Heidelberg – Schloß

Noch immer soll es vorkom­men, daß Touris­ten aus Asien oder Ameri­ka am Hei­del­berg­er Schloßberg irrtüm­lich eines der dort thro­nen­den Kor­po­ra­tionshäuser fotografieren – in der fälschlichen Annahme, es han­dele es sich um das Schloß. Zumeist klärt sich das Mißver­ständ­nis auf, und ganz falsch ist die Fährte nicht. Haben doch sowohl in der Geschichte des Hei­del­berg­er Schloss­es als auch in den Häusern der Stu­den­ten­verbindun­gen manche Merk­male der »deutschen Seele« die Jahrhun­derte über­dauert.

Man muß also der ver­schlun­genen Schloßs­traße bis zum Ende fol­gen, um auf jenen Vor­sprung des Königstuhls ober­halb der Stadt ans Ziel zu gelan­gen, den die Kur­fürsten von der Pfalz einst zur Res­i­denz erko­ren. Wer den Aus­blick über Alt­stadt und Neckar hinüber zum Philosophen­weg genießt, der mag träumerisch vergessen, daß er sich in ein­er Ruine befind­et. Diese Ruine und ihre Geschichte jedoch hat­ten zu früheren Zeit­en das Poten­tial für ein ver­i­ta­bles Poli­tikum in sich. Denn schon die Zer­störung des Schloss­es als solche wurde sein­erzeit als nationale Angele­gen­heit
emp­fun­den. Der Ursprung des Schloss­es liegt in ein­er mit­te­lal­ter­lichen Bur­gan­lage, die im 15. und 16. Jahrhun­dert als Res­i­denz der pfälzis­chen Wit­tels­bach­er erneuert wurde. Die Ver­wüs­tung kam 1689 und 1693 mit dem Pfälzis­chen Erb­fol­gekrieg, in dem franzö­sis­che Trup­pen das Schloß wie so viele andere Fes­tun­gen und Bur­gen im Süd­west­en zer­störten.

Damals hat­te Frankre­ich in Europa eine hege­mo­ni­ale Stel­lung inne. Nach dem Tode des pfälzis­chen Kur­fürsten Karl erhob Lud­wig XIV. 1685 im Namen sein­er Schwägerin Liselotte von Orléans – der Schwest­er des Ver­stor­be­nen – Anspruch auf Teile der Kurp­falz. Er erkan­nte dabei die durch einen Ver­trag geregelte Erb­folge nicht an. Sie sah eigentlich vor, die Kur­würde dem katholis­chen und kaiser­treuen Philipp Wil­helm aus dem Hause Pfalz-Neuburg zukom­men zu lassen. 1686 formierte sich die Augs­burg­er Allianz, beste­hend aus dem Kaiser, Bay­ern, dem fränkischen und ober­rheinis­chen Reich­skreis sowie Spanien und Schwe­den. Inhalt des lock­eren Bünd­niss­es war das gegen­seit­ige Ver­sprechen, sich gemein­sam gegen franzö­sis­che Über­griffe zu wehren. Frankre­ich reagierte mit dem Bau von Fes­tun­gen am Ober­rhein. Um auch am Nieder­rhein einen Stützpunkt zu erlan­gen, ver­suchte Lud­wig XIV. den ihm ergebe­nen Kar­di­nal Wil­helm von Fürsten­berg gegen den Wider­stand des Kaisers und des Pap­stes zum neuen Kur­fürsten in Köln zu machen. Dieser öffnete Köln den franzö­sis­chen Trup­pen. Papst Innozenz XI. ernan­nte gle­ichzeit­ig den kaiser­treuen Wit­tels­bach­er Joseph Clemens zum neuen Köl­ner Kur­fürsten.

Am 24. Sep­tem­ber 1688 ließ Lud­wig XIV. seine Trup­pen bei Straßburg ost­wärts über den Rhein rück­en. Er wollte ein­er West­ver­schiebung der kaiser­lichen Trup­pen nach deren Sieg gegen die Türken zuvorkom­men. Zu sein­er Über­raschung hat­ten seine Geg­n­er mehrere Ange­bote aus­geschla­gen, den Erb­folgestre­it über Geldzahlun­gen aus der Welt zu räu­men. Statt dessen reagierten die kaiser­lichen Trup­pen am 15. Feb­ru­ar 1689 erst­mals mit ein­er Reich­skriegserk­lärung. Bere­its 1688 hat­ten sich Bran­den­burg, Sach­sen, Hes­sen-Kas­sel und Han­nover im soge­nan­nten Magde­burg­er Konz­ert mit dem Ziel ver­bün­det, Hol­land während der Expe­di­tion Wil­helms von Oranien nach Eng­land zu deck­en und die Fran­zosen vom Nieder­rhein zu vertreiben. Eng­land trat nach der dor­ti­gen Machtüber­nahme durch Wil­helm von Oranien in das Lager der Geg­n­er Frankre­ichs ein. Gemein­sam block­ierten englis­che und hol­ländis­che Flotte die franzö­sis­che Küste und ver­nichteten 1692 die franzö­sis­che Seemacht. Der Krieg weit­ete sich zu einem europäis­chen Flächen­brand aus, in dem der Aus­lös­er Frankre­ich bald auf sich allein gestellt blieb. So waren die franzö­sis­chen Trup­pen nicht stark genug, die 1688 beset­zten Gebi­ete zu hal­ten. Sie zogen sich zurück und ver­wüsteten im Stile der »ver­bran­nten Erde« dabei sys­tem­a­tisch die Pfalz, um eine »tote Zone« zu hin­ter­lassen, welche sich jedoch mil­itärisch als nut­z­los erwies. Indes: Die gegen­sät­zlichen Inter­essen der Geg­n­er Frankre­ichs und deren unko­or­diniertes mil­itärisches Vorge­hen ver­hin­derten weit­ere Nieder­la­gen Frankre­ichs und ließen die mil­itärischen Aktio­nen weit­ge­hend zum Still­stand kom­men.

Unter schwedis­ch­er Ver­mit­tlung kam es 1697 schließlich zum Frieden von Ryswick. Darin wur­den das englis­che König­tum Wil­helms von Oranien und das Elsaß als franzö­sis­ch­er Besitz anerkan­nt. Frankre­ich verzichtete sein­er­seits u. a. auf die Städte Freiburg, Breisach, Kehl, alle recht­srheinis­chen Gebi­ete, die Ansprüche auf die Pfalz und die Reunio­nen in den spanis­chen Nieder­lan­den. Am Ende des Krieges war die franzö­sis­che Hege­monie zugun­sten des Kräf­te­orte gle­ichgewichts in Europa gebrochen. Die plan­mäßi­gen und mutwilli­gen Zer­störun­gen und Brand­schatzun­gen durch die Fran­zosen bran­nten sich in den deutschen Gebi­eten in das Gedächt­nis ein. Die Zer­störung der Pfalz weck­te in Deutsch­land ein starkes Nation­al­ge­fühl gegenüber Frankre­ich. Das zer­störte Hei­del­berg­er Schloß wurde so zu einem Sym­bol.

Mehr als 100 Jahre später, nach den siegre­ichen Kriegen gegen das napoleonis­che Frankre­ich, gab dieses Sym­bol Anlaß für den soge­nan­nten Denkmal­stre­it. Der auflebende Patri­o­tismus, for­muliert etwa durch den Dichter Wolf­gang Müller von Königswin­ter, sollte auch in den Nation­aldenkmälern zum Aus­druck kom­men, und so wurde die Forderung laut, das Hei­del­berg­er Schloß als »Wall gegen die Feinde des Vater­lan­des« und Zeichen der Unbeugsamkeit wieder­aufzubauen.

In Poli­tik und Fach­welt entzün­dete sich eine lei­den­schaftliche Grund­satzdiskus­sion um das Für und Wider und um die Auf­gabe der Denkmalpflege. Während der Architekt Carl Schäfer ab 1893 bere­its mit der Restau­rierung des Friedrichs­baus begann, beriefen Kun­sthis­torik­er und Denkmalschützer eine Schloßbaukon­ferenz ein. Aber­mals disku­tierten nun führende Fach­leute über den Umgang mit dem Denkmal. Der Kun­sthis­torik­er Georg Dehio prägte damals den Satz: »Kon­servieren, nicht restau­ri­eren!« Diese Mei­n­ung set­zte sich durch. Trotz hitziger Debat­ten blieben weit­ere Rekon­struk­tion­spläne in der Schublade. Die übri­gen Gebäude wur­den lediglich in ihrem Bestand gesichert. Der Friedrichs­bau ist das einzige Zeug­nis für den Wun­sch nach Wieder­auf­bau.

Als Res­o­nanzraum für »kleine Flucht­en« in die Epoche der deutschen Roman­tik leis­tet das Hei­del­berg­er Schloß bis heute beste Dien­ste. Sei es, daß man ent­lang der Schef­fel­ter­rassen lust­wan­delt, oder sei es, daß man sich am Großen Faß und an der Leg­ende vom Zwer­gen Perkeo ergötzt, welch­er der von Vic­tor Hugo über­liefer­ten Sage nach als Wächter des Fass­es täglich fün­fzehn Flaschen Wein trinken mußte. Als ihm irgend­wann ein Arzt riet, für eine gewisse Zeit auf Wass­er umzusteigen, sei er – so heißt es – am näch­sten Tag gestor­ben.

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Lit­er­atur:

  • Vic­tor Hugo: Hei­del­berg. Frank­furt a. M. 2003
  • Karl Moer­sch: Geschichte der Pfalz. Von den Anfän­gen bis ins 19. Jahrhun­dert, Mainz 1986
  • Adolf Zeller: Das Hei­del­berg­er Schloß. Wer­den, Zer­fall und Zukun­ft. In zwölf Vorträ­gen, Karl­sruhe 1905