Ungarn und Rumänien, schließlich quer durch Süd­deutsch­land nach Frankre­ich und Spanien, wo sie zwanzig Jahre blieben, um dann nach Nordafri­ka überzuset­zen und dort ein in den ganzen Mit­telmeer­raum ausstrahlen­des Reich zu grün­den.

Die antiken Quellen, die über die Van­dalen und Geis­erich bericht­en, liefern ein zweit­eiliges Bild. Ver­wun­der­lich ist, daß im Gegen­satz zu den Goten, Lan­go­b­ar­den, Franken oder Angeln kein antik­er Autor ein eigenes Werk über die Van­dalen ver­faßt hat. Ihre Geschichte muß daher aus ver­schiede­nen, in der antiken Lit­er­atur ver­streuten Nachricht­en rekon­stru­iert wer­den. Geschichtss­chreiber wie Plin­ius und Tac­i­tus sind die ersten, welche die Van­dalen erwäh­nen. Sie betra­cht­en diese aus kul­tureller und geo­graphis­ch­er Sicht als eine der großen ger­man­is­chen Stammes­grup­pen.

Gehäuft treten die Van­dalen in den Blick­punkt antik­er Autoren mit der Herrschaft Geis­erichs, der 428, nach dem Tod seines Halb­brud­ers Gun­derich, ihr König wurde. Ger­ade die Quellen aus dieser Zeit über­mit­teln ein dur­chaus gegen­sät­zlich­es Bild der Van­dalen. Wie das Bild dabei aus­fällt, hängt stark davon ab, welche Inter­essen der Schreiber mit sein­er Darstel­lung der Van­dalen ver­tritt. Ein­er­seits find­et sich eine durchge­hend neg­a­tive Darstel­lung als grausame, von „bar­barisch­er Wild­heit“ getriebene Ket­zer, ander­er­seits erken­nt man in ihnen ein tugend­haftes Gegen­bild zu den Römern.

Ein Bild beson­der­er Tugend­haftigkeit zeich­nete Sal­vian um 450 n.Chr.: „Es gibt keine Tugend, in welch­er wir Römer die Wan­dalen übertr­e­f­fen. Wir ver­acht­en sie als Ket­zer, und doch sind sie stärk­er als wir an Gottes­furcht. — Wo Goten herrschen, ist nie­mand unzüchtig außer den Römern, wo Wan­dalen herrschen, sind selb­st die Römer keusch gewor­den. — Gott führte sie über uns, um die ver­wahrlosten Völk­er durch die reinen zu strafen.“

Das von den Quellen geze­ich­nete Bild Geis­erichs hebt dessen Bedeu­tung her­vor, wobei nahezu zwangsläu­fig auch dessen harte Züge ins Licht gerückt wer­den. Felix Dahn schrieb nach Auswer­tung der ihm bekan­nten Quellen: „König Geis­erich ist eine der gewaltig­sten Gestal­ten der helden­re­ichen Zeit der Völk­er­wan­derung. Er war kurz von Gestalt, seit seinem Sturz mit dem Pferde hink­end, ver­hal­ten, wortkarg, abge­härtet, jäh­zornig, habgierig, „höchst geschickt, unter die Men­schen den Samen der Zwi­etra­cht zu wer­fen — ein Zug der an Odhin erin­nert -, rasch­er mit der Tat fer­tig als andere mit dem Entschluß. Mit Arglist, Treubruch und Ver­rat entreißt er den Römern seines Reich­es Haupt­stadt Kartha­go, die Wälle ander­er Städte wer­den geschleift, kün­fti­gen Wider­stand unmöglich zu machen. Ohne geregelte Landteilung nimmt er so viel Land für sich und seine Van­dalen, als er braucht. Empörun­gen im eige­nen Volk wer­den blutig niedergeschla­gen. Alle erre­ich­baren Küsten und Inseln des Mit­telmeeres wer­den geplün­dert. Wenn sein gefürchtetes Raub­schiff in See sticht, beze­ich­net er dem fra­gen­den Steuer­mann kein bes­timmtes Ziel, son­dern läßt sich von Wind und Welle gegen solche Men­schen tra­gen, „welchen Gott zürnt, ein echt sagen­hafter Zug, der die Auf­fas­sung der Zeit wider­spiegelt.“

Die Lebens­dat­en Geis­erichs — der fast ein halbes Jahrhun­dert lang König der Van­dalen war — zeigen, daß er ein Men­sch war, der Ungewöhn­lich­es erre­icht hat: Ab 419 schafft Geis­erich dem Reit­er­volk der Van­dalen eine starke Flotte, 429 set­zt er sein Volk in ein­er logis­tis­chen Meis­ter­leis­tung nach Nordafri­ka über — der dama­li­gen Kornkam­mer des Römis­chen Reich­es. Er erobert Nordafri­ka. Die nach Rom zweit­größte Stadt des weströmis­chen Imperi­ums — Kartha­go — wird Metro­pole des Van­dalen­staates.

Das höch­stens 80000 Men­schen umfassende Volk der Van­dalen mit max­i­mal 15000 bis 20000 eige­nen Kriegern bildet auf dem afrikanis­chen Kon­ti­nent nur eine kleine Min­der­heit. Trotz­dem glückt es Geis­erich, Afri­ka sowohl zu beherrschen als auch zu befrieden. 455 erobert Geis­erich Rom, ohne es zu zer­stören, und ver­weist Byzanz in seine Schranken. Von 428 bis 477 bes­timmt Geis­erich als König das Schick­sal der Van­dalen — eine Zeit, in der die Van­dalen von ein­er unruhi­gen Völk­er­schaft auf Wan­derung zu einem seßhaften Volk auf nordafrikanis­chem Boden wer­den.

Geis­erichs mitunter düstere Größe kommt auch darin zum Vorschein, daß einige Zeitgenossen in ihm gar den Antichrist erblick­ten. Da nach der Vorstel­lung der frühen Chris­ten die Welt endlich war und man für ihre Dauer in der Regel 6000 Jahre anset­zte, wobei die Erschaf­fung der Welt auf das Jahr 5500 v. Chr. fest­gelegt wurde, schien um das Jahr 500 das Wel­tende zu dro­hen. Ein­läuten sollte das apoka­lyp­tis­che Spek­takel der Auftritt des Antichrists — ein Wesen von asym­metrisch­er Gestalt. Viele Katho­liken glaubten daher in dem seit seinem Sturz vom Pferd stark hink­enden Geis­erich den Satan zu erblick­en, zumal in der zeit­genös­sis­chen Chronik Liber Genealo­gus die griechis­che Schreib­weise des Namens Geis­erich (Genserikos) als „endzeitlich­es Tier“ inter­pretiert wer­den kon­nte.

Die Haup­tur­sache für seine Brand­markung als Antichrist lag jedoch ver­mut­lich darin begrün­det, daß Geis­erich zwar Christ, aber kein Katho­lik war. Während des zwanzigjähri­gen Aufen­thalts in Spanien waren die Van­dalen zum Ari­an­is­mus über­ge­treten. Da fast alle Berichte über die Van­dalen aus katholis­ch­er Hand stam­men, fall­en sie über­wiegend neg­a­tiv aus. Die Plün­derung Roms unter Geis­erich diente dem Abbé Hen­ri Bap­tiste Gré­goire schließlich dazu, den Bilder­sturm gegen feu­dale und klerikale Sym­bole durch die Jakobin­er während der Franzö­sis­chen Rev­o­lu­tion mit der Wortschöp­fung van­dal­isme zu geißeln. Ein unpassender Ver­gle­ich. Zwar hat­ten die Van­dalen in Rom Kun­straub im großen Stil betrieben, aber dabei wed­er ein Blut­bad angerichtet, geschweige denn sinn­los zer­stört.

Nicht Haß, son­dern Begehren hat­te die Kul­tur Roms in ihnen erweckt. Seit dem 19. Jahrhun­dert gab und gibt es daher immer wieder Ver­suche, ihnen und ihrem König Gerechtigkeit wider­fahren zu lassen. Doch selb­st größere Ausstel­lun­gen über die Van­dalen, so 2001 in Schwe­den (Var­namo) und 2009 im Badis­chen Lan­desmu­se­um Karl­sruhe, führten allen­falls zu kurzfristi­gen Kursko­r­rek­turen. Zu fest sitzt offen­sichtlich der Begriff „Van­dal­is­mus“ für enthemmte Zer­störungswut.

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Lit­er­atur:

  • Emile F. Gau­ti­er: Geis­erich — König der Wan­dalen. Die Zer­störung ein­er Leg­ende, Frank­furt a.M. 1934
  • Claus Hat­tler (Hrsg.): Das Kön­i­gre­ich der Van­dalen. Erben des Imperi­ums in Nordafri­ka, Mainz 2009
  • Roland Steinach­er: Die Van­dalen. Auf­stieg und Fall eines Bar­baren­re­ichs, Stuttgart 2016