Als Mediziner schuf C. G. Jung die Psychiatrie in eine humanistische Disziplin um. Er entdeckte das Zusammenspiel von individueller Fantasie und den weltweiten Grundmotiven der Kultur. So wurde ihm die Erlösungsidee als Sinnbild menschlicher Reifung bedeutsam. Durch zahlreiche Reisen und universelle Gelehrsamkeit verschrieb er sich intensiv fremden Lebensformen und förderte so den schöpferischen Austausch zwischen Ost und West. C. G. Jung wurde als Pastorensohn am 26. Juli 1875 in Kesswill (Kanton Thurgau) beim idyllischen Bodensee geboren. Kindheit
und Jugend verbrachte er in dörflichen Pfarrhäusern, zwischen Garten, Kirche, Schloß und Bauernhöfen.
Er studierte Medizin in Basel und promovierte 1902 bei Eugen Bleuler (zur Psychologie okkulter Phänomene). Bis 1909 an Bleulers psychiatrischer Klinik »Burghölzli« tätig, beschäftigte er sich seit dem Erscheinen von Sigmund Freuds epochaler Traumdeutung (1900) mit der Psychoanalyse. Dies führte zu einem legendären Treffen mit Freud in Wien 1907, dann zur intensiven Zusammenarbeit im Rahmen der »Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung«, deren 1. Präsident Jung (1910–14) bis zum Zerwürfnis mit Freud wurde. Mit dieser Trennung und der Ausarbeitung des eigenen Konzepts, vor allem in Wandlungen und Symbole der Libido (1912), war die intellektuelle Formierungsphase seines Lebens abgeschlossen.
Die neuen Kategorien bildete er in den 1920er Jahren fort. Weite Reisen und internationale Anerkennung öffneten seinen Horizont. Die systematische Integration religions- und völkerkundlicher Daten revolutionierte sein Verständnis menschlicher Natur. Für sein Entwicklungsmodell der Psyche suchte er dabei nach einer symbolischen Entsprechung. Die eifrig studierte Gnosis zeigte ihm einen esoterischen Heilsweg, dessen Spiritualismus, akosmische und dualistische Züge Jung indes nicht befriedigten. Die Bekanntschaft mit einem altchinesischen Text, dem Geheimnis der Goldenen Blüte 1928 und dessen Übersetzer Richard Wilhelm, führte ihn ins Reich der Alchemisten mit ihrer okkulten Symbolik. Die Deutung der stofflichen Transmutation als wesentliche Erneuerung des Menschen selbst, eine Projektion der Bilder in den seelischen Prozeß also, ermöglichte ihm, diese Geheimdisziplin als ideales Denkmodell für die therapeutische Praxis zu nutzen.
Ergänzt wurden Jungs alchemistische Studien ab 1933 durch ein breites, religionskundliches Themenspektrum im Rahmen der Eranos-Tagungen am Monte Verità in Ascona, die von der Theosophin Olga Fröbe-Kapteyn ins Leben gerufen, alljährlich einen erlesenen Kreis europäischer Geistesgrößen zusammenführten. Das intime Einverständnis der elitären Gruppe, die sich um Jung scharte, zielte auf die Einheit aller Religionen, einen geistigen Kern des Menschseins, der sich nur der wahren Idee mitteilt oder dem symbolischen Bild. Verstehen im Sinn echter Metaphysik weist über das empirische Prinzip und die nur rationale Erkenntnis hinaus.
Die Nachkriegszeit bringt mit der Gründung des Zürcher Jung-Instituts 1948 die Institutionalisierung seiner Lehre. Jungs legendäre Schüler sind dabei Jolande Jacobi, Erich Neumann und Aniela Jaffé. Trotz dieser erfolgreichen Schulbildung, die sich auch in anderen, nonkonformen Therapieeinrichtungen zeigt, hat sich international das psychoanalytische Modell Sigmund Freuds, auch in aktuellen Modifikationen, erdrückend durchgesetzt. Über den medizinischen Bereich hinaus sind auch die Sozialwissenschaften, ja die Kulturintelligenz insgesamt maßgeblich bis heute von ihm geprägt. Anders verhält es sich mit der Religionspsychologie, der C. G. Jung wesentliche Anregungen schenkte. Wenn die Wirkung von Jungs Archetypenlehre auch mäßig blieb und als Rechtfertigung der herrschenden Verhältnisse kritisiert wurde, die Freudsche Theorie aber als Religionsersatz bei Intellektuellen wirkte, so hat das seinen Grund vor allem darin, daß Freuds Analyse auf schlichte Ideologiekritik abzielte, die Jungsche »Psychosynthese« dagegen mehr leisten wollte: individuell einen Identitätsaufbau und kulturell die Verknüpfung von Mythos und menschlicher Existenz.
Den Weg des Menschen versteht Jung als Integration disparater Kräfte, als Streben nach Einheit. Trotz eines je spezifischen Lebenssinns, der einer besonderen Logik folgt, drängt die Person nach Zentralität. Zu überwinden ist das vordergründige Ich, hin auf ein transzendentes Selbst. In diesem Sinn folgt Jungs Konzept dem mystischen Weg. Dabei bleibt seine Ganzheitsidee ambivalent, da Freuds Verdrängungsthese im Schatten-Begriff, ohne den es keine wahre Ganzheit geben kann, nachwirkt. Doch bleibt sein Verdienst, individuelle und kollektive Imagination, persönliche
Existenz und kulturelles Gedächtnis als analog entdeckt und beide reziprok erhellt zu haben. Da Urbilder (Archetypen) und Mythen aber in der Moderne verdrängt und damit sozial unbewußt
sind, tauchen sie nur in der Fantasie des Einzelnen wieder auf. Um den universellen Gehalt dieser Bilder aufzuschließen, bedarf es eines welthaltigen Wissens als Resonanzraum. Erst dann zeigen
sich private und kosmische Dimension einander übersetzbar (Amplifikation). All diese Überlegungen brechen mit dem mechanistischen Weltbild und seinem Kausalprinzip. Lebendige Kräfte und Zeichen vermögen, so Jung, Kultur, Zeit und Geschichte zu überspringen; sie treten spontan hervor, sind »akausal«. Diese archetypische Wirkform, quer zu linearer Entwicklung und kausalem Denken, nennt Jung »Synchronizität«. Nicht zuletzt damit zeigt Jung in einem areligiösen Zeitalter, wie sehr das Religiöse zum Menschsein gehört, eine Dimension unserer Existenz und Bewußtseinsstruktur bildet.
Carl Gustav Jung starb am 6. Juni 1961 in Küsnacht (Zürichsee).
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Zitat:
Die Veränderung muß beim Einzelnen beginnen; jeder von uns kann dieser Einzelne sein. Niemand kann es sich leisten, einfach umherzublicken und auf jemanden zu warten, der das tun soll, was man selber nicht tun will.
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Schriften:
- Wandlungen und Symbole der Libido, Leipzig 1912
- Psychologische Typen, Zürich 1921
- Seelenprobleme der Gegenwart, Zürich 1931
- Psychologie und Religion, Zürich 1940
- Psychologie und Alchemie, Zürich 1944
- Aufsätze zur Zeitgeschichte, Zürich 1946
- Die Psychologie der Übertragung, Zürich 1946
- Aion. Untersuchungen zur Symbolgeschichte, Zürich 1951
- Antwort auf Hiob, Zürich 1952
- Mysterium Coniunciones. 3 Bde, Zürich 1955–1957
- Gesammelte Werke. 20 Bde, Zürich/Olten 1958–1994
- Grundwerk in 9 Bänden. Hrsg. von Helmut Barz, Olten 1984
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Literatur:
- Andrew Samuels (Hrsg.): Wörterbuch der Jungschen Psychologie, München 1991
- Gerhard Wehr: Carl Gustav Jung. Leben, Werk, Wirkung, Caputh ³2009