Jung, Carl Gustav, Psychiater, 1875–1961

Als Medi­zin­er schuf C. G. Jung die Psy­chi­a­trie in eine human­is­tis­che Diszi­plin um. Er ent­deck­te das Zusam­men­spiel von indi­vidu­eller Fan­tasie und den weltweit­en Grund­mo­tiv­en der Kul­tur. So wurde ihm die Erlö­sungsidee als Sinnbild men­schlich­er Rei­fung bedeut­sam. Durch zahlre­iche Reisen und uni­verselle Gelehrsamkeit ver­schrieb er sich inten­siv frem­den Lebens­for­men und förderte so den schöpferischen Aus­tausch zwis­chen Ost und West. C. G. Jung wurde als Pas­toren­sohn am 26. Juli 1875 in Kess­will (Kan­ton Thur­gau) beim idyl­lis­chen Bodensee geboren. Kind­heit
und Jugend ver­brachte er in dör­flichen Pfar­rhäusern, zwis­chen Garten, Kirche, Schloß und Bauern­höfen.

Er studierte Medi­zin in Basel und pro­movierte 1902 bei Eugen Bleuler (zur Psy­cholo­gie okkul­ter Phänomene). Bis 1909 an Bleulers psy­chi­a­trisch­er Klinik »Burghöl­zli« tätig, beschäftigte er sich seit dem Erscheinen von Sig­mund Freuds epochaler Traumdeu­tung (1900) mit der Psy­cho­analyse. Dies führte zu einem leg­endären Tre­f­fen mit Freud in Wien 1907, dann zur inten­siv­en Zusam­me­nar­beit im Rah­men der »Inter­na­tionalen Psy­cho­an­a­lytis­chen Vere­ini­gung«, deren 1. Präsi­dent Jung (1910–14) bis zum Zer­würf­nis mit Freud wurde. Mit dieser Tren­nung und der Ausar­beitung des eige­nen Konzepts, vor allem in Wand­lun­gen und Sym­bole der Libido (1912), war die intellek­tuelle Formierungsphase seines Lebens abgeschlossen.

Die neuen Kat­e­gorien bildete er in den 1920er Jahren fort. Weite Reisen und inter­na­tionale Anerken­nung öffneten seinen Hor­i­zont. Die sys­tem­a­tis­che Inte­gra­tion reli­gions- und völk­erkundlich­er Dat­en rev­o­lu­tion­ierte sein Ver­ständ­nis men­schlich­er Natur. Für sein Entwick­lungsmod­ell der Psy­che suchte er dabei nach ein­er sym­bol­is­chen Entsprechung. Die eifrig studierte Gno­sis zeigte ihm einen eso­ter­ischen Heil­sweg, dessen Spir­i­tu­al­is­mus, akos­mis­che und dual­is­tis­che Züge Jung indes nicht befriedigten. Die Bekan­ntschaft mit einem altchi­ne­sis­chen Text, dem Geheim­nis der Gold­e­nen Blüte 1928 und dessen Über­set­zer Richard Wil­helm, führte ihn ins Reich der Alchemis­ten mit ihrer okkul­ten Sym­bo­l­ik. Die Deu­tung der stof­flichen Trans­mu­ta­tion als wesentliche Erneuerung des Men­schen selb­st, eine Pro­jek­tion der Bilder in den seel­is­chen Prozeß also, ermöglichte ihm, diese Geheimdiszi­plin als ide­ales Denkmod­ell für die ther­a­peutis­che Prax­is zu nutzen.
Ergänzt wur­den Jungs alchemistis­che Stu­di­en ab 1933 durch ein bre­ites, reli­gion­skundlich­es The­men­spek­trum im Rah­men der Era­nos-Tagun­gen am Monte Ver­ità in Ascona, die von der Theosophin Olga Fröbe-Kapteyn ins Leben gerufen, alljährlich einen erlese­nen Kreis europäis­ch­er Geis­tes­größen zusam­men­führten. Das intime Ein­ver­ständ­nis der elitären Gruppe, die sich um Jung scharte, zielte auf die Ein­heit aller Reli­gio­nen, einen geisti­gen Kern des Men­sch­seins, der sich nur der wahren Idee mit­teilt oder dem sym­bol­is­chen Bild. Ver­ste­hen im Sinn echter Meta­physik weist über das empirische Prinzip und die nur ratio­nale Erken­nt­nis hin­aus.

Die Nachkriegszeit bringt mit der Grün­dung des Zürcher Jung-Insti­tuts 1948 die Insti­tu­tion­al­isierung sein­er Lehre. Jungs leg­endäre Schüler sind dabei Jolande Jaco­bi, Erich Neu­mann und Aniela Jaf­fé. Trotz dieser erfol­gre­ichen Schul­bil­dung, die sich auch in anderen, nonkon­for­men Ther­a­pieein­rich­tun­gen zeigt, hat sich inter­na­tion­al das psy­cho­an­a­lytis­che Mod­ell Sig­mund Freuds, auch in aktuellen Mod­i­fika­tio­nen, erdrück­end durchge­set­zt. Über den medi­zinis­chen Bere­ich hin­aus sind auch die Sozial­wis­senschaften, ja die Kul­tur­in­tel­li­genz ins­ge­samt maßge­blich bis heute von ihm geprägt. Anders ver­hält es sich mit der Reli­gion­spsy­cholo­gie, der C. G. Jung wesentliche Anre­gun­gen schenk­te. Wenn die Wirkung von Jungs Arche­typen­lehre auch mäßig blieb und als Recht­fer­ti­gung der herrschen­den Ver­hält­nisse kri­tisiert wurde, die Freud­sche The­o­rie aber als Reli­gion­ser­satz bei Intellek­tuellen wirk­te, so hat das seinen Grund vor allem darin, daß Freuds Analyse auf schlichte Ide­olo­giekri­tik abzielte, die Jungsche »Psy­chosyn­these« dage­gen mehr leis­ten wollte: indi­vidu­ell einen Iden­tität­sauf­bau und kul­turell die Verknüp­fung von Mythos und men­schlich­er Exis­tenz.

Den Weg des Men­schen ver­ste­ht Jung als Inte­gra­tion dis­parater Kräfte, als Streben nach Ein­heit. Trotz eines je spez­i­fis­chen Lebenssinns, der ein­er beson­deren Logik fol­gt, drängt die Per­son nach Zen­tral­ität. Zu über­winden ist das vorder­gründi­ge Ich, hin auf ein tran­szen­dentes Selb­st. In diesem Sinn fol­gt Jungs Konzept dem mys­tis­chen Weg. Dabei bleibt seine Ganzheit­sidee ambiva­lent, da Freuds Ver­drän­gungs­these im Schat­ten-Begriff, ohne den es keine wahre Ganzheit geben kann, nach­wirkt. Doch bleibt sein Ver­di­enst, indi­vidu­elle und kollek­tive Imag­i­na­tion, per­sön­liche
Exis­tenz und kul­turelles Gedächt­nis als ana­log ent­deckt und bei­de reziprok erhellt zu haben. Da Urbilder (Arche­typen) und Mythen aber in der Mod­erne ver­drängt und damit sozial unbe­wußt
sind, tauchen sie nur in der Fan­tasie des Einzel­nen wieder auf. Um den uni­versellen Gehalt dieser Bilder aufzuschließen, bedarf es eines welthalti­gen Wis­sens als Res­o­nanzraum. Erst dann zeigen
sich pri­vate und kos­mis­che Dimen­sion einan­der über­set­zbar (Ampli­fika­tion). All diese Über­legun­gen brechen mit dem mech­a­nis­tis­chen Welt­bild und seinem Kausal­prinzip. Lebendi­ge Kräfte und Zeichen ver­mö­gen, so Jung, Kul­tur, Zeit und Geschichte zu über­sprin­gen; sie treten spon­tan her­vor, sind »akausal«. Diese arche­typ­is­che Wirk­form, quer zu lin­ear­er Entwick­lung und kausalem Denken, nen­nt Jung »Syn­chro­niz­ität«. Nicht zulet­zt damit zeigt Jung in einem are­ligiösen Zeital­ter, wie sehr das Religiöse zum Men­sch­sein gehört, eine Dimen­sion unser­er Exis­tenz und Bewußt­seinsstruk­tur bildet.

Carl Gus­tav Jung starb am 6. Juni 1961 in Küs­nacht (Zürich­see).

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Zitat:

Die Verän­derung muß beim Einzel­nen begin­nen; jed­er von uns kann dieser Einzelne sein. Nie­mand kann es sich leis­ten, ein­fach umherzublick­en und auf jeman­den zu warten, der das tun soll, was man sel­ber nicht tun will.

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Schriften:

  • Wand­lun­gen und Sym­bole der Libido, Leipzig 1912
  • Psy­chol­o­gis­che Typen, Zürich 1921
  • See­len­prob­leme der Gegen­wart, Zürich 1931
  • Psy­cholo­gie und Reli­gion, Zürich 1940
  • Psy­cholo­gie und Alchemie, Zürich 1944
  • Auf­sätze zur Zeit­geschichte, Zürich 1946
  • Die Psy­cholo­gie der Über­tra­gung, Zürich 1946
  • Aion. Unter­suchun­gen zur Sym­bol­geschichte, Zürich 1951
  • Antwort auf Hiob, Zürich 1952
  • Mys­teri­um Coni­un­ciones. 3 Bde, Zürich 1955–1957
  • Gesam­melte Werke. 20 Bde, Zürich/Olten 1958–1994
  • Grundw­erk in 9 Bän­den. Hrsg. von Hel­mut Barz, Olten 1984

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Lit­er­atur:

  • Andrew Samuels (Hrsg.): Wörter­buch der Jungschen Psy­cholo­gie, München 1991
  • Ger­hard Wehr: Carl Gus­tav Jung. Leben, Werk, Wirkung, Caputh ³2009