Bozen

Das soziale Zen­trum Bozens, der Lan­deshaupt­stadt der autonomen ital­ienis­chen Prov­inz Südtirol (Alto Adi­ge), ist der Walther-von-der-Vogel­wei­de-Platz, den ein mar­mornes Stand­bild des mit­te­lal­ter­lichen Lyrik­ers und Min­nesängers ziert. Seine Ein­wei­hung im Jahr 1889 war ein dezi­diert nation­alpoli­tis­ch­er Akt: Walthers Bild­nis sollte die lang zurück­re­ichende Tra­di­tion des Deutsch­tums der Stadt bekräfti­gen und der rumoren­den, langsam her­an­rol­len­den Flut aus dem Süden die Stirn bieten. Das stärk­er ital­ienisch geprägte, eben­falls unter Hab­s­burg­er­herrschaft
ste­hende Tri­ent antwortete 1893 mit einem Dante-Denkmal.

Bei­de Dichter hat­ten wenig bis gar nichts mit den jew­eili­gen Städten zu tun: Ob Walther tat­säch­lich aus Tirol stammt, wie einige His­torik­er ver­muten, kann nicht nachgewiesen wer­den. 1935 wurde das Stand­bild von der faschis­tis­chen Regierung ins »Exil« an einen weniger zen­tral gele­ge­nen Ort ver­ban­nt. Erst 1981 kehrte es in das Herz Bozens zurück.

Das ist vielle­icht auch ein Akt der Gerechtigkeit gewe­sen, denn die deutschöster­re­ichis­che Prä­gung der Stadt ist auch heute noch unverkennbar, während der ital­ienis­chen Bevölkerungss­chicht, die heute über 70 Prozent beträgt, der Makel anhaftet, vor­rangig durch die rück­sicht­slose Ital­ian­isierungs- und Majorisierungspoli­tik Mus­soli­n­is implantiert wor­den zu sein. An die Anmaßun­gen des Faschis­mus erin­nert auch noch das 1926–28 auf dem Platz eines k. u. k. Kaiser­jäger­denkmals errichtete protzige »Sieges­denkmal« (Mon­u­men­to alla Vit­to­ria) im Stile römis­ch­er Tri­umph­bö­gen, dessen lateinis­che Inschrift der geziel­ten Pro­voka­tion und Demü­ti­gung der Südtirol­er diente: »Hier an den Gren­zen des Vater­lan­des set­ze die Feldze­ichen. Von hier aus bilde­ten wir die anderen durch Sprache, Geset­ze und Kün­ste.«

Bis heute ist das Denkmal eine Pil­ger­stätte rechter Grup­pierun­gen und Parteien aller Art und ein sym­bol­is­ch­er Zankapfel, an dem sich die Span­nun­gen zwis­chen Ital­ienern und Deutschen immer wieder von neuem entzün­den. So bestand die ital­ienis­che Mehrheit der Stadt darauf, den Namen »Siege­s­platz« anstelle von »Frieden­splatz« beizube­hal­ten, den die Bozen­er Gemein­de­v­er­wal­tung kurzfristig durchge­set­zt hat­te.

Bozen (ital­ienisch Bolzano) liegt in einem malerischen Talkessel am Fuße der west­lichen Dolomiten. Beson­ders reizvoll ist die unge­heure Dichte von gut erhal­te­nen mit­te­lal­ter­lichen Bur­gen und Schlössern im Bozen­er Beck­en. Das Schloß Runk­el­stein enthält einen einzi­gar­ti­gen Fresken­zyk­lus (1388–1410), dessen the­ma­tis­che Span­nweite von bib­lis­chen Fig­uren und Heili­gen über höfis­che Szenen, Rit­ter der Tafel­runde, Tris­tan und Isol­de, bis zu antiken und mit­te­lal­ter­lichen Herrsch­ern und deutschen Sagengestal­ten reicht. Unter let­zteren find­et sich auch Diet­rich von Bern, der der Sage nach den Zwer­genkönig Lau­rin in seinem »Rosen­garten« besiegt haben soll, einem Bergmas­siv der Dolomiten, das im Alpenglühen beson­ders »rosig« aufleuchtet. Der 1907 in Bozen errichtete Lau­rin-Brun­nen wurde in der Folge natür­lich nation­alchau­vin­is­tisch gedeutet, mit Ital­ien in der Rolle des unter­liegen­den Zwer­genkönigs.

Die Stadt­grün­dung durch die Bis­chöfe um Tri­ent ist um 1170–80, unter der Herrschaft Friedrich Bar­barossas (Kyffhäuser), anzusiedeln. Am Beginn stand eine ein­fache Anlage aus Getrei­de­markt und Stadt­burg. Den ältesten Kern der Stadt bilden die seit jeher merkan­tilen Zweck­en dienen­den »Bozen­er Lauben« mit ihren roman­tis­chen engen Gassen und spätro­man­is­chen Gewöl­ben. Im Laufe der näch­sten Jahrhun­derte wuchs Bozen zum bedeu­tend­sten Han­del­szen­trum Tirols, das durch seine gün­stige Lage inter­na­tionale Gel­tung gewann. Von hier aus führten Han­del­swege direkt nach Verona, Venedig, Augs­burg und andere wichtige Han­delsstädte.

1635 wurde der Merkan­til­mag­is­trat ein­gerichtet, ein Son­derg­ericht, das die Auf­gabe hat­te, den zahlre­ichen ital­ienis­chen Kau­fleuten, die in Bozen Jahrmärk­te betrieben, in Amt­san­gele­gen­heit­en
sprach­lich ent­ge­gen­zukom­men, indem es die Richter zur Ken­nt­nis der »lateinis­chen und  welschen« Sprache verpflichtete.

Der Zen­it als kaufmän­nis­ches Zen­trum war nach 1800 über­schrit­ten, die Fern­händler blieben zunehmend aus, Bozen sank zum Prov­inz­markt herab. In der zweit­en Hälfte des 19. Jahrhun­derts erlebte die Stadt einen erneuten Auf­schwung, der um die Jahrhun­der­twende in ein­er wahren »Grün­derzeit« gipfelte. 1918 erfol­gte nach der Nieder­lage Öster­re­ich-Ungar­ns der Anschluß Südtirols und damit auch Bozens an Ital­ien, mit den bekan­nten Fol­gen. Der Kampf um die Rechte der deutschen Volks­gruppe und die Autonomie Südtirols erwies sich als hart und zäh und zog sich bis in die siebziger Jahre.

Als bedeu­ten­der, mit Bozen ver­bun­den­er Schrift­steller ist der Dichter, Essay­ist und Romanci­er Franz Tum­ler (1912–1998) zu nen­nen, der im Stadtvier­tel Gries geboren wurde. Seine Nov­el­le Das Tal von Lausa und Duron (1935) ist eines der weni­gen lit­er­arischen Werke, das der ladinis­chen Volks­gruppe Südtirols ein Denkmal geset­zt hat. Eben­falls in Gries wurde Her­bert Rosendor­fer (1934–2012) geboren, dessen vielfältiges Werk Romane, Erzäh­lun­gen, Drehbüch­er, Libret­ti, Reise­führer und musikalis­che Ein­führun­gen, etwa in das Werk Wag­n­ers (žžBayreuth), umfaßt. Wie Tum­ler lebte auch Rosendor­fer, trotz sein­er tiefen Ver­bun­den­heit zu sein­er Heimat, die meiste Zeit seines Lebens im »Exil«: südtiro­lerische und deutsche Schick­sale des 20. Jahrhun­derts. Vielle­icht entstammt diesem Erfahrung­sh­in­ter­grund auch der Satz Rosendor­fers: »Vielle­icht bewältigt ein Volk seine poli­tis­che Ver­gan­gen­heit nur, indem es sie unbe­wältigt läßt.«

– — –

Lit­er­atur:

  • Bruno Mahlknecht: Bozen durch die Jahrhun­derte, 4 Bde., Bozen 2005-07
  • Her­bert Rosendor­fer: … ich geh zu Fuß nach Bozen und andere per­sön­liche Geschicht­en, München 1988
  • Franz Tum­ler: Das Land Südtirol, München 1971