Kyffhäuser: Thüringen, bei Bad Frankenhausen

Wer zum inner­sten Kern der deutschen Frage vor­drin­gen will, muß in die Mitte Deutsch­lands, zum Kyffhäuser, reisen. Hier verdichtet sich deutsche Geschichte in ihrer tragis­chen Abfolge von Glanz und Elend über ein Jahrtausend wie an kaum einem zweit­en Ort. Auf dem Kyffhäuser­burg­berg, der mit 439 Metern nicht die höch­ste, aber die markan­teste Erhe­bung des Gebirges ist, find­en sich noch heute die Reste ein­er mit­te­lal­ter­lichen Bur­gan­lage. Sie ist unterteilt in Ober‑, Mit­tel- und Unter­burg, die sich über eine Länge von 600 und eine Bre­ite von 60 Metern erstreck­en und damit zusam­men eine der größten Bur­gan­la­gen Deutsch­lands darstellen. Es han­delt sich um Reste ein­er stau­fis­chen Reichs­burg, die hier in den Jahren der Herrschaft Friedrich I.  Bar­barossas auf den Ruinen ein­er Vorgänger­burg errichtet wurde. Obwohl die Burg in unmit­tel­bar­er Nähe der Pfalz Tille­da lag, welche durch die Burg wohl geschützt wer­den sollte, kon­nte ein Aufen­thalt von Bar­barossa nicht nachgewiesen wer­den. Nach der stau­fis­chen Zeit ver­lor die Burg an Bedeu­tung, fiel schließlich wüst, diente als Wall­fahrt­skapelle und seit der Ref­or­ma­tion nur noch als Kulisse für den dor­ti­gen Stein­bruch. Seit dem 18. Jahrhun­dert, ins­beson­dere seit der Roman­tik, wurde die Ruine und die mit ihr zusam­men­hän­gende Sage wieder­ent­deckt.

Daß der Kyffhäuser über­re­gion­al ein Begriff wurde, lag an ebendieser Sage um den Burg­berg. Sie hat ihren Ursprung nicht in Bar­barossa, auch wenn sie sich heute auf ihn bezieht, son­dern in seinem Enkel, Friedrich II. von Hohen­staufen (žCas­tel del Monte, Paler­mo). Nach seinem Tod 1250 brachen die Wirren des Inter­reg­nums an. »Das Kon­ti­nu­ität­slose deutschen Geschehens,
die Auflö­sung des stolzesten Baues in ein Nichts, der völ­lige Zusam­men­bruch inner­halb kürzester Frist: dies grauen­hafte Schaus­piel gewahrte die Welt nach dem Tode des Kaisers in solchem Umfang zum ersten Mal«. (Ernst Kan­torow­icz) Da Friedrich II. bere­its zu Lebzeit­en vergöt­tert wurde und sein großer Gegen­spiel­er, der Papst, schon oft seinen Tod verkün­det hat­te, glaubte man nicht an seinen Tod, son­dern erwartete von ihm die Ret­tung des Reich­es und die Reini­gung der Kirche. Bis es soweit sei, würde der Kaiser im Kyffhäuser auf die Stunde warten. Zahlre­iche
Hochsta­pler macht­en sich diesen Glauben zunutze und gin­gen als »falsche Friedriche « in die Geschichte ein. Seit dem 16. Jahrhun­dert bezog sich die Sage auf Bar­barossa, was ver­mut­lich mit der Volk­stüm­lichkeit Bar­barossas zusam­men­hängt, die Friedrich II. in sein­er genialen Entrück­theit nicht hat­te.

Schließlich sorgte das berühmte Gedicht »Der alte Bar­barossa« von Friedrich Rück­ert dafür, daß die Bar­barossas­age im 19. Jahrhun­dert vol­lends volk­stüm­lich wurde. Laut dieser ruht der Kaiser im Berg und fragt alle hun­dert Jahre, ob die Raben noch um den Felsen kreisen. Und wenn dem so ist, muß er weit­ere hun­dert Jahre schlafen. Burschen­schaften hat­ten sich daher seit den 1840er Jahren auf dem Kyffhäuser ver­sam­melt, um den Reichs­gedanken wachzuhal­ten. Da 1871 das Reich wieder­errichtet wurde (žžVer­sailles), war es nahe­liegend, einen Zusam­men­hang zwis­chen der Sage und der Gegen­wart herzustellen. Ein Nation­aldenkmal drängte sich förm­lich auf, zumal der Kyffhäuser schon damals ein beliebtes Aus­flugsziel war.

Von der Grund­stein­le­gung am 10. Mai 1892 an wurde auf den Resten der Ober­burg der alten Burg Kyffhausen das Kaiser-Wil­helm-Denkmal (gewei­ht am 18. Juni 1896) errichtet, das die Erfül­lung der alten Weis­sa­gung bildlich umset­zt und nach dem Leipziger Völk­er­schlacht­denkmal zu den größten Denkmälern dieser Zeit gehört. Die Pläne des Denkmals stam­men von Bruno Schmitz, der den Bau für den Deutschen Kriegerbund (seit 1900 Kyffhäuser­bund) ent­warf, der Pfin­g­sten 1888 beschlossen hat­te, ein solch­es Denkmal in Angriff zu nehmen.

Das Denkmal ist etwa 80 Meter hoch und wird im Osten von ein­er hal­bkre­is­för­mi­gen Ter­rasse begren­zt, die dem Blick des Besuch­ers Gele­gen­heit gibt, das Denkmal als Ganzes zu erfassen. Im Sock­el ist der aufwachende Friedrich I. Bar­barossa, in den rötlichen Sand­stein gemeißelt, zu sehen. Über ihm thront, von einem Krieger und ein­er »weib­lichen Ide­algestalt« zu seinen Füßen begleit­et, die kupferne Reit­er­stat­ue Wil­helms I., der damit in direk­ter Nach­folge des Staufers ste­ht. Daher wurde die Anlage auch mit zahlre­ichen Anlei­hen an die stau­fis­che Architek­tur (aber
auch For­men ger­man­is­ch­er Vorzeit find­en sich als Verzierung) verse­hen. Der 57 Meter hohe  Turm, der sich hin­ter Wil­helm I. erhebt, ist mit der deutschen Kaiserkro­ne bedacht wor­den.

Von der Aus­sicht­splat­tform hat man einen her­rlichen Blick in die geschicht­strächtige Land­schaft Thürin­gens (žžBad Franken­hausen). Der soge­nan­nte Burghof, eine große Aus­flugs­gast­stätte im roman­is­chen Stil, die in großen Teilen bere­its vor der Eröff­nung des Denkmals existierte (und für die Bauar­beit­er Unterkun­ft bot), paßt sich schön in das Ensem­ble von Burg und Denkmal ein. Die Reste der stau­fis­chen Bur­gan­lage (mit dem tief­sten Burg­brun­nen der Welt und einem Burgmu­se­um) sind auch heute noch zu besichti­gen.

Auf dem Weg zum Denkmal befind­en sich noch zwei kleinere. Ein­mal der soge­nan­nte Botschafts­ge­denkstein der Vere­ine der Deutschen Stu­den­ten (VDSt), der sich auf die Sozial­botschaft Kaiser Wil­helm I. von 1881 bezieht. Diese nahm der VDSt in prak­tis­ch­er Arbeit auf und set­zte daher 1896 diesen Gedenkstein, dessen Tafel 1960 zer­stört und 1993 erneuert wurde. 1939 wurde unter­halb des Kyffhäuser­denkmals eine fünf Meter große Hin­den­burgstat­ue aus Por­phyr aufgestellt, die 1945 umgestürzt und einge­graben wurde. 2004 durch Zufall wieder­ent­deckt, ist sie aber auf­grund der unklaren Besitzver­hält­nisse und der Scheu vor dem Namen Hin­den­burg nur halb aus­ge­graben und hin­ter einem Zaun ver­bor­gen.

Der Kyffhäuser hat die Zeit­en rel­a­tiv unbeschadet über­dauert und wurde 2012 ein­er gründlichen Sanierung unter­zo­gen. Der Plan der Schöpfer, auf dem Kyffhäuser ein gle­ichzeit­ig volk­stüm­lich­es und kaiser­lich­es Denkmal zu erricht­en, ging auf. Seit der Ein­wei­hung entwick­elte sich das Denkmal rasch zu einem der beliebtesten deutschen Aus­flugsziele, das es bis heute geblieben ist. An dieser Tat­sache kon­nte wed­er die Weimar­er Demokratie noch der Nation­al­sozial­is­mus oder die DDR etwas ändern. Es fan­den keine Umwid­mungen statt, auch wenn es in der DDR kurzzeit­ig Pläne gab, das ganze Denkmal zu spren­gen.

Daß man vor dem Bilder­sturm zurückschreck­te, hat­te sich­er nicht nur prak­tis­che Gründe, die sich bei der Durch­führung ergeben hät­ten. »Das heutige Geschlecht hat Kaiser und Reich wieder erste­hen, aber das Kaiser­tum wieder verge­hen sehen; ist damit nun die Kaiser­sage tot und für das Volks­be­wußt­sein ohne Bedeu­tung, oder wird sie, als noch nicht in Erfül­lung gegan­gen, mit ihrer treiben­den Kraft weit­er in die Zukun­ft unseres Volkes hinein­leucht­en? « fragte August Sach 1923. Nach­dem nun auch das Reich wieder ver­gan­gen ist, muß die Sage wohl weit­er­hin gültig sein.

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Lit­er­atur:

  • Lud­wig Bech­stein: Sagen­buch des Kyffhäuser und der Gold­e­nen Aue, hrsg. Har­ald Rock­stuhl, Bad Lan­gen­salza 2009
  • Ernst Kan­torow­icz: Kaiser Friedrich der Zweite, Berlin 1927
  • Gun­ther Mai: Das Kyffhäuser-Denkmal 1896–1996. Ein nationales Mon­u­ment im europäis­chen Kon­text, Köln et al. 1997
  • August Sach: Die Deutsche Heimat. Land­schaft und Volk­s­tum, Halle 1923, S. 333–343