Leuthen (poln. Lutynia): Niederschlesien, 20 km westlich von Breslau

Die Ortschaft Leuthen liegt abseits der Straße von Bres­lau nach Lieg­nitz. Heute grup­pieren sich die Häuser des Örtchens um die von ein­er starken Mauer umschlossene, ger­adezu befes­tigte, Kirche, die 1757 eher frei stand. Im Umgriff des Kirch­hofs erin­nern heute Tafeln in deutsch­er und pol­nis­ch­er Sprache an jenes Geschehen vom 5. Dezem­ber 1757: die Schlacht bei Leuthen. In dieser schlug Friedrich, der preußis­che roi con­nétable, die dop­pelt so starke öster­re­ichis­che Armee unter dem Kom­man­do des Prinzen Karl von Lothrin­gen, dem Schwa­ger Maria There­sias, dem wohlweis­lich mit Feld­marschall Daun ein Beruf­s­sol­dat zur Seite gestellt war. Doch waren bei­de in ihren Entschlüssen nicht so frei wie der König, der als sein eigen­er Kro­n­feld­herr nie­man­dem über sein Han­deln Rechen­schaft schuldete, während andere mil­itärische Führer stets verpflichtet blieben, etwaige Nieder­la­gen zu ver­ant­worten. Wie bekan­nt, ging ger­ade Friedrich mit erfol­glosen Gen­eralen wenig zim­per­lich um, das Beispiel seines 1757 in Ung­nade gefal­l­enen Brud­ers, August Wil­helm, ste­ht hier vor Augen.

So kon­nte es nur Friedrich wagen, mit ger­ade 30 000 Mann den 60 000 Öster­re­ich­ern gegenüberzutreten. Sollte man es für über­mütig hal­ten, daß Friedrich aus solch numerisch­er Unter­legen­heit her­aus die Schlacht wagte? Was auf den ersten Blick tol­lkühn erscheint, rel­a­tiviert der zweite: Denn nur einen Monat zuvor, am 5. Novem­ber, hat­te Friedrich bei Roßbach in Sach­sen Fran­zosen und Reich­sarmee in noch größer­er Über­ma­cht nach­haltig geschla­gen, so nach­haltig, daß Frankre­ich als aktiv­er Geg­n­er aus dem Sieben­jähri­gen Kriege de fac­to auss­chied. Der Nach­hall der Nieder­lage von Roßbach wirk­te in Frankre­ich dergestalt, daß die franzö­sis­che Öffentlichkeit den Sieg von Jena und Auer­st­edt (1806) all­ge­mein als die berechtigte und ersehnte Revanche für Roßbach betra­chtete.

Friedrich eröffnete im Jahre 1756 präven­tiv den Krieg gegen eine über­legene Koali­tion halb Europas mit dem Angriff auf Sach­sen und griff im Jahre 1757 die Öster­re­ich­er in Böh­men an. Doch mit der Nieder­lage von Kolin ver­lor er das Gesetz des Han­delns, und den Nim­bus des ewigen Siegers. Friedrichs Ver­luste des Jahres 1757 waren enorm, vor allem betrafen sie den Bestand vorzüglich aus­ge­bilde­ter und bewährter Führer, wie des Gen­er­als Hans von Win­ter­feldt. Schon spät im Jahr ergriff er noch ein­mal die Ini­tia­tive. Auf der »inneren Lin­ie« fech­t­end, schlug er zuerst die Fran­zosen, dann bot er den Kaiser­lichen in Schle­sien die Stirn, die sich u. a. Bres­laus und ander­er wichtiger Oder­fes­tun­gen bemächtigt hat­ten.

Am Vor­abend der Schlacht ver­sam­melte Friedrich seine Gen­erale und Stab­sof­fiziere in der Nähe der Ortschaft Parch­witz, wo er sie alle »beim Portépée« pack­te und in rhetorisch-psy­chol­o­gisch bril­lanter Weise auf die kom­mende Schlacht ein­schwor, daß kein­er gewagt hätte, von der Fahne zu gehen. Noch heute kön­nen wir die Szene in Adolph von Men­zels unfer­tigem Gemälde in der Nation­al­ga­lerie in Berlin bewun­dern – wen­ngle­ich der König in der Bild­mitte nur unvol­len­det zu sehen ist. Am näch­sten Mor­gen in der Früh um vier Uhr brach die preußis­che Armee auf, um sich – im gut erkun­de­ten und bekan­nten Gelände – mit den Öster­re­ich­ern zu messen.

Das fol­gende Geschehen ist vielfach beschrieben und soll hier nur kur­sorisch referiert wer­den. Karls ordre de bataille erstreck­te sich rück­wärts der Ortschaft Leuthen, die unge­fähr die Mitte ihrer Stel­lung bildete, in zwei Tre­f­fen auf ein­er Länge von ca. neun Kilo­me­tern in nord-südlich­er Rich­tung. Statt aber, nach dem zeit­genös­sis­chen Stand der Kriegskun­st, frontal anzu­greifen, was sich mit unter­lege­nen Kräften ohne­hin ver­bot, vol­l­zog Friedrich vielmehr ein kom­plex­es und zeitaufwendi­ges Schwenkungs­man­över um die öster­re­ichis­che Stel­lung herum, an dessen Ende der linke Flügel der Kaiser­lichen schut­z­los vor der gestaffelt, das heißt »schief« deployierten preußis­chen Armee lag. Dieses Manöver zuzu­lassen, ohne die schwächeren und damit in der Bewe­gung höchst ver­wund­baren Preußen anzu­greifen, war der entschei­dende Fehler Karls und Dauns an diesem Tage.

Damit kon­nte Friedrich die Öster­re­ich­er mit all seinen Trup­pen in deren tiefer link­er Flanke fassen, hat­te aber vor allem die numerische Über­legen­heit Karls neu­tral­isiert, denn diesem war es unmöglich, seine Armee hin­re­ichend schnell umzu­grup­pieren. Sodann rollte Friedrich in dieser – nach­mals berühmten, aber schon seit Leuk­tra (371 v. Chr.) bekan­nten – Bewe­gung die Stel­lung der Öster­re­ich­er auf und fegte sie vom Schlacht­feld. Indes hat­ten die Öster­re­ich­er zwis­chen­zeitlich wieder Front machen kön­nen und hiel­ten sich ins­beson­dere im blutig umkämpften Kirch­hof von Leuthen, wo das Reich­sreg­i­ment Rot-Würzburg gegen das II. Garde-Batail­lon Ehre für die so oft geschmähte Reich­sarmee ein­legte. Doch die Wür­fel waren gefall­en. Als der Tag sank, hat­te
Friedrich nicht nur eine Schlacht gewon­nen, son­dern einen Mythos geschaf­fen: jenen von der »schiefen Schlach­tord­nung« und der durch diese bewirk­ten punk­tuellen Über­legen­heit des Schwächeren.

Daß ihm dieses Meis­ter­stück der Manöverkun­st nie wieder in gle­ich­er Per­fek­tion gelang, schmälert die Leis­tung nicht. Doch zeigt Friedrichs Behar­ren auf dieser Form der Gefechts­führung bere­its eine gewisse dok­trinäre Starrheit, die ihm nicht zulet­zt die ver­heerende Nieder­lage von Kuners­dorf (1759) ein­trug. Obgle­ich die erschöpften preußis­chen Trup­pen zur Ver­fol­gung außer­stande waren, darf Leuthen den­noch als über­ra­gen­der Sieg gel­ten, der dem König den Besitz Schle­siens und sein­er Win­terquartiere wie auch die Herrschaft über die Oder als wesentliche Verbindung­sund Ver­sorgungslin­ie sicherte. Zum Rang ein­er Entschei­dungss­chlacht aber brachte es Leuthen nicht, mag auch die spätere Verk­lärung zu der Annahme ver­leit­en. Unter den Toten und Ster­ben­den im blut­getränk­ten Schnee stimmten die Preußen auf der Wal­statt den Choral »Nun dan­ket alle Gott« an, der damit später­hin zu ein­er Art demütiger preußis­ch­er Siegeshymne avancierte.

Ähn­lich wie Han­ni­bals Sieg bei Can­nae (216 v. Chr.) mit der dop­pel­ten Über­flügelung – sprich: Ein­schließung – des Geg­n­ers zu ein­er immer wieder ide­al­isierten Fig­ur mil­itärischen Pla­nens und Operierens geri­et, so auch Friedrichs »schiefe Schlach­tord­nung«. Der Friedrich-Kult, den nicht zulet­zt der Sieg von Leuthen ent­fachte, fand neben zahlre­ichen lit­er­arischen Her­vor­bringun­gen einen beson­deren Nieder­schlag in den Frid­er­i­cus-Fil­men der zwanziger bis vierziger Jahre des 20. Jahrhun­derts, die Hingabe und Aufopfer­ungs­bere­itschaft der Truppe und die behar­rliche Siegeszu­ver­sicht des Königs ver­her­rlicht­en. Damit ist Leuthen nicht nur ein Ort auf der Land­karte, son­dern zu einem beson­deren Topos im Koor­di­naten­sys­tem der preußisch-deutschen Mil­itärgeschichte bes­timmt.

Einzuord­nen ist der Sieg von Leuthen – mit seinen auch für das 18. Jahrhun­dert hohen Ver­lus­ten auf bei­den Seit­en – wie fol­gt: Mit Friedrich führte bei Leuthen die beherrschende Feld­her­rngestalt der Epoche, deren Strahlkraft zwar vom Prinzen Eugen und danach von Napoleon erre­icht wurde, dem aber zu sein­er Zeit kein kon­ge­nialer Geg­n­er erwach­sen war. Auf eine exzel­lente Truppe gestützt, die dem Feld­her­rn über­haupt der­art anspruchsvolle Manöver erlaubte, zeigt Leuthen, was ein über­ra­gen­der mil­itärisch­er Geist gegenüber der größeren Zahl zu leis­ten ver­mag. Zwar ver­lieh der Sieg von Leuthen Friedrich und sein­er Armee eine uner­hörte Glo­ri­ole, doch führte dies in der ferneren preußisch-deutschen Mil­itärgeschichte zu der fehlgeleit­eten Vorstel­lung, daß der Wille des mil­itärischen Führers alle Wider­stände zu über­winden ver­möge. Nicht von unge­fähr kom­men daher die Rekurse auf Leuthen und das Mirakel des Haus­es Bran­den­burg im Sieben­jähri­gen Krieg in den Jahren 1944/45.

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Lit­er­atur:

  • Die Kriege Friedrichs des Großen, Teil 3: Der Sieben­jährige Krieg, Bd. 6: Leuthen, hrsg. v. Großen Gen­er­al­stab, Berlin 1904
  • Bern­hard Kroen­er: Die Geburt eines Mythos – die »schiefe Schlach­tord­nung« Leuthen, 5. Dezem­ber 17507, in: Stig Förster/Markus Pöhlmann/Dierk Wal­ter: Schlacht­en der Welt­geschichte, München 2001, S. 169–183
  • Johannes Kunisch: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit, München 2005