Weltgeschichtliche Betrachtungen — Jacob Burckhardt, 1905

Das erst­mals im Jahr 1905 von einem Nef­fen des 1897 ver­stor­be­nen Basler His­torik­ers her­aus­gegebene Buch ist in dieser Form keine Schrift Jacob Bur­ck­hardts, son­dern beruht auf Vor­lesungsaufze­ich­nun­gen und Hör­ernach­schriften ein­er zwis­chen 1868 und 1873 mehrere Male von ihm gehal­te­nen Uni­ver­sitätsvor­lesung »Über das Studi­um der Geschichte«. Die Bur­ck­hardtschen Texte und Frag­mente hierzu sind erst 1982 unter eben diesem Titel pub­liziert wor­den. Aber die ältere Fas­sung hat unter dem Namen Welt­geschichtliche Betra­ch­tun­gen ein Eigen­leben ent­fal­tet, und so darf man an diesem Titel (und der bess­er zugänglichen Tex­taus­gabe) fes­thal­ten.

Aus­gangspunkt von Bur­ck­hardts Über­legun­gen ist eine kon­se­quente Dis­tanzierung von damals gängi­gen, den Fortschritt der Men­schheit pos­tulieren­den Geschicht­sphiloso­phien im Stil von Hegel und Marx. Im Mit­telpunkt der Betra­ch­tun­gen ste­hen die von ihm soge­nan­nten drei »his­torischen Poten­zen«: Staat, Reli­gion und Kul­tur, wobei die bei­den ersten sich durch rel­a­tive his­torische Kon­stanz ausze­ich­nen, die let­ztere aber durch stärkere Fähigkeit zum Wan­del. Der Staat beruht als Mach­tord­nung wesentlich auf der »Ungle­ich­heit der men­schlichen Anla­gen «, und auch die Reli­gion ist als »Aus­druck des ewigen und unz­er­stör­baren meta­ph­ysis­chen Bedürfniss­es der Men­schen­natur « wesentlich anthro­pol­o­gisch bed­ingt.

Die Kul­tur wiederum – »die ganze Summe der­jeni­gen Entwick­lun­gen des Geistes, welche spon­tan geschehen und keine uni­ver­sale oder Zwangs­gel­tung in Anspruch nehmen« – macht das eigentlich Men­schliche der Geschichte aus, gipfel­nd in den nach Bur­ck­hardt wesentlich zeit­losen Schöp­fun­gen der Kun­st und Poe­sie – »all­gültige, allver­ständliche Bilder, die das einzig irdisch Bleibende sind, eine zweite ide­ale Schöp­fung«.

Eine der bekan­ntesten, aus dem Kapi­tel über den Staat stam­menden  For­mulierun­gen des Werkes, »daß die Macht an sich böse ist«, wird vom Autor  später im Abschnitt über Glück und Unglück in der Geschichte deut­lich dif­feren­ziert: Das »Böse auf Erden« faßt er hier als einen »Teil der großen welt­geschichtlichen Ökonomie« auf, und insofern kann auch »aus Bösem Gutes, aus Unglück rel­a­tives Glück« erwach­sen.

Die großen geschichtlichen Per­sön­lichkeit­en und die auch von diesen aus­gelösten geschichtlichen Krisen sind »zu unserem Leben notwendig, damit die welt­geschichtliche Bewe­gung sich peri­odisch und ruck­weise frei mache von bloßen abgestor­be­nen Lebens­for­men und von reflek­tieren­dem Geschwätz«. Die Fähigkeit des Men­schen, aus der Geschichte zu ler­nen, hielt Bur­ck­hardt für eher begren­zt. Immer­hin konzedierte er wenig­stens die Möglichkeit, »durch Erfahrung nicht sowohl klug (für ein ander­mal) als weise (für immer)« zu wer­den.

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Zitat:

Wir sind aber nicht eingewei­ht in die Zwecke der ewigen Weisheit und ken­nen sie  nicht. Dieses kecke Antizip­ieren eines Welt­planes führt zu Irrtümern, weil es von irri­gen Prämis­sen aus­ge­ht.

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Aus­gabe:

  • In der auf den Hand­schriften beruhen­den Orig­i­nal­fas­sung: Über das Studi­um der Geschichte, hrsg. v. Peter Ganz, München: C. H. Beck 1982
  • Neuaus­gabe der Oerischen Aus­gabe, Stuttgart: Krön­er 1978

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Lit­er­atur:

  • Wolf­gang Hardtwig: Geschichtss­chrei­bung zwis­chen Alteu­ropa und mod­ern­er Welt. Jacob Bur­ck­hardt in sein­er Zeit, Göt­tin­gen 1974
  • Wern­er Kae­gi: Jacob Bur­ck­hardt. Eine Biogra­phie, Bd. VI/1, Basel/Stuttgart 1977