Verschwörung

Ver­schwörung ist eine all­ge­mein übliche Prax­is im Rah­men von Täuschungsstrate­gien pri­vater oder poli­tis­ch­er Natur. Die Ver­schwörung kann dabei eher defen­sive oder eher offen­sive Zwecke ver­fol­gen. Insofern ist die Geschichte auch eine Aneinan­der­rei­hung von Ver­schwörung zu dem Zweck, die eigene Gruppe zu schützen, einen Geg­n­er zu überlis­ten, ihm die Macht zu nehmen oder das Leben oder bei­des. In diesem Sinn haben sich Jakob und seine Mut­ter gegen Esau und seinen Vater ver­schworen, die Sen­a­toren gegen Cäsar, Katha­ri­na von Medici und die Liga gegen Admi­ral de Col­igny und die Hugenot­ten, die Dekabris­ten gegen den Zaren und die Män­ner des 20. Juli 1944 gegen Hitler. An dieser Rei­hung wird schon deut­lich, daß über Ver­schwörung im Laufe der Geschichte sehr unter­schiedliche moralis­che Urteile gefällt wur­den, was ganz ähn­lich für den Ver­rat zutrifft, der zwangsläu­fig mit der Ver­schwörung zusam­men­hängt.

Die Ursachen dafür sind hier ohne Belang. Wichtig ist aber der Hin­weis darauf, daß jed­er Machthaber darauf zu acht­en hat, gegen ihn gerichtete Ver­schwörung frühzeit­ig zu ent­deck­en oder schon im Keim zu erstick­en. Für die exem­plar­ische Bestra­fung von Ver­schwör­ern gibt es zahllose Beispiele. Das zeigt auch, daß die Ver­schwörung im all­ge­meinen eine Waffe der Schwächeren ist, die es sich nicht erlauben kön­nen, ihre feindliche Absicht offen zu zeigen. Das erk­lärt, weshalb die »Ewige Linke« (Ernst Nolte) regelmäßig zur Ver­schwörung als Mit­tel der Wahl gegrif­f­en hat und teil­weise langfristige Vor­bere­itun­gen für große Kon­spir­a­tio­nen traf. Das gilt vor allem für die Phase ihres Auf­stiegs im 18. Jahrhun­dert und die Bil­dung aller möglichen Geheimge­sellschaften, die nicht nur um der Ver­fol­gung durch die Obrigkeit zu ent­ge­hen, ver­schwörerisch arbeit­eten, son­dern auch, um ihren eigentlichen Zie­len näher zu kom­men. Die Freimau­r­erei war in dem Zusam­men­hang eine Größe von schw­er über­schätzbarem Ein­fluß.

Der hat­te allerd­ings zur Folge, daß nach dem Sieg der rev­o­lu­tionären Kräfte die gegen­rev­o­lu­tionären den Umsturz als Ergeb­nis ein­er total­en Ver­schwörung inter­pretierten, an der neben den bekan­nten und unbekan­nten Geheimge­sellschaften alle auf Emanzi­pa­tion drän­gen­den Grup­pen – in Frankre­ich etwa Protes­tanten und Juden – beteiligt waren. Selb­stver­ständlich hat­te diese Vorstel­lung einen gewis­sen ratio­nalen Kern, tendierte aber naturgemäß zu immer weit­erge­hen­den, durch die Tat­sachen keines­falls gedeck­ten Annah­men über Charak­ter, Aus­maß und Wirkung dieser Kon­spir­a­tion. Infolgedessen ent­stand eine bre­ite Lit­er­atur, die der Aufdeck­ung der Ver­schwörung dienen sollte, es gab aber auch Ver­suche, etwa durch »gegen­mau­rerische« Organ­i­sa­tio­nen, sich der Mit­tel des Fein­des zu bedi­enen und diese umzukehren. Die weit­ere Folge rev­o­lu­tionär­er Erhe­bun­gen bis zur zweit­en Hälfte des 20. Jahrhun­derts gab der Vorstel­lung von ein­er total­en Ver­schwörung immer neue Nahrung, bis hin zu dem antikom­mu­nis­tis­chen Feldzug McCarthys, wen­ngle­ich der­ar­tige Konzepte allmäh­lich an Ein­fluß ver­loren.

Es darf in diesem Zusam­men­hang nicht vergessen wer­den, daß die Linke die Annahme der Ver­schwörung teil­weise durch ihre Vorstel­lung von der Bedeu­tung der Klassen­zuge­hörigkeit kom­pen­siert, teil­weise aber ihre eige­nen Leitideen mit der Ver­mu­tung von Ver­schwörung der Kon­tra­hen­ten – vor allem im eige­nen Lager – ergänzte. Die sek­tiererischen Spal­tun­gen inner­halb der sozial­is­tis­chen und kom­mu­nis­tis­chen Bewe­gung rühren ganz wesentlich von ein­er Ver­schwörungs­furcht her.

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Zitate:

Es gibt seit über ein­er Gen­er­a­tion ein inter­na­tionales anglophiles Net­zw­erk, das bis zu einem gewis­sen Grad in der Art operiert, wie es die extreme Rechte von den Kom­mu­nis­ten glaubt.
Car­roll Quigley

Nicht zu vergessen ist auch die schlichte, jedoch nur zu oft ignori­erte Tat­sache, daß alle Gehe­im­bünde, von denen wir etwas wis­sen, nur rel­a­tive Gehe­im­bünde sind. Wie viele Grup­pen mag es geben, von denen wir über­haupt nicht das ger­ing­ste erfahren. .… Umgekehrt weisen aber sämtliche noch so offenkundi­ge Ver­hält­nisse und Ein­rich­tun­gen – von ein­er notorischen Fre­und­schaft über einen par­la­men­tarischen Auss­chuß bis hin zu den Funk­tionärskadern von Gew­erkschaften und Groß­be­trieben – alle­mal auch eine »eso­ter­ische« Dimen­sion, einen Zug ins Gehe­im­bündis­che auf. Andern­falls wären sie schlechthin leben­sun­fähig. Leben gedei­ht nie in totaler Trans­parenz.
Gerd-Klaus Kaltenbrun­ner

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Lit­er­atur:

  • Johannes Rogal­la von Bieber­stein: Der Mythos von der Ver­schwörung [1976], zulet­zt Wies­baden 2008
  • Johannes Rogal­la von Bieber­stein: »Jüdis­ch­er Bolschewis­mus«. Mythos und Real­ität [2002], zulet­zt Graz 2009
  • Lorenz Jäger: Hin­ter dem Großen Ori­ent. Freimau­r­erei und Rev­o­lu­tions­be­we­gun­gen, Wien und Leipzig 2009
  • Gerd-Klaus Kaltenbrun­ner (Hrsg.): Geheimge­sellschaften und der Mythos der Weltver­schwörung, Herder­bücherei Ini­tia­tive, Bd 69, Freiburg i.Br. 1987
  • Car­roll Quigley: Katas­tro­phe und Hoff­nung [1966], zulet­zt Basel 2007