Nanga Parbat — Pakistan

Am Anfang der Eroberungs­geschichte des »Schick­sals­bergs der Deutschen« ste­ht ein Brite. Im Som­mer des Jahres 1895 leit­et Albert Fred­er­ick Mum­mery, der als bester Berg­steiger sein­er Zeit gilt, eine Expe­di­tion zum Nan­ga Par­bat – der erste Ver­such ein­er Acht­tausender-Bestei­gung über­haupt. »Wenn ich es skizzieren wollte: es über­trifft alles, was ich je gese­hen: unge­heure Ent­fer­nun­gen, blaue Berge.« (Mum­mery, Brief an seine Frau, 10. Juli 1895)

Mit seinem Gurkha-Träger Ragho­bir gelingt ihm eine Bestei­gung an der Diamir-Seite des Berges auf eine Höhe von unge­fähr 6 500 Meter. Am 24. August startet Mum­mery mit zwei Trägern den Ver­such, die soge­nan­nte Dia­ma-Scharte ins Rakhiot-Tal zu über­schre­it­en; die drei kehren nicht zurück und bleiben ver­schollen. Allerd­ings gab es so etwas wie eine deutsche Vorgeschichte: Auf Empfehlung Alexan­der von Hum­boldts erforschen die Brüder Adolf und Robert Schlag­in­tweit Mitte des 19. Jahrhun­derts das west­liche Himala­ja und kar­togra­phieren die Gegend. 1856 stößt dabei Adolf Schlag­in­tweit bis an den Fuß des Nan­ga Par­bat vor.

Der Name Nan­ga Par­bat bedeutet »nack­ter Berg«, abgeleit­et von dem San­skrit­be­griff »nagna-par­va­ta«. Er befind­et sich im west­lichen Himala­ja, im pak­istanis­chen Teil Kaschmirs. Die dort leben­den Paschtunen nen­nen den Berg Diamir (»König der Berge«). Mit 8 125 Metern ist er der neun­thöch­ste Berg und zudem die größte freis­te­hende Massen­er­he­bung der Erde. Seine Süd­wand, die soge­nan­nte Rupal-Flanke, ist die höch­ste Gebirgswand der Erde.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wird das Inter­esse der deutschen Alpin­is­ten ver­stärkt in Rich­tung Himala­ja gelenkt. Der Alpen­vere­in erhebt in seinen Nürn­berg­er Leit­sätzen von 1919 das Berg­steigen zur nationalen Auf­gabe. Der Alpin­is­mus, und zwar »in der Form berg­steigerisch­er Arbeit«, stelle dabei »eines der wichtig­sten Mit­tel« dar, »um die sit­tliche Kraft des deutschen Volkes wieder­herzustellen«.

Erster »deutsch­er« Gipfel im fer­nen Himala­ja wird allerd­ings der Kangchendzön­ga, der drit­thöch­ste Berg der Welt (die erste Expe­di­tion dor­thin im Jahr 1905 führt Aleis­ter Crow­ley an). 1929 wird unter Leitung von Paul Bauer ein Ver­such ges­tartet, man gelangt auf 7 400 Meter. 1930 sind es Gün­ter Dyhren­furth und Ulrich Wieland, die eine deutsche Expe­di­tion leit­en, 1931 erneut Paul Bauer. Die Ver­suche scheit­ern jew­eils an der schlecht­en Wit­terung, an Stür­men und der Law­inenge­fahr.

Recht bald rückt der Nan­ga Par­bat, der am west­lich­sten gele­gene Acht­tausender, in den Fokus der deutschen Berg­steiger – und gilt schnell als »deutsch­er« Gipfel (neben »englis­chem« Mount Ever­est, »ital­ienis­chem« K2 und »franzö­sis­ch­er« Anna­pur­na). Bere­its 1930 plant Wil­lo Welzen­bach, ein­er der bekan­ntesten Klet­ter­er im deutschen Sprachraum und Pio­nier der Eisklet­terei, eine Expe­di­tion zur West­seite des Nan­ga Par­bat. Die Anre­gung dafür erfährt er durch Wal­ter Schmid­kunz, einem Ver­leger von Alpin­lit­er­atur, der zuvor Ein­sicht in Briefe und Noti­zen Mum­merys bekom­men hat. Doch Welzen­bach ist beru­flich einge­bun­den und so übern­immt Willy Merkl die Leitung der deutsch-amerikanis­chen Expe­di­tion von 1932. Sein Ver­such endet auf­grund des ein­set­zen­den Mon­suns auf etwa 7 000 Metern Höhe. Zwar übern­immt Merkl die Idee und die Pla­nun­gen Welzen­bachs, doch wählt er die Nord­seite des Berges für den Auf­stieg – »dilet­tan­tisch,
aber recht erfol­gre­ich« (Rein­hold Mess­ner).

1934 führt Merkl auch den zweit­en deutschen Ver­such (mit öster­re­ichis­ch­er Beteili­gung) an. Die soge­nan­nte Deutsche Himala­ja-Expe­di­tion (DHE) und die ihr zuk­om­mende medi­ale Aufmerk­samkeit wer­den schließlich den Mythos vom »Schick­sals­berg«, vom »Gral des deutschen Alpin­is­mus« begrün­den. Trotz der exzel­lent beset­zten Mannschaft kommt es zur Katas­tro­phe: Zwar erre­ichen Peter Aschen­bren­ner und Erwin Schnei­der über die Nord­seite eine Höhe von 7895 Metern, doch stirbt bere­its beim Auf­bau der Lager der Berg­steiger Alfred Drex­el an einem
Höhen­lun­genö­dem (fälschlicher­weise als Lun­genentzün­dung diag­nos­tiziert). Bei einem Schneesturm, der über eine Woche anhält, kom­men dann Uli Wieland, Wil­lo Welzen­bach, Willy Merkl sowie sechs Sher­pas ums Leben. Die Gründe für das Scheit­ern liegen im fehlen­den Wis­sen um die Schwere der Himala­ja-Stürme sowie in der falschen Vorge­hensweise Merkls. Statt mit ein­er möglichst kleinen Angriff­sspitze der besten Klet­ter­er die Bestei­gung anzuge­hen, will Merkl den Gipfelsieg erzwin­gen und mit mehr als einem Dutzend Leute dort ankom­men. Nur die mit­gereiste Gruppe von Wis­senschaftlern kann Erfolge ver­buchen und erar­beit­et eine Karte des Nan­ga Par­bat.

1936 wird die Deutsche Himala­ja-Stiftung gegrün­det, deren Leit­er wird Paul Bauer, ein wichtiger Klet­ter­funk­tionär und ehe­ma­liger Intim­feind Wil­lo Welzen­bachs. Ein Jahr später startet die Deutsche Nan­ga-Par­bat-Expe­di­tion, Leit­er ist Karl Wien. Wieder geht es über die Nord­seite. Das unter dem soge­nan­nten Rakhiot Peak errichtete Hochlager IV (6 200 m) wird in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni von ein­er Law­ine erfaßt. Die gesamte Klet­ter­mannschaft und neun Sher­pas ster­ben, nur die bei­den Wis­senschaftler Uli Luft und Carl Troll über­leben. Paul Bauer organ­isiert daraufhin eine Bergung­sex­pe­di­tion. Nach dem schnellen Erre­ichen der Unfall­stelle kön­nen zwis­chen dem 18. und 21. Juli die meis­ten Leichen gebor­gen wer­den. Zwei Jahre später führt Paul Bauer eine starke Mannschaft zur Nord­seite des Nan­ga Par­bat; die Ver­sorgung wird durch eine Ju 52 aus der Luft gesichert. Man erre­icht nur eine Höhe von 7 300 Metern. Außer­dem wer­den die Leichen Merkls und seines Sher­pas Gay-Lay gefun­den, der ange­blich frei­willig an Merkls Seite blieb.

Die 1939 ges­tartete Erkun­dung­sex­pe­di­tion unter Leitung von Peter Auf­schnaiter kommt in der Diamir-Flanke (Nord­west­seite) an zwei Punk­ten auf 6 000 Meter. Zu den Teil­nehmern gehört auch Hein­rich Har­rer. Der Zweite Weltkrieg bricht während der Rück­reise des Teams aus: Man befind­et sich in Indi­en, auf britis­chem Ter­ri­to­ri­um; die Berg­steiger wer­den ver­haftet und interniert. Har­rer wird später seine und Auf­schnaiters Flucht-Erleb­nisse in dem Buch Sieben Jahre in Tibet fes­thal­ten.

Im Jahr 1953 gelingt dann endlich die erfol­gre­iche Bestei­gung des Nan­ga Par­bat: Karl Maria Her­rligkof­fer und Peter Aschen­bren­ner, der schon 1934 dabei war, leit­en die Expe­di­tion. Her­rligkof­fer, der jün­gere Halb­brud­er Willy Merkls, ist Arzt und wird in den kom­menden drei Jahrzehn­ten diverse Expe­di­tio­nen im Himala­ja leit­en. Auf­grund seines autoritären Auftretens und wegen der von ihm beansprucht­en Ver­w­er­tungsrechte kommt es nach der Expe­di­tion und auch später immer wieder zu Zer­würfnis­sen und Rechtsstre­it­igkeit­en zwis­chen ihm und einzel­nen
Teil­nehmern.

Am 3. Juli 1953 erre­icht der Tirol­er Her­mann Buhl den Gipfel. Eine Gruppe um Buhl hat­te sich gegen die Anweisun­gen von Her­rligkof­fer und Aschen­bren­ner für den Gipfel­gang entsch­ieden. Um
2.30 Uhr bricht Buhl vom let­zten Lager auf, ohne kün­stlichen Sauer­stoff, und bewältigt bis zum Gipfel, den er gegen 19 Uhr mit let­zter Kraft erre­icht, 1 300 Höhen­meter; oben läßt er seinen Eispick­el mit der pak­istanis­chen Flagge zurück. Danach biwakiert er in 8 000 Metern Höhe ohne Aus­rüs­tung. Doch er hat Glück, die Wit­terungsver­hält­nisse sind gün­stig, allerd­ings wird er durch Erfrierun­gen zwei Zehen ver­lieren. Nach 40 Stun­den erre­icht er total erschöpft und dehy­dri­ert das Höhen­lager. Eine Pio­nier­tat, die Buhl allerd­ings auch der Ein­nahme von Pervitin (ein im Zweit­en Weltkrieg einge­set­ztes Auf­putschmit­tel auf Metham­phet­a­min-Basis) zu ver­danken hat; zudem führt er Padutin, ein durch­blu­tungs­fördern­des Mit­tel gegen Erfrierun­gen, mit sich.

1962 erre­ichen Toni Kin­shofer, Anderl Mannhardt und Sie­gi Löw den Gipfel, dabei durch­steigen sie erst­mals die Diamir-Flanke. Beim Abstieg stürzt Löw tödlich ab, Kin­shofer und Mannhardt erlei­den schwere Erfrierun­gen. Wieder ist Her­rligkof­fer Expe­di­tion­sleit­er, der auch acht Jahre später die Sie­gi-Löw-Gedächt­ni­s­ex­pe­di­tion anführt, bei der die Brüder Gün­ther und Rein­hold Mess­ner die Rupal-Wand (Süd­seite) durch­steigen. Sie erre­ichen, eben­so wie tags darauf Felix Kuen und Peter Scholz, den Gipfel. Beim erzwun­genen Abstieg über die West­seite reißt eine Law­ine Gün­ther Mess­ner in den Tod.

Rein­hold Mess­ner wird weit­ere acht Jahre später den Nan­ga Par­bat im Allein­gang, vom Wand­fuß bis zum Gipfel, bezwin­gen, inner­halb von drei Tagen. Im Jahr 2005 erre­ichen über eine neue Route in der Rupal-Wand die US-Amerikan­er Steve House und Vince Ander­son den Gipfel im Alpin­stil (ohne Zwis­chen­lager und vorher prä­pari­erte Route, Aus­rüs­tung und Verpfle­gung wer­den mit­ge­führt). Min­destens 85 Men­schen­leben forderte bish­er die Bestei­gung des Nan­ga Par­bat (Stand 2025). Der ersten acht Men­schen auf dem Gipfel waren Deutsche: aus Deutsch­land, Öster­re­ich und Südtirol.

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Lit­er­atur:

  • Gün­ter Oskar Dyhren­furth: Das Buch vom Nan­ga Par­bat. Die Geschichte sein­er Bestei­gung 1895–1953, München 1954
  • Hans Hart­mann: Ziel Nan­ga Par­bat. Tage­buch­blät­ter ein­er Himala­ja-Expe­di­tion, Berlin 1942
  • Rein­hold Mess­ner: Diamir – König der Berge. Schick­sals­berg Nan­ga Par­bat, München 2008