Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen — Afred de Zayas, 1977

Bis in die siebziger Jahre gehörten Krieg und Vertrei­bung noch zu dem, was mit­tels oral his­to­ry tradiert wurde. Die »Erleb­nis­gen­er­a­tion« stand in der Mitte des Lebens, und die Erfahrung der großen Katas­tro­phe war in jed­er Fam­i­lie lebendig durch das, was erzählt wurde, Einzelschick­sale, die sich zu einem mehr oder weniger geschlosse­nen Bild fügten. Allerd­ings gab es auch blinde Fleck­en. Das gilt vor allem für die Rolle der West­al­li­ierten, die sich von Siegern und Beset­zern zu Ver­bün­de­ten und Beschützern gewan­delt hat­ten.

Dage­gen kon­nte der Hor­ror im Osten ohne Zurück­hal­tung geschildert wer­den, die Kon­ti­nu­ität der Feind­schaft machte das möglich. Insofern erschien die Vertrei­bung aus den Ost­ge­bi­eten, deren Abtren­nung und die Teilung Deutsch­lands auch regelmäßig als Teil der kom­mu­nis­tis­chen Untat­en, weniger als Aspekt des nationalen Schick­sals, das durch alle Okku­pa­tion­s­mächte über die Deutschen ver­hängt wor­den war.

Diese Per­spek­tive hat die Arbeit des Völk­er­rechtlers und His­torik­ers Alfred M. de Zayas über Die Anglo-Amerikan­er und die Vertrei­bung der Deutschen nach­haltig in Frage gestellt, was darauf zurück­zuführen ist, daß er nicht nur den his­torischen Kon­text der Vertrei­bung wieder­her­stellte – durch Ver­weis auf die ungelösten Nation­al­itätenkon­flik­te des Sys­tems von Ver­sailles, »Bevölkerung­sum­sied­lung als poli­tis­ches Prinzip« und das Konzept der Rachep­oli­tik –, son­dern auch durch Hin­weis auf die Rolle von Briten und Amerikan­ern im Zusam­men­spiel mit den ost­mit­teleu­ropäis­chen Exil­regierun­gen ein­er­seits und mit der Sow­je­tu­nion ander­er­seits.
Für die Pläne Stal­ins im Hin­blick auf die dauernde Unter­w­er­fung des Kon­ti­nents spielte eine entschei­dende Rolle, daß er nicht nur seine Beute aus dem Pakt mit Hitler behal­ten, son­dern
auch das alte rus­sis­che Ziel eines eis­freien Hafens an der Ost­see erre­ichen wollte. Gle­ichzeit­ig rech­nete er damit, daß die Vertrei­bung der deutschen Bevölkerun­gen aus Polen, der Tsche­choslowakei, Ungarn und Jugoslaw­ien die dor­ti­gen Regierun­gen dauer­haft an Moskau binden würde, schon um sich gegen eine deutsche Revanche zu sich­ern.

Diese Aspek­te wur­den von de Zayas nun ergänzt durch den Hin­weis auf die Bere­itschaft Churchills und Roo­sevelts, entsprechende Pla­nun­gen der Sow­jets zu akzep­tieren – weil sie im Grunde den eige­nen entsprachen, Ressen­ti­ments gegenüber den Deutschen ent­ge­genka­men, oder man wußte, daß Stal­in nicht aufzuhal­ten war –, solange man nur das Gesicht wahren und in der Öffentlichkeit den Ein­druck erweck­en kon­nte, als ob es nur um einen geord­neten »Bevölkerungstrans­fer« gehe. Zulet­zt hat­te man mit der Erk­lärung von Pots­dam diesen Ein­druck zu erweck­en ver­sucht, obwohl die Weltöf­fentlichkeit da längst von den Vorgän­gen im »Toten­haus« Ost­deutsch­land wußte.

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Zitat:

Der Geist der Men­schlichkeit ver­langt die Verurteilung krim­inellen Ver­hal­tens, gle­ich, ob es sich bei ein­er Aggres­sion kundg­ibt oder im Vol­lzug ein­er unter­schied­slosen Rache.

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Aus­gabe:

  • Über­ar­beit­ete und erweit­erte Neuau­flage unter dem Titel Die Neme­sis von Post­dam. Die Anglo-Amerikan­er und die Vertrei­bung der Deutschen, München: Her­big 2005