997 — Die Pruzzen erschlagen Adalbert von Prag

Es sind bewegte Jahre kurz vor der Jahrtausendwende. Das Reich der Karolinger: zer­fall­en. Die Kirche: zer­strit­ten und degener­iert. Das Land: bedro­ht durch Feldzüge der Ungarn. Nur müh­sam formt sich zwis­chen Rhein und Elbe eine neue, in sich gefes­tigte Staatlichkeit. Zugle­ich stim­men Zukun­ftsper­spek­tiv­en hoff­nungsvoll.

Otto I. erneuert 962 das west­liche Kaiser­tum und ver­schafft seinem Reich die Vor­ma­cht­stel­lung des Abend­lan­des. Sein Enkel, Otto III., 996 16jährig zum Kaiser gekrönt, plant gar die „Ren­o­va­tio imperii Romano­rum“, die Erneuerung des römis­chen Imperi­ums als Bund von Ger­ma­nen, Roma­nen und Slawen in christlichem Geist. Polen und Ungarn, soeben mis­sion­iert, erhal­ten die kirch­liche — und somit staatliche — Selb­ständigkeit. Beson­ders prä­gend für Ottos III. Staatsver­ständ­nis und inte­gra­tive Auf­fas­sung eines bis zum Ural reichen­den Abend­lan­des ist die Begeg­nung mit einem Geistlichen: Adal­bert, dem zweit­en Bischof von Prag, aus dem mächti­gen Adels­geschlecht der Slavniki­den. Bei­de verbindet die Idee der Mis­sion­ierung des Ostens und der Gedanke der Reform von Kirche und Staat.

Vojtech, wie Adal­bert mit Tauf­na­men heißt, wird 956 auf der Fam­i­lien­stamm­burg Libice in ein böh­mis­ches Fürstengeschlecht hineinge­boren, das mit dem ottonis­chen Kaiser­haus ver­wandt ist. Erzbischof Adal­bert von Magde­burg ver­lei­ht ihm anläßlich der Fir­mung seinen Namen. An der Magde­burg­er Dom­schule empfängt der Adlige eine philosophisch-the­ol­o­gis­che Aus­bil­dung im west­lichen Geiste. Er sam­melt Erfahrung in der Funk­tion der deutschen Reich­skirche und ihres Mis­sion­swerks und wird ver­traut gemacht mit dem christlichen Leben­sid­e­al und der mön­chis­chen Askese.

In die Heimat zurück­gekehrt, dient der junge Klerik­er dem ersten Prager Bischof, Diet­mar, einem Geistlichen deutsch­er Abstam­mung. Nach dessen Tod beschäftigt sich Adal­bert inten­siv mit der vom Kloster Cluny aus­gehn­den Reform­be­we­gung, mit der er bere­its in Magde­burg in Berührung kam. Sie propagiert einen Reini­gung­sprozeß des Klerus durch radikale Rückbesin­nung auf die Regeln des heili­gen Benedikt.

983, mit 27 Jahren, tritt Adal­bert die Nach­folge Diet­mars an. Als ent­fer­n­ter Ver­wandter erk­lärt sich Kaiser Otto II. mit der Per­son­alie ein­ver­standen. Die Wei­he fol­gt auf dem Reich­stag in Verona durch den für Prag zuständi­gen Erzbischof von Mainz. Bei der Rück­kehr nach Prag ist die Begeis­terung für den ersten ein­heimis­chen Bischof groß. Bald allerd­ings gerät der Sohn eines Tschechen und ein­er Ver­wandten des säch­sisch-deutschen Herrscher­haus­es zwis­chen die eth­nis­chen Fron­ten. Für Ver­druß sein­er­seits sorgt indes der ver­bre­it­ete unchristliche Lebenswan­del sein­er böh­mis­chen Land­sleute. Aber­glauben, Sklaverei und Viel­weiberei lösen bei dem jun­gen Bischof Arg­wohn aus.

„Ein glühen­der Asket mit dem Willen, die Welt zu ver­christlichen“, so beschreibt ihn Josef Fleck­en­stein. Doch inner­halb des weltlichen Klerus stößt diese Leben­shal­tung auch auf Wider­stände. Zweimal resig­niert Adal­bert und sucht Zuflucht in Rom, wo er im Kloster San Alessio Obdach erhält. In der Kaiserp­falz resi­diert der­weil auch Otto III. Dieser strebt eben­so im Sinne der „ren­o­va­tio“ nach ein­er Neuregelung der Beziehun­gen zu den östlichen Nach­barn; poli­tis­che und religiöse Antriebe find­en zueinan­der.

Das Zusam­men­tr­e­f­fen des Bischofs mit dem jun­gen Kaiser, der mit ihm das Inter­esse an der christlichen Ord­nung des östlichen und südöstlichen Mit­teleu­ropa teilt, steigert die Rep­u­ta­tion von San Alessio schla­gar­tig und macht das Kloster nach herrschen­der Mei­n­ung zu einem bedeu­ten­den Zen­trum jen­er geistlichen Wür­den­träger, welche die Aus­bre­itung der römis­chen Kirche im ost­mit­teleu­ropäis­chen Raum vorantreiben wer­den. So sollen erste Gespräche zur Errich­tung pol­nis­ch­er und ungarisch­er Diöze­sen in San Alessio geführt wor­den sein. Maßge­blich beteiligt war Adal­bert von Prag.

Zunächst kehrt Adal­bert auf Drän­gen der Kirchen­führung nach Prag zurück und grün­det am Fuße des Weißen Berges das Benedik­tin­erk­loster Brevnov, von dem er Bis­chöfe, Äbte, Mönche und Mis­sion­are nach Böh­men, Mähren, Ungarn und Ruß­land schickt. Bis 1945 bleibt das Kloster ein Aus­gangspunkt christlich­er Kul­tur. Als sich Adal­bert bei seinem zweit­en Romaufen­thalt gegen die Rück­kehr sträubt, ist es Gre­gor V., der erste deutsche Papst, welch­er ihn vor die Alter­na­tive stellt: entwed­er Prag oder Mis­sion.

Adal­bert geht zunächst nach Polen und grün­det das Kloster Meseritz. Von Danzig aus tritt er eine Seereise zu den hei­d­nis­chen Pruzzen an die Ost­seeküste an. Mit nur weni­gen Begleit­ern reist Adal­bert an den Unter­lauf der Weich­sel, um dort das Evan­geli­um zu verkün­den. Am 23. April 997, kurz nach sein­er Abreise aus Danzig, wird er — so zeit­genös­sis­che Quellen — mit ein­er Axt erschla­gen und mit einem Speer erstochen und stirbt auf diese Weise den Mär­tyr­ertod. Die Gebeine des auf Betreiben Ottos III. bere­its 999 Heiligge­sproch­enen bringt man im Jahr 1039 von der ersten Grab­stätte in Gne­sen nach Prag. Bei Ren­ovierun­gen im Veits­dom auf dem Prager Hrad­schin wer­den die Reliquien 1880 gefun­den.

Zeit­genös­sis­ch­er Bio­graph Adal­berts ist sein Schüler Bruno von Quer­furt. In der späteren His­to­ri­ogra­phie wird Adal­bert von Prags Rolle als europäis­che Inte­gra­tions­fig­ur einge­hend gewürdigt: In Aachen ist ihm der Dom­chor gewei­ht; Tschechen, Slowak­en, Polen, Ungarn und Kroat­en verehren ihn. Für den bay­erisch-böh­mis­chen His­torik­er Karl Bosl ste­ht Adal­bert von Prag als Kirchen­mann und Heiliger an ein­er europäis­chen Zeit­en­wende, weil er die erste Inte­gra­tion der führen­den geisti­gen Schicht der West­slawen in den Kreis west­lich­er Geistlichkeit, Reli­giosität, Kirch­lichkeit und Kul­tur repräsen­tiert. Am Grab des Mär­tyr­ers in Gne­sen fand das his­torische Tre­f­fen statt, bei dem Kaiser Otto III. sowie der Legat von Papst Sil­vester II. die erste Kirchen­prov­inz auf pol­nis­chem Boden bestätigten und der Kaiser den pol­nis­chen Fürsten Boleslaw zum „ami­cus pop­uli Romani“ erk­lärte und ihm eine Nach­bil­dung der Heili­gen Lanze über­gab. Die Gne­sen-Reise Ottos auf den Spuren Adal­berts wird in der Lit­er­atur sinnbildlich für die christliche Erschließung Südost­mit­teleu­ropas ange­se­hen.

Papst Johannes Paul II. würdigte Adal­bert in den 1990er Jahren auf ein­er Reise durch die Tschechis­che Repub­lik und Polen als „Patron der geisti­gen Ein­heit der im Herzen Europas gele­ge­nen Natio­nen“. Die Postver­wal­tun­gen von Deutsch­land, Polen, Tschechien und Ungarn wid­me­ten dem Heili­gen als „geistigem Brück­en­bauer zwis­chen Ost und West“, der zu den „Schöpfern eines gemein­samen europäis­chen Kul­turbe­wußt­seins“ gehöre, zu seinem 1000. Todestag im Jahr 1997 par­al­lel eine motiv­gle­iche Brief­marke.

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Lit­er­atur:

  • Hel­mut Beu­mann: Die Otto­nen, Stuttgart 1987
  • Josef Fleckenstein/Marie Luise Bulst: Begrün­dung und Auf­stieg des deutschen Reich­es, München 1973
  • Gisela Graichen/Matthias Gret­zschel: Die Prussen, Frank­furt a.M. 2010
  • Per­cy Ernst Schramm: Kaiser, Rom und Ren­o­va­tio, 2 Bde., Leipzig 1929 (ND 1992)