Berlin – Brandenburger Tor

So bedeut­sam sollte es eigentlich gar nicht wer­den – das Bran­den­burg­er Tor. Nur das größte Stadt­tor von Berlin sollte es sein und damit die gewach­sene Bedeu­tung Preußens seit den Siegen Friedrichs des Großen wider­spiegeln. Doch die Geschichte machte weit mehr daraus. Es ist neben Schloß Neuschwanstein sicher­lich das bekan­nteste deutsche Bauw­erk. Aber während sich die Sym­bo­l­ik Neuschwansteins weit­ge­hend darin erschöpft, das »Märchen­schloß« vom bay­erischen »Märchenkönig« Lud­wig II. zu sein, ist die Sym­bol­vielfalt des Bran­den­burg­er Tores außergewöhn­lich:

Es sym­bol­isiert den Auf­stieg Preußens zur europäis­chen Groß­macht, aber auch die Nieder­lage Preußens gegen Napoleon, der 1806 durch das Tor in die Stadt ein­rück­te. Auf diese Nieder­lage fol­gten viele Tri­umphe: 1815 (Water­loo), 1864, 1866 (König­grätz) und 1871 (Ver­sailles) paradierten die siegre­ichen preußis­chen Trup­pen durch das Tor und erhoben es damit zum Wahrze­ichen Berlins. 1918 zogen die Trup­pen des im Felde ungeschla­ge­nen, aber gle­ich­wohl besiegten Deutsch­lands durch das Por­tal. 1933 marschierte dort im Fack­elzug, die nation­al­sozial­is­tis­che Machter­grei­fung feiernd, die SA hin­durch und 1940, nach dem Sieg über Frankre­ich, die großdeutsche Wehrma­cht.

1945 hißten die Sow­jets auf dem zer­schosse­nen Wahrze­ichen die rote Fahne und 1953 zogen beim Volk­sauf­s­tand die Ost­ber­lin­er Arbeit­er durch das Tor. 1961, im Jahr des Mauer­baus, wurde das Bran­den­burg­er Tor zum Sym­bol der Teilung Berlins (Berlin­er Mauer), der Teilung Deutsch­lands, der Teilung der Welt in Ost und West. Nach dem Mauer­fall ver­wan­delte sich das Sym­bol der Teilung zum Sym­bol der neuge­wonnenen Ein­heit.

Der Vorgänger­bau des Berlin­er Bran­den­burg­er Tores war 1734 zusam­men mit der Zoll- bzw. Akzise­mauer errichtet wor­den. Es bestand aus zwei von Trophäen gekrön­ten Pfeil­ern, einem schlicht­en Wachlokal auf der linken und einem Haus für den Torschreiber sowie einem Spritzen­haus auf der recht­en Seite. Ein halbes Jahrhun­dert später genügte das erste Bran­den­burg­er Tor, das die Pracht­straße Unter den Lin­den nach West­en abschließt, den gewach­se­nen Ansprüchen für die königliche Res­i­den­zs­tadt Berlin nicht mehr. Von 1788 bis 1791 ließ der preußis­che König Friedrich Wil­helm II. das heutige Bran­den­burg­er Tor von Carl Got­thard Lang­hans im frühk­las­sizis­tis­chen Stil erricht­en.

War die Architek­tur früher­er Tor­baut­en an römis­chen Tri­umph­bö­gen ori­en­tiert, so zeigt sich beim Bran­den­burg­er Tor ein neuer Antiken­bezug. Lang­hans nahm die griechis­che Architek­tur zum Vor­bild, genauer die Propy­läen auf der Akropo­lis, die er irrtüm­licher­weise für das Stadt­tor von Athen hielt. Er kopierte das Bauw­erk allerd­ings nicht, son­dern ahmte dessen »Geist« nach und ver­suchte diesen auf die Berlin­er Sit­u­a­tion zu über­tra­gen. Der mon­u­men­tale Sand­stein­bau des Bran­den­burg­er Tores (es war der erste klas­sizis­tis­che Bau Berlins) mißt mit der sie abschließen­den Skulp­turen­gruppe der Quadri­ga eine Höhe von 26 Metern, eine Bre­ite von 65,50 Metern und eine Tiefe von 11 Metern. Die fünf Durch­fahrten des Tores wer­den durch Mauern voneinan­der getren­nt, deren Stirn­seit­en je sechs dorische Säulen vorge­lagert sind. Das 5,65 Meter bre­ite Mit­tel­tor war für die Hofe­quipa­gen der königlichen Fam­i­lie reserviert, die vier jew­eils 3,80 Meter bre­it­en Seit­en­tore waren für den öffentlichen Verkehr bes­timmt. Über dem Ges­ims lagert eine wuchtige Atti­ka, deren Stufen giebe­lar­tig zur Quadri­ga empor­führen. Die südlich und nördlich zum Paris­er Platz hin ange­lagerten Flügel­baut­en, die als Unterkun­ft für Steuere­in­nehmer, wach­habende Sol­dat­en und Offiziere dien­ten, erhiel­ten an den Stirn­seit­en dorische Tem­pel­fron­ten.

1793 wurde das Bran­den­burg­er Tor mit der von Johann Got­tfried Schad­ow in Kupfer gefer­tigten Quadri­ga gekrönt. Sie zeigte ursprünglich die im Wagen ste­hende, von vier Pfer­den gezo­gene Friedens­göt­tin Eirene, eine Tochter des Zeus. Unter­halb der Fig­uren­gruppe befind­et sich daher das Attikare­lief »Zug des Friedens«. Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht bei Jena und Auer­st­edt, wurde die Quadri­ga 1806 nach Paris gebracht. Nach den Befreiungskriegen und der franzö­sis­chen Nieder­lage in der Völk­er­schlacht bei (1813) sorgte Feld­marschall Blüch­er dafür, daß sie nach Berlin zurück­kehrte. Hier nahm sie unter großem Jubel der Berlin­er Bevölkerung wieder ihren anges­tammten Platz ein. Auf Befehl Friedrich Wil­helms III. erhielt die Friedens­göt­tin von dem Architek­ten Karl Friedrich Schinkel eine neue Trophäe: einen das Eis­erne Kreuz umschließen­den Eichenkranz, gekrönt vom preußis­chen Adler — und aus der Friedens­göt­tin wurde jet­zt die Sieges­göt­tin Vik­to­ria. Die erste Trophäe war ein an einem Speer befes­tigter Helm gewe­sen sowie ein Brust­panz­er und zwei Schilde.

In den Jahren 1861 bis 1868 erfuhr das Bran­den­burg­er Tor einige Änderun­gen: Johann Hein­rich Strack errichtete zwis­chen dem Tor und den Torhäusern neue Durchgänge, und die Häuser selb­st wur­den mit offe­nen Säu­len­hallen verse­hen. Fast gle­ichzeit­ig, 1865, wurde die Zoll­mauer am Bran­den­burg­er Tor abge­tra­gen, und der den Lin­den west­lich vorge­lagerte Paris­er Platz erhielt 1880 seine von dem Garten­baudi­rek­tor Her­mann Mächtig ent­wor­fene — und 1992 wiedergeschaf­fene Gestal­tung. Bis 1869 war, infolge des ras­an­ten Wach­s­tums der Stadt, die gesamte Zoll­mauer, ein­schließlich ihrer Tore, gefall­en. Nur das Bran­den­burg­er Tor über­dauerte diesen Mod­ernisierungss­chub.

Wenn siegre­iche preußis­che Trup­pen durch das Bran­den­burg­er Tor zogen, wurde Berlins Wahrze­ichen fes­tlich geschmückt. Das geschah beson­ders ein­drucksvoll nach dem Deutsch-Franzö­sis­chen Krieg und der Grün­dung des zweit­en Deutschen Reich­es 1871, mit der Berlin zugle­ich zur Reichshaupt­stadt auf­stieg. Tor und Quadri­ga wur­den mit Girlan­den verse­hen und auf die Däch­er der umliegen­den Häuser instal­lierte man Tribü­nen. Unter all­ge­meinen Jubel­rufen zog der neugekrönte deutsche Kaiser, Wil­helm I., an der Spitze sein­er Trup­pen durch das Bran­den­burg­er Tor ein. Ehren­jungfern über­re­icht­en ihm Blu­men. Weniger fes­tlich war das Bran­den­burg­er Tor nach dem Ende des Ersten Weltkrieges »geschmückt«: Während der Jan­u­arkämpfe 1919 beset­zten es Regierungstrup­pen und bracht­en an der Quadri­ga ein Maschi­nengewehr in Stel­lung. Auch beim Kapp-Putsch 1920 stand das Tor im Bren­npunkt der Auseinan­der­set­zun­gen. Muni­tion wurde dort gelagert, und Dutzende Ein­schußlöch­er »zierten« die Quadri­ga. Doch am fürchter­lich­sten geze­ich­net war Berlins Wahrze­ichen am Ende des Zweit­en Weltkrieges: Tausende von Ein­schußlöch­ern, Inschriften der Sieger, ein großes Ein­schußloch in der Atti­ka und eine völ­lig zer­fet­zte Quadri­ga boten ein trost­los­es Bild.

Am 21. Sep­tem­ber 1956 wurde vom Ost­ber­lin­er Mag­is­trat beschlossen, das Bran­den­burg­er Tor wieder instand zu set­zen. Ein gutes Jahr später war der Neuauf­bau – nicht zulet­zt dank West­ber­lin­er Hil­fe – abgeschlossen. Von der Quadri­ga hat­te man 1942 glück­licher­weise einen Gipsabguß ange­fer­tigt, so daß seit 1958 ein neugegossenes Vier­erges­pann das Tor wieder krönt – zu DDR-Zeit­en allerd­ings ohne Preuße­nadler und Eis­ernes Kreuz. 1961, im Jahr des Mauer­baus, ver­schwand Berlins Wahrze­ichen im Nie­mand­s­land. Vom West­en aus unerr­e­ich­bar, vom Osten aus unerr­e­ich­bar für die Bevölkerung, lag das Tor ein­sam inmit­ten von Mauern und Minen­feld, nur für aus­gewählte Staats­gäste Ost-Berlins zu besuchen.

»Open this gate!« — »Tear down this wall«, forderte am 12. Juni 1987 der dama­lige US-Präsi­dent Ronald Rea­gan anläßlich seines Berlinbe­suchs vor dem Bran­den­burg­er Tor. Gut zwei Jahre später war 30 es dann soweit: Am 9. Novem­ber 1989 fiel die Mauer und seit dem 22. Dezem­ber 1989 ist das Tor wieder passier­bar. Zur Jahrtausendwende wurde das Wahrze­ichen aufwendig saniert. Seit 1994 befind­et sich ein »Raum der Stille« im nördlichen Torhaus. Der Paris­er Platz ist unter Beibehal­tung sein­er Grund­form und der Wieder­her­stel­lung sein­er Grü­nan­la­gen neu bebaut wor­den. Platz und Tor wur­den für den motorisierten Verkehr ges­per­rt. Seit­dem ist der während der Teilung am meis­ten verödete Ort Berlins wieder ein beliebter Tre­ff­punkt und begehrter Ver­anstal­tung­sort gewor­den – nicht mehr für stolze Sieges­pa­raden, son­dern vornehm­lich für bun­des­deutsche »Events«.

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Lit­er­atur:

  • Will­muth Arenhövel/Rolf Bothe (Hrsg.): Das Bran­den­burg­er Tor, Berlin 1991
  • Lau­renz Demps: Das Bran­den­burg­er Tor. Ein Sym­bol im Wan­del, Berlin 2003
  • Peter Feist: Das Bran­den­burg­er Tor, Berlin 2000
  • Rain­er Laabs: Das Bran­den­burg­er Tor. Bren­npunkt deutsch­er Geschichte, Berlin 2001