799 — Bündnis zwischen Karl dem Großen und Papst Leo III.

Im April 799 floh Papst Leo III. mit Hil­fe loyaler Diener und fränkisch­er Boten aus Rom. Er war zuvor nur knapp einem Atten­tat durch seine poli­tis­chen Geg­n­er, Teile des römis­chen Adels und der Kurie, Ver­wandte seines Vorgängers Hadri­an I., entkom­men. Unter mas­siv­en Vor­wür­fen (Ämter­verkauf, Meineid, sex­uelle Beziehun­gen) war Leo so fak­tisch seines Amtes beraubt wor­den. In dieser Sit­u­a­tion suchte er die Unter­stützung von Karl dem Großen, der mit den Eroberun­gen des Lan­go­b­ar­den­re­ichs in Nordi­tal­ien sowie Bay­erns und Kärn­tens zum entschei­den­den Macht­fak­tor Europas gewor­den war. Noch im Krieg gegen die Sach­sen ste­hend, hielt sich Karl seit Juni 799 in Pader­born auf; hier empf­ing er Leo III. mit allen Ehren im Juli in der Königsp­falz. „Hier fand“, so Rein­hold Schnei­der, „die erste Begeg­nung der bei­den Kro­nen­träger statt, deren Ein­heit und bald auf­brechende unver­söhn­liche Feind­schaft über das Mit­te­lal­ter bes­timmten: die größte Zeit des Abend­lan­des.“

Der König des Franken­re­ichs und der in seinem Amt bedro­hte Papst beri­eten und ver­han­del­ten mit hinzuge­zo­ge­nen Erzbis­chöfen und poli­tis­chen Beratern das weit­ere Vorge­hen, wobei man das Ergeb­nis nicht aus detail­lierten Quellen, son­dern „nur aus den Hand­lun­gen und Ereignis­sen des Herb­stes 799 und des Jahres 800 erschließen“ kann (Man­fred Balz­er). Die Chris­tian­isierung der Region man­i­festierend, errichteten Leo und Karl das Bis­tum Pader­born; Leo kehrte mit ein­er Esko­rte nach Rom zurück, wo er im Novem­ber 799 ein­traf. Unter dem Schutz Karls wurde Leo wieder in sein Amt einge­set­zt und die Pap­stop­po­si­tion aus­geschal­tet.

Als Karl im Jahr darauf nach Rom kam, bekräftigte Leo seine Unschuld in Form eines Reini­gung­sei­ds, wom­it die entschei­dende, in Pader­born getrof­fene Vere­in­barung mit welt­poli­tis­ch­er Dimen­sion real­isiert wer­den kon­nte: die Kaiserkrö­nung Karls am 25. Dezem­ber 800. Daß Leo III. den Frankenkönig zum römis­chen Kaiser krönte und salbte, bedeutete die „ren­o­va­tio“ bzw. „trans­la­tio imperii“, die Erneuerung der weströmis­chen Reich­sidee und die Über­tra­gung der Kaiser­würde auf die Franken. Erst­mals seit dem Unter­gang des weströmis­chen Reichs gab es wieder einen Kaiser in diesem Teil Europas.

Daraus ergaben sich sogle­ich zwei span­nungsvolle Kon­stel­la­tio­nen. In Kon­stan­tinopel wurde die Krö­nung als Affront, gar als Sakri­leg aufge­faßt, da das oströmis­che Kaiser­tum seit der Reich­steilung von 395 in unge­broch­en­er Kon­ti­nu­ität stand und mit dem Erlöschen des weströmis­chen Kaiser­tums for­mal und ideell gese­hen das Gesamtre­ich repräsen­tierte. Fak­tisch geschwächt, mußte Byzanz aber zur Ken­nt­nis nehmen, wie Karls Macht­stel­lung nun noch sakral legit­imiert wor­den war. „Ein bar­barisch­er Emporkömm­ling war vom Papst in Rom zum Kaiser gekrönt wor­den. Die alte Ord­nung“, schreibt John J. Nor­wich, „war unterge­gan­gen. Statt eines unteil­baren würde es for­t­an zwei Reiche geben. Die christliche Welt würde nie mehr dieselbe sein.“

Neben dieser Ent­frem­dung zwis­chen Rom und Byzanz warf die his­torisch erst­ma­lige Krö­nung eines Kaisers durch den Papst die Frage nach ihrem Ver­hält­nis, nach der Supre­matie auf. Die Rival­ität zwis­chen Kaiser- und Pap­st­tum, zwis­chen weltlich­er und geistlich­er Macht prägte das weit­ere Mit­te­lal­ter nach­drück­lich (wie im späteren Investi­turstre­it zwis­chen Hein­rich IV. und Gre­gor VII.). Während Leo III. die eben wieder­erlangte Amts­ge­walt demon­stra­tiv nutzte, um Karls weltliche als von der geistlichen Macht nur ver­liehen und legit­imiert auszuweisen, sah Karl in der Krö­nung vor allem die Anerken­nung sein­er längst beste­hen­den christlichen Herrschaft. Iro­nis­cher­weise ori­en­tierte er sich dabei an dem von ihm mar­gin­al­isierten Ostre­ich. Dazu Isnard Wil­helm Frank: „Karl schwebte ein Imperi­um Romanum vor, wie es in Ostrom bestand, das sich schon längst von Rom als Reichsmit­telpunkt gelöst und zur kaiser­lichen Herrschaft verselb­ständigt hat­te.“

Das in Pader­born geschlossene Bünd­nis zwis­chen Kaiser und Papst implizierte eine macht­poli­tis­che Ver­lagerung des Reichs­gedankens zugun­sten eines von Däne­mark bis Spanien und Mit­telital­ien reichen­den Wes­teu­ropas; zum Zen­trum eines spez­i­fisch abendländis­chen Chris­ten­tums wurde Rom. Das ortho­doxe Byzanz „über­ließ die Stadt dem West­en“ (Isnard Wil­helm Frank).

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Lit­er­atur:

  • Man­fred Balz­er: Pader­born im frühen Mit­te­lal­ter (776‑1050). Säch­sis­che Sied­lung — Karolingis­ch­er Pfal­zort — Ottonisch-salis­che Bischof­sstadt, in: Jörg Jar­nut (Hrsg.): Pader­born. Geschichte der Stadt in ihrer Region, Bd. 1, Pader­born 1999, S. 2–118
  • Matthias Bech­er: Karl der Große, München 62014
  • Isnard Wil­helm Frank: Kirchengeschichte des Mit­te­lal­ters, Düs­sel­dorf 2005
  • John J. Nor­wich: Byzanz. Auf­stieg und Fall eines Wel­tre­ichs, Berlin 42010
  • Rein­hold Schnei­der: Auf Wegen deutsch­er Geschichte. Eine Fahrt ins Reich, Leipzig 1934