„Kreidefelsen auf Rügen“, „Abtei im Eichwald“, „Der Wanderer über dem Nebelmeer“, „Zwei Männer in Betrachtung des Mondes“: Dies sind nur vier von schätzungsweise mehr als 300 Gemälden, die Caspar David Friedrich in seinem 65jährigen Leben geschaffen hat. Auch 200 Jahre später sind Bekanntheitsgrad und Wiedererkennungswert in weiten Teilen des Volkes ungebrochen, seine Werke finden sich auf Postkarten und Einkaufstaschen. Das war nicht immer so: Nach seinem Tod im Jahr 1840 geriet der Künstler erst einmal in Vergessenheit und teilte damit ein Schicksal vieler Kunstgrößen.
Der 1774 im damals schwedischen Greifswald geborene Caspar David Friedrich zog nach seiner künstlerischen Ausbildung nach Dresden. Dort verdient er mit Prospekten und Landschaftsradierungen seinen Unterhalt, betreibt vielfältige Studien in den Gemäldesammlungen und pflegt Kontakt zu Malern und Kunstförderern. Nach dem Verkauf einiger Bilder reicht es für ein kleines Landhaus in Dresden-Loschwitz.
Friedrichs frühe Landschaftsbilder entstehen in einer Zeit, die in der Literatur als Epoche der Empfindsamkeit (etwa 1740 bis 1790) gilt. Romane, Theaterstücke und Gedichte dieser Ära sind Ausdruck einer Geisteshaltung, in der Mitleid und Rührung, Wehmut, tief emotionale Liebe und innige Freundschaften eine besondere Rolle spielen. Die Akteure dieser Epoche fühlen sich in der Natur am wohlsten. In den damals vielzitierten Ruinenlandschaften schwingt die wehmütige Sehnsucht nach vergangenen Zeiten mit: Was einst von Menschenhand geschaffen wurde, ist zerfallen; die Natur hat begonnen, es wieder in Besitz zu nehmen.
Im Gemälde „Eismeer“ verarbeitet der Künstler in den Jahren 1823/24 ein frühes Trauma: Als Kind brach er beim Schlittschuhlaufen ins Eis ein; sein Bruder Christoffer konnte ihn retten, kam dabei aber selbst ums Leben. Auch die Herkunft aus einem pietistischen Elternhaus kommt in Friedrichs Gesamtwerk immer wieder zum Ausdruck. Zeit seines Lebens bleibt er ein tief religiöser Mensch. Für einen Skandal sorgt der Maler bereits 1808 mit seinem Bild „Kreuz im Gebirge“, besser bekannt als „Tetschener Altar“. Zum Vorwurf macht man ihm den Umstand, daß in einem religiösen Bild erstmals nicht eine heilige Figur, sondern eine Landschaft Hauptgegenstand der Darstellung ist. Der Disput mit Kunstkritikern sorgt aber vor allem dafür, daß der Bekanntheitsgrad Friedrichs weiter steigt.
Typisch für Friedrich sind zudem die Rückenfiguren, die vor allem zwischen 1818 und 1835 entstehen: Nicht die abgebildete Person scheint das Entscheidende zu sein, sondern der Blick der Figuren auf die sich vor ihnen — und letztlich auch vor den einsamen Betrachtern — ausbreitende Welt. Zwar hat es in der Malerei auch lange vor Friedrich Rückenfiguren gegeben. Er ist es jedoch, der ihnen im Bild eine derart prominente Stelle zuweist.
Viele Bildmotive Friedrichs sind von symbolischer Bedeutung, etwa die Figur des einsamen Wanderers, die Tore und Friedhofspforten, die Felsenschlucht und der Nebel. So können Motive wie der Friedhofseingang religiös als Pforte vom Diesseits zum Jenseits interpretiert werden. In ähnlicher Weise beschreiben die ankommenden oder abfahrenden Boote auf den Meeresansichten vielfach Momente eines räumlichen oder zeitlichen Übergangs, die den Menschen als Teil einer vergänglichen Wirklichkeit zeigen, und berühren auf diese Weise Fragen nach dem Diesseits und dem Jenseits. Friedrich selbst schrieb dazu die Verse: „Warum, die Frag’ ist oft zu mir ergangen, / Wählst du zum Gegenstand der Malerei / So oft den Tod, Vergänglichkeit und Grab? / Um ewig einst zu leben, / Muß man sich oft dem Tod ergeben.“
Daß die Romantik gleichwohl keinen radikalen Bruch mit der Aufklärung darstellt, arbeitet Rüdiger Safranski in seinem Buch Romantik. Eine deutsche Affäre anschaulich heraus. Vielmehr habe die Romantik Traditionen und Tendenzen des 18. Jahrhunderts fortgesetzt und darüber hinaus auf den Vorleistungen des Sturm und Drang und der Klassik aufgebaut. Gewiß darf das Romantische mit seiner Waldeinsamkeit, Todessehnsucht und Liebeswehmut als Antwort auf die Entzauberungen der Moderne gelten. Safranski: “Der romantische Geist ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewußte, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt und gesellig, formbewußt und formauflösend.”
Bei Caspar David Friedrich kommt ein weiteres Merkmal der Romantik besonders zum Ausdruck: das Nationale. Im Unterschied zu vielen seiner Künstlerkollegen zieht es ihn nicht nach Italien. Dagegen reist er immer wieder in seine norddeutsche Heimat — wo er 1818 eben die berühmten Kreidefelsen auf Rügen verewigt. Ohnehin atmet sein Gesamtwerk ein unverblümtes Bekenntnis zu Deutschland. Ausländische Motive sucht man vergebens, dafür formt sich im Laufe der Jahre eine Vorliebe für die Formen der Gotik. Sie wird seinerzeit nicht nur im deutlichen Kontrast zum Barock und Klassizismus gesehen, sondern gilt zugleich als urdeutsches Phänomen.
Dies paßt zu Friedrichs politischer Einstellung. Als glühender Anhänger der nationalen Befreiungsbewegung nimmt er es höchst widerwillig zur Kenntnis, daß seine Wahlheimat Sachsen an der Seite Napoleons steht. Das eint ihn mit Persönlichkeiten wie Heinrich von Kleist, Ernst Moritz Arndt und Theodor Körner, die in seinem kargen Dresdner Atelier ein und aus gehen. Später, zur Zeit des Nationalsozialismus, wird der „nordische Friedrich“ ob seiner vaterländischen Haltung und als Vorbild für völkische Landschaftsmalerei verehrt.
Unbestritten gilt Caspar David Friedrich bis heute als einer der Hauptvertreter der deutschen Frühromantik, wenngleich ihm an gefühlsbetonten oder gar kitschigen Verzerrungen der Realität, wie sie mit der Romantik und ihrer Verehrung der schöpferischen Phantasie gemeinhin assoziiert werden, selbst nicht gelegen war. So erscheinen seine Werke durchweg wie von Überflüssigem gereinigt, anstatt fröhlich und verspielt zu sein. Er selbst umschrieb seinen Blick auf die Dinge seinerzeit so: “Schließe dein leibliches Auge, damit du mit dem geistigen Auge zuerst siehest dein Bild. Dann fördere zutage, was du im Dunkeln gesehen, daß es zurückwirke auf andere von außen nach innen.” Mit diesen Worten beschreibt er ein fundamentales Credo der Romantik: die Macht der Imagination.
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Literatur:
- Ricarda Huch: Die Romantik, Leipzig 1902
- Jens Christian Jensen: Caspar David Friedrich. Leben und Werk, Köln 1999
- Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007
- Herrmann Zschoche: Caspar David Friedrich auf Rügen, Dresden 2007