Wittenberg – Schloßkirche, Sachsen-Anhalt

1489 ließ Sach­sens Kur­fürst Friedrich der Weise das alte Askanier­schloß in sein­er Res­i­denz Wit­ten­berg voll­ständig abreißen. An seine Stelle trat ein neuer Grund­bau des Schloss­es, dessen Errich­tung der Werk­meis­ter Hans von Tor­gau bis 1496 leit­ete. Die zum Wohn­schloß gehörende Kirche erwies sich in ihrer Urform allerd­ings als so wenig bau­sich­er, daß bis 1506 eine völ­lige Umgestal­tung erfol­gen mußte.

Diese noch nicht über­wölbte Schloßkirche wurde am 17. Jan­u­ar 1503 »Allen Heili­gen« gewei­ht, weil sich an jen­er Stelle im 14. Jahrhun­dert eine Kapelle gle­ichen Namens befun­den hat­te. Heute prägt der 88 Meter hohe Schloßkirch­turm am west­lichen Ende der Alt­stadt die Sil­hou­ette von Wit­ten­berg in markan­ter Weise. Man erken­nt schon aus der Ferne die fil­igran anmu­tende neu­go­tis­che Turmhaube, unter der sich ein aus Mosaik­steinen gefer­tigtes Spruch­band befind­et. In meter­großen Buch­staben ist hier der Beginn von Mar­tin Luthers (Wart­burg) Kirchen­lied »Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waf­fen« (1529) zu lesen.

Die Schloßkirche diente aber nicht nur als rein­er Sakral­bau, son­dern sollte vor allem als poli­tis­ch­er Ort Geschichte machen. Nach Grün­dung der Wit­ten­berg­er Uni­ver­sität »Leu­corea« (griechisch für »weißer Berg« als Syn­onym des Stadt­na­mens) im Jahre 1502 wurde die Kirche fünf Jahre später dieser Bil­dungsstätte beige­ord­net und entwick­elte sich zu einem akademis­chen Wei­he­o­rt. In dem Gotte­shaus erhiel­ten die Stu­den­ten ihre Pro­mo­tion­surkun­den, Dozen­ten wie der berühmte Refor­ma­tor Philipp Melanchthon (Tübin­gen) hiel­ten hier ihre Antrittsre­den und die wichtig­sten Wür­den­träger der Uni­ver­sität fan­den im Chor­raum ihre let­zte Ruh­estätte. Das hölz­erne Haupt­por­tal der Schloßkirche diente der Uni­ver­sität Anfang des 16. Jahrhun­derts gle­ich­sam als »Schwarzes Brett«, vor allem für Diskus­sions­beiträge. Daraus ent­stand die Leg­ende, der The­olo­giepro­fes­sor Dr. Mar­tin Luther habe am 31. Okto­ber 1517 seine 95 The­sen mit laut­en Ham­mer­schlä­gen an diese Tür geheftet, um zur Dis­pu­ta­tion über den Zus­tand der Kirche aufzu­fordern. Mit dieser Tat begann die Ref­or­ma­tion.

Doch die erste schriftliche Darstel­lung des berühmten The­se­nan­schlags stammt von dem The­olo­gen und Luther-Assis­ten­ten Georg Rör­er, genan­nt Rorar­ius. Er hat­te 1541 notiert: »Im Jahr 1517, am Vor­abend von Aller­heili­gen, sind in Wit­ten­berg an den Türen der Kirchen die The­sen über den Ablaß von Dok­tor Mar­tin Luther vorgestellt wor­den.« Allerd­ings war Rör­er kein Augen­zeuge, denn er kam erst 1522 von der Uni­ver­sität Leipzig nach Wit­ten­berg. Gle­ich­es gilt für die Darstel­lung von Philipp Melanchthon aus dem Jahre 1546, der eben­falls kein Augen­zeuge gewe­sen sein kon­nte, da er erst 1518 als Pro­fes­sor an die Wit­ten­berg­er Uni­ver­sität berufen wurde. Sich­er erwiesen ist, daß Luther seine 95 Leit­sätze in Wit­ten­berg ver­faßt hat und zwar in der damals üblichen Gelehrten­sprache Latein als »Dis­pu­ta­tio pro dec­la­ra­tione vir­tutis indul­gen­tiarum« (Diskus­sion zur Erläuterung der Tugend und der Gnaden). Wahrschein­lich wur­den diese The­sen noch vor Wei­h­nacht­en 1517 durch den Nürn­berg­er Rat­sher­rn Kas­par Nützel von Sun­der­s­bühl erst­mals ins Deutsche über­set­zt. Nach­weis­lich hat­te Mar­tin Luther seine brisan­ten The­sen am 31. Okto­ber 1517, neb­st einem Brief an den vorge­set­zten Kirchen­fürsten, Kar­di­nal Albrecht von Bran­den­burg, Erzbischof von Magde­burg und Mainz gesandt.

Die Geschichte vom The­se­nan­schlag war aber bald im Volks­glauben der­maßen präsent, daß im 16. Jahrhun­dert die Holztür der Schloßkirche mit den 95 Leit­sätzen, dies­mal in deutsch, verse­hen wurde. An die Stelle des 1760 ver­bran­nten Holz­por­tals ließ König Friedrich Wil­helm IV. von Preußen 1858 eine Bronzetür mit den lateinis­chen 95 The­sen set­zen. Darüber sieht man ein Gemälde, das links Luther mit der deutschen Bibel kniend vor dem Kruz­i­fix, rechts Melanchthon mit der Augs­burg­er Kon­fes­sion und im Hin­ter­grund Wit­ten­berg zeigt. Das Bild des Kirchen­por­tals und sein­er The­sen bleibt bis heute unlös­bar ver­bun­den mit dem drama­tis­chen Ver­lauf der Ref­or­ma­tion, welch­er hier seinen Aus­gang genom­men hat. Auch in neuen Ver­fil­mungen wird der The­se­nan­schlag unbeir­rt dargestellt – so etwa auch im Spielfilm Luther aus dem Jahr 2003, in dem Joseph Fiennes den Refor­ma­tor spielt.

Die nach dem Brand bis 1770 wieder restau­ri­erte Kirche wurde erneut gewei­ht und der ein­stige Schloß­turm zum Kirch­turm umge­baut. Ihr heutiges Erschei­n­ungs­bild ver­dankt die Schloßkirche ein­er Erneuerung im Stil der Neu­gotik während der Jahre 1883 bis 1892 durch den preußis­chen Bau­rat Friedrich Adler. Dabei wurde ihr inner­er Kern weitest­ge­hend nach his­torischen
Aufze­ich­nun­gen gestal­tet und der Schloßkirch­turm neu errichtet. Am 31. Okto­ber 1892 fand die feier­liche Wiedere­in­wei­hung der umgestal­teten Kirche statt.

Bemerkenswertestes Ausstat­tungsstück ist das von Peter Vis­ch­er dem Jün­geren aus Nürn­berg 1527 geschaf­fene Bronze­grab­mal für Kur­fürst Friedrich den Weisen, den Gön­ner und Beschützer Mar­tin Luthers. Anläßlich der 500-Jahr-Feier des Luther- Geburt­stages 1983 wur­den hier zwölf Glas­fen­ster mit den Porträts der dreizehn wichtig­sten Refor­ma­tion­ss­chüler Luthers eingewei­ht. Die Schloßkirche ist heute Bestandteil des UNESCO-Weltkul­turerbes und wurde umfassend restau­ri­ert.

– — –

Lit­er­atur:

  • Han­na Kas­par­ick: Die Evan­ge­lis­che Schloßkirche Luther­stadt Wit­ten­berg, Wit­ten­berg 2013
  • Wolf­gang Land­graf: Mar­tin Luther. Refor­ma­tor und Rebell, Berlin 1982