558 — Radegunde aus Thüringen gründet das Frauenkloster in Portiers

Bis ins Jahr 531 umfaßte das Kön­i­gre­ich Thürin­gen die heuti­gen Städte Halle, Leipzig und Erfurt, nach Süden hin auch Würzburg sowie Nürn­berg und ging ein gutes Stück südöstlich darüber hin­aus. Drei Erben beherrscht­en es. Der fränkische Merowingerkönig Chlothar (dessen Vater Chlod­wig als erster ger­man­is­ch­er Herrsch­er zum nicht-ari­an­is­chen Katholizis­mus über­ge­treten war) eroberte das Reich in der Schlacht an der Unstrut bei Burgschei­dun­gen im Jahr 531. Radegunde/Radegundis als hei­d­nis­che Tochter des Thüringerkönigs Berthachar gehörte zur Kriegs­beute. Chlothar brachte Rade­gunde nach Athies an der Somme (heute: 600 Ein­wohn­er) und ließ sie dort christlich unter­weisen.

„Sie ergriff nicht bloß mit Inbrun­st die christliche Lehre, son­dern sie eignete sich auch die lateinis­che Sprache und Bil­dung an. Zur lieblichen Jungfrau erblüht, mußte sie zu Sois­sons Chlotachar [d.i. Chlothar, E.K.] ihre Hand reichen, der eben­so grausam und zügel­los war wie die meis­ten Merowinger und that­säch­lich in Viel­weiberei lebte. Nur gezwun­gen schloß sie diese Ehe, die ihr keine Befriedi­gung gewähren kon­nte und bald bemerk­te Chlotachar, daß er keine Köni­gin, son­dern eine Nonne zur Frau habe. Werke der christlichen Mildthätigkeit, mit der größten Hinge­bung aus­geübt, füll­ten ihre Stun­den. Allem fürstlichen Aufwande, allem Schmucke völ­lig abgeneigt, lebte sie, soweit sie es ver­stohlen thun kon­nte, wie eine entsagende Büßerin und wurde schon am Hofe fast wie eine Heilige verehrt“ (Ernst Dümm­ler, 1888). Nach­dem ihr Gat­te ihren einzi­gen Brud­er ermor­den ließ, erre­ichte Rade­gunde durch Für­sprache des Bischofs Medar­d­us die räum­liche Tren­nung von Chlothar, ohne ihn als Gön­ner und Schutzher­rn zu ver­lieren. Ihre eige­nen Reichtümer ver­wen­dete Rade­gunde für den Bau eines großan­gelegten Frauen­klosters bei Poitiers, dem nicht sie selb­st als äbtissin vor­stand, son­dern ihre Ziehtochter Agnes.

Damit ent­stand aus den Hän­den ein­er Thüringerin um 558 das erste Frauen­kloster Europas (im Ori­ent, zunächst in Ägypten, hat­te es Non­nen­klöster bere­its im 4. Jahrhun­dert gegeben). Die Orden­sregel über­nahm Rade­gunde von Cae­sar­ius von Arles, der sich vor allem für eine strenge katholis­che Ortho­dox­ie und gegen den Semi­pela­gian­is­mus (die Ansicht, manche Men­schen seien zum Bösen bes­timmt) ein­set­zte. Bere­its Cae­sar­ius’ Schwest­er hat­te in Arles eine klöster­liche Frauenge­mein­schaft gegrün­det.

Äußer­ste Askese und Selb­st­geißelun­gen, wie sie später (etwa bei der hl. Jut­ta, der hl. Hed­wig, der hl. Elis­a­beth und schließlich Simone Weil) ger­adezu als Insignien weib­lich­er Heiligkeit und geistiger Anstren­gung ver­bre­it­et waren, prägten auch das Leben der Rade­gunde. Es wird berichtet, daß sie von Pflanzenkost und „Wass­er mit etwas Honig“ lebte, auf ein­er dürfti­gen, mit Asche bestreuten Decke schlief und sich in der Fas­ten­zeit gar kör­per­liche Martern zufügte und sich darüber hin­aus bis zur Selb­stauf­gabe Kranken wid­mete. Sog­ar Cae­sar­ius, der selb­st als radikaler Asket galt, ermah­nte Rade­gunde zur Mäßi­gung in ihren Fröm­migkeit­sübun­gen. Bei Rade­gun­des Tod 587 lebten etwa 200 Töchter aus dem fränkischen Adel in dem Kloster. Es heißt, daß mit ihnen „ein wilder und trotziger Geist“ in die from­men Mauern einge­zo­gen sei.

Rund tausend Jahre nach ihrem Tod (und genau zehn Jahre vor der Bartholomäus­nacht) schän­de­ten 1562 Hugenot­ten das Grab der Rade­gunde. Was an Reliquien gerettet wer­den kon­nte, dient heute der Verehrung am Wall­fahrt­sort, der Grabeskirche Sainte-Croix in Poitiers. In Frankre­ich wird die heilige Rade­gunde bis heute tief und an zahlre­ichen Orten verehrt, während entsprechende Stät­ten (oder Straßen­be­nen­nun­gen etc.) in ihrer Heimat Mit­teldeutsch­land rar sind.

Die Kunde von Rade­gun­des Leben und Werk ver­danken wir zum einen Venan­tius For­tu­na­tus, dem let­zten römis­chen Dichter (540–600/610), zum anderen der Ordenss­chwetser Bau­dovinia, die Rade­gun­des Vita um die Jahrhun­der­twende nach dem Tod der Heili­gen niedergeschrieben hat­te. Venan­tius, später Bischof von Poitiers, war „in ein geistlich­es und tadel­los­es Fre­und­schaftsver­hält­niß inniger Art“ (Dümm­ler) zu Rade­gunde getreten, das wir uns gemäß des Schrift­tums als edles Bratkartof­felver­hält­nis vorstellen dür­fen: Sie kochte für ihn, er unter­wies sie geistig und ver­faßte Gesänge in ihrem Auf­trag und gemäß ihrer Vision.

Sowohl Bau­dovinias als auch Venan­tius’ Hagiogra­phie find­en sich in den Mon­u­men­ta Ger­ma­ni­ae His­tor­i­cae, die mit­tler­weile dig­i­tal­isiert und frei abruf­bar vor­liegen.

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Lit­er­atur:

  • Venan­tius For­tu­na­tus: Vita sanc­tae Rade­gundis — Das Leben der heili­gen Rade­gunde, Stuttgart 2008
  • Dorothée Klein­mann: Rade­gunde. Eine europäis­che Heilige. Verehrung und Verehrungsstät­ten im deutschsprachi­gen Raum, Graz/Wien/Köln 2008