Es sind bewegte Jahre kurz vor der Jahrtausendwende. Das Reich der Karolinger: zerfallen. Die Kirche: zerstritten und degeneriert. Das Land: bedroht durch Feldzüge der Ungarn. Nur mühsam formt sich zwischen Rhein und Elbe eine neue, in sich gefestigte Staatlichkeit. Zugleich stimmen Zukunftsperspektiven hoffnungsvoll.
Otto I. erneuert 962 das westliche Kaisertum und verschafft seinem Reich die Vormachtstellung des Abendlandes. Sein Enkel, Otto III., 996 16jährig zum Kaiser gekrönt, plant gar die „Renovatio imperii Romanorum“, die Erneuerung des römischen Imperiums als Bund von Germanen, Romanen und Slawen in christlichem Geist. Polen und Ungarn, soeben missioniert, erhalten die kirchliche — und somit staatliche — Selbständigkeit. Besonders prägend für Ottos III. Staatsverständnis und integrative Auffassung eines bis zum Ural reichenden Abendlandes ist die Begegnung mit einem Geistlichen: Adalbert, dem zweiten Bischof von Prag, aus dem mächtigen Adelsgeschlecht der Slavnikiden. Beide verbindet die Idee der Missionierung des Ostens und der Gedanke der Reform von Kirche und Staat.
Vojtech, wie Adalbert mit Taufnamen heißt, wird 956 auf der Familienstammburg Libice in ein böhmisches Fürstengeschlecht hineingeboren, das mit dem ottonischen Kaiserhaus verwandt ist. Erzbischof Adalbert von Magdeburg verleiht ihm anläßlich der Firmung seinen Namen. An der Magdeburger Domschule empfängt der Adlige eine philosophisch-theologische Ausbildung im westlichen Geiste. Er sammelt Erfahrung in der Funktion der deutschen Reichskirche und ihres Missionswerks und wird vertraut gemacht mit dem christlichen Lebensideal und der mönchischen Askese.
In die Heimat zurückgekehrt, dient der junge Kleriker dem ersten Prager Bischof, Dietmar, einem Geistlichen deutscher Abstammung. Nach dessen Tod beschäftigt sich Adalbert intensiv mit der vom Kloster Cluny ausgehnden Reformbewegung, mit der er bereits in Magdeburg in Berührung kam. Sie propagiert einen Reinigungsprozeß des Klerus durch radikale Rückbesinnung auf die Regeln des heiligen Benedikt.
983, mit 27 Jahren, tritt Adalbert die Nachfolge Dietmars an. Als entfernter Verwandter erklärt sich Kaiser Otto II. mit der Personalie einverstanden. Die Weihe folgt auf dem Reichstag in Verona durch den für Prag zuständigen Erzbischof von Mainz. Bei der Rückkehr nach Prag ist die Begeisterung für den ersten einheimischen Bischof groß. Bald allerdings gerät der Sohn eines Tschechen und einer Verwandten des sächsisch-deutschen Herrscherhauses zwischen die ethnischen Fronten. Für Verdruß seinerseits sorgt indes der verbreitete unchristliche Lebenswandel seiner böhmischen Landsleute. Aberglauben, Sklaverei und Vielweiberei lösen bei dem jungen Bischof Argwohn aus.
„Ein glühender Asket mit dem Willen, die Welt zu verchristlichen“, so beschreibt ihn Josef Fleckenstein. Doch innerhalb des weltlichen Klerus stößt diese Lebenshaltung auch auf Widerstände. Zweimal resigniert Adalbert und sucht Zuflucht in Rom, wo er im Kloster San Alessio Obdach erhält. In der Kaiserpfalz residiert derweil auch Otto III. Dieser strebt ebenso im Sinne der „renovatio“ nach einer Neuregelung der Beziehungen zu den östlichen Nachbarn; politische und religiöse Antriebe finden zueinander.
Das Zusammentreffen des Bischofs mit dem jungen Kaiser, der mit ihm das Interesse an der christlichen Ordnung des östlichen und südöstlichen Mitteleuropa teilt, steigert die Reputation von San Alessio schlagartig und macht das Kloster nach herrschender Meinung zu einem bedeutenden Zentrum jener geistlichen Würdenträger, welche die Ausbreitung der römischen Kirche im ostmitteleuropäischen Raum vorantreiben werden. So sollen erste Gespräche zur Errichtung polnischer und ungarischer Diözesen in San Alessio geführt worden sein. Maßgeblich beteiligt war Adalbert von Prag.
Zunächst kehrt Adalbert auf Drängen der Kirchenführung nach Prag zurück und gründet am Fuße des Weißen Berges das Benediktinerkloster Brevnov, von dem er Bischöfe, Äbte, Mönche und Missionare nach Böhmen, Mähren, Ungarn und Rußland schickt. Bis 1945 bleibt das Kloster ein Ausgangspunkt christlicher Kultur. Als sich Adalbert bei seinem zweiten Romaufenthalt gegen die Rückkehr sträubt, ist es Gregor V., der erste deutsche Papst, welcher ihn vor die Alternative stellt: entweder Prag oder Mission.
Adalbert geht zunächst nach Polen und gründet das Kloster Meseritz. Von Danzig aus tritt er eine Seereise zu den heidnischen Pruzzen an die Ostseeküste an. Mit nur wenigen Begleitern reist Adalbert an den Unterlauf der Weichsel, um dort das Evangelium zu verkünden. Am 23. April 997, kurz nach seiner Abreise aus Danzig, wird er — so zeitgenössische Quellen — mit einer Axt erschlagen und mit einem Speer erstochen und stirbt auf diese Weise den Märtyrertod. Die Gebeine des auf Betreiben Ottos III. bereits 999 Heiliggesprochenen bringt man im Jahr 1039 von der ersten Grabstätte in Gnesen nach Prag. Bei Renovierungen im Veitsdom auf dem Prager Hradschin werden die Reliquien 1880 gefunden.
Zeitgenössischer Biograph Adalberts ist sein Schüler Bruno von Querfurt. In der späteren Historiographie wird Adalbert von Prags Rolle als europäische Integrationsfigur eingehend gewürdigt: In Aachen ist ihm der Domchor geweiht; Tschechen, Slowaken, Polen, Ungarn und Kroaten verehren ihn. Für den bayerisch-böhmischen Historiker Karl Bosl steht Adalbert von Prag als Kirchenmann und Heiliger an einer europäischen Zeitenwende, weil er die erste Integration der führenden geistigen Schicht der Westslawen in den Kreis westlicher Geistlichkeit, Religiosität, Kirchlichkeit und Kultur repräsentiert. Am Grab des Märtyrers in Gnesen fand das historische Treffen statt, bei dem Kaiser Otto III. sowie der Legat von Papst Silvester II. die erste Kirchenprovinz auf polnischem Boden bestätigten und der Kaiser den polnischen Fürsten Boleslaw zum „amicus populi Romani“ erklärte und ihm eine Nachbildung der Heiligen Lanze übergab. Die Gnesen-Reise Ottos auf den Spuren Adalberts wird in der Literatur sinnbildlich für die christliche Erschließung Südostmitteleuropas angesehen.
Papst Johannes Paul II. würdigte Adalbert in den 1990er Jahren auf einer Reise durch die Tschechische Republik und Polen als „Patron der geistigen Einheit der im Herzen Europas gelegenen Nationen“. Die Postverwaltungen von Deutschland, Polen, Tschechien und Ungarn widmeten dem Heiligen als „geistigem Brückenbauer zwischen Ost und West“, der zu den „Schöpfern eines gemeinsamen europäischen Kulturbewußtseins“ gehöre, zu seinem 1000. Todestag im Jahr 1997 parallel eine motivgleiche Briefmarke.
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Literatur:
- Helmut Beumann: Die Ottonen, Stuttgart 1987
- Josef Fleckenstein/Marie Luise Bulst: Begründung und Aufstieg des deutschen Reiches, München 1973
- Gisela Graichen/Matthias Gretzschel: Die Prussen, Frankfurt a.M. 2010
- Percy Ernst Schramm: Kaiser, Rom und Renovatio, 2 Bde., Leipzig 1929 (ND 1992)