Der Fürst — Nicolló Machiavelli, 1805

Machi­avel­lis berühmtestes Buch ste­ht der Form nach noch in der Tra­di­tion älter­er »Fürsten­spiegel« (Lehrbüch­er für kün­ftige Herrsch­er); sein poli­tis­ch­er Inhalt jedoch sowie die Kern­punk­te sein­er poli­tis­chen Lehre brechen radikal mit der bish­eri­gen antik-mit­te­lal­ter­lichen Tra­di­tion poli­tis­chen Denkens. Denn Machi­avel­li argu­men­tiert ohne Beru­fung auf tran­szen­den­tale, religiöse oder philosophis­che Glauben­snor­men oder Rechts­grund­sätze, son­dern rein zweck­o­ri­en­tiert.

Sein The­ma beste­ht auss­chließlich in der Beant­wor­tung der Frage nach der Erwer­bung, Behaup­tung und Sicherung poli­tis­ch­er Macht: Alles, was diesem Zweck dient, ist gerecht­fer­tigt – alles, was ihm zuwider­läuft oder schadet, wird ver­wor­fen. Diese Auf­fas­sung impliziert zugle­ich eine klare Tren­nung von der herkömm­lichen Verbindung von moralis­chem und poli­tis­chem Han­deln und damit von der Auf­fas­sung, das Richtige und Nüt­zliche im Bere­ich des Poli­tis­chen sei mit dem moralisch Guten iden­tisch.

Die zen­tralen Begriffe von Machi­avel­lis Analyse »richti­gen«, d.h. auf Machter­ringung und Machter­halt zie­len­den poli­tis­chen Han­delns sind erstens for­tu­na (Glück), ohne die kein großer poli­tis­ch­er Erfolg möglich ist, zweit­ens virtù (Fähigkeit zu kraftvollem poli­tis­chem Han­deln, Durch­set­zungs­fähigkeit), die Kar­dinal­tugend jedes erfol­gre­ichen Poli­tik­ers, drit­tens occa­sione (Gele­gen­heit), die vom macht­poli­tisch han­del­nden Fürsten erkan­nt und genutzt wer­den muß, und viertens neces­sitá (Zwang zum Han­deln in gefährlichen Sit­u­a­tio­nen, im Aus­nah­mezu­s­tand).

Machi­avel­lis Schrift stellt – ent­ge­gen den Behaup­tun­gen zeit­genös­sis­ch­er und später­er Kri­tik­er – aus­drück­lich keine Auf­forderung zum prinzip­iell amoralis­chen oder gar grausamen Han­deln dar: Ein kluger Fürst soll, wie er aus­drück­lich betont, »am Guten fes­thal­ten, soweit es möglich ist, aber im Not­fall vor dem Schlecht­en nicht zurückschreck­en«; in jedem Fall aber muß er stets tak­tisch agieren und oft­mals seine eigentlichen Absicht­en und Ziele ver­ber­gen.

Machi­avel­lis Lehre beruht wesentlich auf ein­er real­is­tis­chen Auf­fas­sung von der men­schlichen Natur, denn »von den Men­schen läßt sich im all­ge­meinen so viel sagen, daß sie undankbar, wankelmütig und heuch­lerisch sind, voll Angst vor Gefahr, voll Gier nach Gewinn«. Eine weit­ere zen­trale und prä­gende Voraus­set­zung sein­er Lehre liegt in der eige­nen Erfahrung als Poli­tik­er, der vierzehn Jahre in den Dien­sten der Repub­lik Flo­renz ges­tanden hat, sowie in sein­er genauen Ken­nt­nis der antiken und der neueren Geschichte. Machi­avel­lis Grundgedanke, daß die Selb­ster­hal­tung des eige­nen Gemein­we­sens zen­trale Norm poli­tis­chen Han­delns sein muß und in bes­timmten Sit­u­a­tio­nen auch ein (nach herkömm­lich­er Auf­fas­sung) amoralis­ches Han­deln erfordert, beruht nicht zulet­zt auf zeit­genös­sis­chen Erfahrun­gen; keineswegs zufäl­lig endet seine Schrift mit einem lei­den­schaftlich for­mulierten »Aufruf, Ital­ien von den Bar­baren zu befreien«.

 

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Zitat:

Ihr müßt euch näm­lich darüber im klaren sein, daß es zweier­lei Arten der Auseinan­der­set­zun­gen gibt: die mit Hil­fe des Rechts und die mit Gewalt. Die erstere entspricht dem Men­schen, die let­ztere den Tieren. Da die erste oft nicht zum Ziele führt, ist es nötig, zur zweit­en zu greifen.

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Aus­gabe:

  • Gesam­melte Schriften, Bd. 2, München: Georg Müller 1925, S. 1–109; Taschen­buchaus­gabe, Frank­furt a. M./Leipzig: Insel 2008

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Lit­er­atur:

  • Hans Frey­er: Machi­avel­li, Leipzig 1938

  • Kurt Klux­en: Poli­tik und men­schliche Exis­tenz bei Machi­avel­li. Dargestellt am Begriff der Neces­sità, Stuttgart 1967