Der europäische Bürgerkrieg 1917–1945 — Ernst Nolte, 1987

Nach­dem Ernst Nolte in Faschis­mus in sein­er Epoche sowie in Marx­is­mus und Indus­trielle Rev­o­lu­tion die ide­olo­giegeschichtlichen Ursprünge von Nation­al­sozial­is­mus und Bolschewis­mus
erschlossen hat­te, lag es in der Logik der Sache, daß er auch die welt­poli­tis­che Eskala­tion ihres unver­söhn­lichen Kon­flik­ts darstellen würde. Entsprechend fin­ster und fatal­is­tisch fiel Noltes Panora­ma des »europäis­chen Bürg­erkriegs« aus, worin er seine ide­olo­giehis­torische Per­spek­tive real­his­torisch zus­pitzt und robuste Kon­se­quen­zen aus lange zuvor niedergelegten Prämis­sen zieht.

Überdies nimmt Nolte für sein Grund­ver­ständ­nis des Nation­al­sozial­is­mus wichtige Akzentver­schiebun­gen vor, indem er anstelle des Anti­semitismus vielmehr den Anti­bolschewis­mus ins Zen­trum der Betra­ch­tung rückt und diesen nicht mehr vor­rangig auf einen irra­tionalen Wahn oder kalkulierte Pro­pa­gan­da reduziert, son­dern auch eine Reak­tions­bil­dung mit einem ratio­nalen Kern und klarem Real­itäts­bezug darin erken­nt. Wenn freilich der Bolschewis­mus nicht nur ein imag­inäres Feind­bild, son­dern einen realen Feind der lib­eralen Sys­teme Deutsch­lands und ganz Europas darstellte, dann kann selb­st dem Nation­al­sozial­is­mus als der radikalsten Reak­tion, die jen­er her­vor­rufen sollte, nicht mehr in jed­er Hin­sicht ein his­torisches Recht abge­sprochen wer­den. Nach sein­er epochalen Umgren­zung des europäis­chen Faschis­mus set­zt Nolte diesen nun­mehr zu dem epochenüber­greifend­en und glob­alen Phänomen des Kom­mu­nis­mus in Beziehung und reißt damit ins­beson­dere den deutschen Radikalfaschis­mus aus sein­er nationalen Iso­la­tion her­aus, in die ihn eine neg­a­tiv-nation­al­is­tis­che Geschichtss­chrei­bung ver­ban­nt hat­te.

Sein Augen­merk mehr auf die schreck­lichen als die ver­heißungsvollen Züge des Bolschewis­mus rich­t­end, wirft Nolte die Frage auf, ob nicht mit dessen ide­ol­o­gisch begrün­de­ten Massen­ver­brechen ein Präze­dens geschaf­fen wurde, welch­es den nation­al­sozial­is­tis­chen Ver­brechen nicht nur his­torisch voraus­ge­ht, son­dern ihnen auch kon­di­tion­al zugrun­deliegt. Noltes ver­störende Antwort, daß der »Rassen­mord« an den Juden als eine ins Wahn­hafte über­schießende Vergel­tungs­maß­nahme für den »Klassen­mord« an den Kulak­en ange­se­hen wer­den darf, beruht auf ein­er umfassenden Sich­tung bis dahin kaum bekan­nten his­torischen Mate­ri­als. Ener­gisch wider­spricht Nolte der weitver­bre­it­eten Ansicht, es sei in der Sow­je­tu­nion erst unter Stal­in zu geziel­tem Massen­ter­ror gekom­men, während Lenin noch einen zwar harten, aber gerecht­en Klassenkampf geführt habe.

Ger­ade Nation­al­sozial­is­ten der ersten Stunde wie Erwin Scheub­n­er-Richter und Alfred Rosen­berg rekru­tierten sich aus Zirkeln deutschstäm­miger rus­sis­ch­er Emi­granten, welche die in ihren Augen jüdisch-bolschewis­tis­che Okto­ber­rev­o­lu­tion noch als unmit­tel­bare Lebens­bedro­hung erfahren hat­ten. Aber auch für Hitlers Fühlen und Denken soll­ten Furcht und Haß, die sich in den Willen zu mil­i­tan­ter Gegen­wehr und mas­siv­er Vergel­tung umset­zten, angesichts sein­er Erfahrun­gen mit den deutschen Kom­mu­nis­ten und ihren zahlre­ichen jüdis­chen Führern allbes­tim­mend wer­den. Um zum »Zer­brech­er des Marx­is­mus« wer­den zu kön­nen, suchte er eine anti­bolschewis­tis­che Partei von bolschewis­tis­ch­er Geschlossen­heit aufzubauen und München zum Moskau sein­er Bewe­gung zu machen, nicht ohne den roten Ter­ror und die rote Pro­pa­gan­da unter braunen Vorze­ichen zu kopieren und das Feind­bild des »Kap­i­tal­is­ten« mit dem des »Juden« zu pari­eren. Dergestalt fungierte der Bolschewis­mus für den Nation­al­sozial­is­mus als »Schreck­bild und Vor­bild zugle­ich«.

Nach Maß­gabe dieser Dialek­tik von bolschewis­tis­ch­er Rev­o­lu­tion und radikalfaschis­tis­ch­er Gegen­rev­o­lu­tion entwick­elt Nolte seine his­torisch-genetis­che Total­i­taris­mus­the­o­rie, die sich als Syn­these aus der dynamis­chen Faschis­mus­the­o­rie und der sta­tis­chen Total­i­taris­mus­the­o­rie präsen­tiert: Der nation­al­sozial­is­tis­che Total­i­taris­mus formierte sich als »feindliche Imi­ta­tion« des bolschewis­tis­chen, und diese his­torische Kausal­ität gener­ierte ihre struk­turelle Par­al­lelität. Diese kom­plexe The­o­rie verdichtet Nolte schließlich zur plaka­tiv­en These eines »kausalen Nexus« zwis­chen den Ver­nich­tungs­maß­nah­men der einan­der äußer­lich feindlichen, inwendig jedoch ver­wandten Total­i­taris­men: Sowenig es Hitler ohne Lenin gegeben hätte, sowenig wäre es ohne den Gulag zu Auschwitz gekom­men. Noltes vielfach als »voll­ständi­ge Deter­mi­na­tion«  mißver­standen­er Begriff des Kausal­nexus meint indessen lediglich eine als con­di­tio sine qua non aufz­u­fassende »ursäch­liche Verknüp­fung«. Insofern hebt Nolte weniger auf eine nat­u­ral­is­tis­che Erk­lärung his­torisch­er Vorgänge ab als auf das hermeneutis­che Ver­ste­hen ein­er epochalen Her­aus­forderung und ihrer exzes­siv­en Erwiderung.

Dabei trifft Nolte eine »logis­che Unter­schei­dung zwis­chen ang­sterzeu­gen­der Erfahrung und ide­olo­gi­es­tif­ten­dem Schlüs­sel«, um Hitlers bolschewis­tis­ches Trau­ma gegenüber dessen anti­semi­tis­ch­er Bewäl­ti­gung geneal­o­gisch zu pri­or­isieren. Ursprünglich ver­stand sich Hitlers rassenan­tisemi­tis­che Geschichtsmytholo­gie als biol­o­gis­tis­ch­er Gege­nen­twurf zur marx­is­tis­chen
Geschicht­sphiloso­phie. Aber erst der poli­tis­che Mythos des »jüdis­chen Bolschewis­mus« induzierte und sank­tion­ierte jene Kausal­ität der Ver­nich­tung, die Goebbels »ein bar­barisches, aber vol­lauf
gerecht­fer­tigtes Strafgericht« nan­nte, da es nur bil­lig sei, die Juden in die Lager zu sper­ren, die sie unter Trotzkis Kom­man­do selb­st errichtet hät­ten.

Der Europäis­che Bürg­erkrieg stellt das umstrit­ten­ste der großen Werke Noltes dar. Dessen Kern­the­sen, die Nolte in seinem FAZ-Artikel »Ver­gan­gen­heit, die nicht verge­hen will« (6. Juni 1986) bere­its vor­ab pub­liziert hat­te, provozierten den »His­torik­er­stre­it« und block­ierten zumal in Deutsch­land eine angemessene Rezep­tion des Werkes, dem Geschicht­sre­vi­sion­is­mus und Rel­a­tivierung des Holo­caust vorge­wor­fen wur­den.

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Zitat:

Die Endlö­sung ist in einem nicht bloß triv­ialen Sinne einzi­gar­tig. Als ten­den­ziell voll­ständi­ge Ver­nich­tung eines Welt-Volkes unter­schei­det sie sich wesentlich von allen Genozi­den und ist das genaue Gegen­bild zur ten­den­ziell voll­ständi­gen Ver­nich­tung ein­er Welt-Klasse durch den Bolschewis­mus, und insofern ist sie die biol­o­gis­tisch umgeprägte Kopie des sozialen Orig­i­nals. Aber eben deshalb ist sie keine bloß biol­o­gis­che Ver­nich­tung, son­dern eine tran­szen­den­tale Ver­nich­tung – sie bedeutet eine Entschei­dung im Hin­blick auf den Geschicht­sprozeß im ganzen, eine Entschei­dung gegen den Fortschritt.

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Aus­gabe:

  • 6. Auflage, München: Her­big 2000

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Lit­er­atur:

  • Siegfried Ger­lich: Ernst Nolte. Por­trait eines Geschichts­denkers, Schnell­ro­da 2009
  • Fran­cois Kai-Uwe Merz: Das Schreck­bild. Deutsch­land und der Bolschewis­mus 1917 bis 1921, Berlin/Frankfurt a. M. 1995