Der Peloponnesische Krieg — Thukydides, 4. Jh.v. Chr.

Mit seinen Erkun­dun­gen (his­to­ri­ai) über den Krieg zwis­chen den Pelo­pon­nesiern und den Athen­ern schreibt Thuky­dides erst­mals ein Werk der Zeit­geschichte. In »müh­samer Unter­suchung« sei er »Selb­ster­lebtem und Nachricht­en von andern mit aller erre­ich­baren Genauigkeit bis ins einzelne nachge­gan­gen«. Damit habe er sich, so seine bemerkenswerte method­is­che Selb­stre­flex­ion, von seinem Vorgänger Herodot, aber auch von den Dichtern wie Homer abset­zen wollen, die »in der Erforschung der Wahrheit« »unbe­müht« gewe­sen wären oder »in hym­nis­ch­er Auf­schmück­ung« nur die »Hör­lust« befriedigt hät­ten, nicht aber aufgedeckt hät­ten, »was tat­säch­lich geschah« (Kap. I, 20–22). Er aber habe auf das »wirk­lich Geschehene« geachtet und könne daher zeigen, daß der von ihm beschriebene Krieg alle bish­eri­gen Kriege, den gegen Tro­ja also und den gegen die Pers­er, übertr­e­ffe.

Gestützt auf ein asketis­ches Forschungsethos und geschult an den diag­nos­tis­chen Kat­e­gorien der zeit­genös­sis­chen Medi­zin wie den rhetorischen Strate­gien der Sophis­ten ver­fol­gen die acht Büch­er von Thuky­dides’€™ Werk von 431 v. Chr. an – von weni­gen knap­pen Rück­blenden in die Vorgeschichte abge­se­hen und chro­nol­o­gisch nach Som­mern und Win­tern geord­net – die Ereignisse des in seinen Wirkun­gen katas­trophalen griechis­chen Brud­erkrieges (431–404 v. Chr.). Als der Tod dem Autor die Fed­er aus der Hand nahm, war seine Darstel­lung bis zum Jahre 411 v. Chr. gelangt. In die Schilderung der Hand­lun­gen sind eine Rei­he großer Reden und Dialoge sowie Reflex­io­nen (etwa über die Seuche in Athen oder über die »Patholo­gie« des Krieges) eingestreut.

Thuky­dides leit­et die Autorität sein­er Geschichte von der Kon­sti­tu­tion ein­er neuen Wis­sens­form ab: Gegenüber pop­ulären, leicht faßlichen oder primär poet­isch überzeu­gen­den Verge­gen­wär­ti­gun­gen von Ver­gan­gen­heit weiß sich seine Geschichte allein der Wahrheitssuche verpflichtet. Nur strenge method­is­che Arbeit decke das Wirk­liche scho­nungs­los auf und sichere dem Ergeb­nis »eherne Objek­tiv­ität« (Jacob Bur­ck­hardt) und damit nüt­zliche Ein­sicht­en für alle Zukun­ft.

Mit dieser von ihm selb­st bezo­ge­nen Posi­tion ist Thuky­dides seit dem 19. Jahrhun­dert nicht nur als der natür­liche Gipfelpunkt der antiken His­to­ri­ogra­phie betra­chtet wor­den, son­dern zugle­ich als der »große Bahn­brech­er« (Jacob Bur­ck­hardt) und norm­set­zende Ahn­herr der mod­er­nen Geschichtswis­senschaft. Doch beruht diese objek­tivis­tisch-szi­en­tifis­che Sicht eben­sosehr auf unre­flek­tierten Prämis­sen, wie sie die lei­t­ende Idee der thuky­dideis­chen Geschicht­skon­struk­tion aus­blendet.

Das schmerzhafte Erleb­nis von Krieg und Exil ist der Hin­ter­grund für Thuky­dides’€™ tief­schwarzes und pes­simistis­ches Welt-und Men­schen­bild, das die ganz auf poli­tis­che Ereig­nis- und Kriegs­geschichte verengte Konzep­tion des Geschichtswerks vol­lkom­men impräg­niert. Sein schein­bar unbeir­rbar­er Ratio­nal­is­mus und objek­tiv­er Real­is­mus erweisen sich so eher als »Nei­gung zu ver­all­ge­mein­ern­der Über­be­w­er­tung des Widri­gen« (Her­mann Stras­burg­er). Damit ist Thuky­dides’€™ Leis­tung nicht entwertet, aber sie unter­schei­det sich nicht mehr kat­e­go­r­i­al von der seines Vorgängers Herodot und sein­er Nach­fol­ger. Let­ztlich ste­hen hin­ter den bei­den bis heute existieren­den Lesarten von Thuky­dides unter­schiedliche Vorstel­lun­gen über Wesen und Ziel von Geschichtss­chrei­bung.

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Zitat:

Wer klare Erken­nt­nis des Ver­gan­genen erstrebt und damit auch des Kün­fti­gen, das wieder ein­mal, nach der men­schlichen Natur, gle­ich oder ähn­lich sein wird, der mag mein Werk für nüt­zlich hal­ten, und das soll mir genü­gen. Zum Besitz für immer, nicht als Prunk­stück fürs ein­ma­lige Hören ist es aufgeschrieben.

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Aus­gabe:

  • Griechisch, hrsg. von H. Stu­art Jones, 2 Bde., Oxford: Uni­ver­si­ty Press ²1974; deutsch, hrsg. und über­set­zt von Georg Peter Land­mann, 2 Bde., München: dtv 1973

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Lit­er­atur:

  • Wolf­gang Schade­waldt: Die Anfänge der Geschichtss­chrei­bung bei den Griechen. Herodot, Thuky­dides, Frank­furt a. M. 1982
  • Her­mann Stras­burg­er: Die Wesens­bes­tim­mung der Geschichte durch die antike Geschichtss­chrei­bung (1966), in: ders.: Stu­di­en zur Alten Geschichte, Bd. 2., Hildesheim 1982, S. 963‑1017