Wartburg — Eisenach, Thüringen

Die ersten Akademien des Insti­tuts für Staat­spoli­tik (IfS) fan­den am Burschen­schafts­denkmal in Eise­nach statt, in Sichtweite der Wart­burg. Dieser Ort paßt so gut zu ein­er nationalen Tra­di­tion­skom­panie, daß man an einen Zufall bei der Ortswahl nicht glauben mag. Denn die Wart­burg ist ein Sym­bol sowohl für die Ein­heit der deutschen Nation als auch für ihre innere Zer­ris­senheit; sie ste­ht damit für den per­ma­nen­ten Kampf um die eige­nen geisti­gen Grund­la­gen, dem das IfS seine ganze Arbeit­skraft gewid­met hat. Mit­te­lal­ter und Neuzeit, Lib­er­al­is­mus und Kon­ser­vatismus, ide­ol­o­gis­che Vere­in­nah­mung von rechts und von links sowie schließlich das lebendi­ge Begräb­nis unter dem Label »UNESCO-Weltkul­turerbe« bün­deln sich in der Wart­burg in einzi­gar­tiger Weise.

Die Burg wurde im 11. Jahrhun­dert gegrün­det und gilt als her­aus­ra­gen­des Beispiel roman­is­ch­er Architek­tur. 1206/07 soll hier der sagen­hafte Sängerkrieg stattge­fun­den haben, in dem u. a. Walther von der Vogel­wei­de und Wol­fram von Eschen­bach gegeneinan­der antrat­en. Tat­säch­lich verkehrten die bei­den berühmtesten Min­nesänger des Mit­te­lal­ters am thüringis­chen Hof und sind dabei wohl auch der Land­gräfin Elis­a­beth von Thürin­gen begeg­net, jen­er pop­ulären Heili­gen, deren Leben heute noch mit der Wart­burg ver­bun­den wird.

Die eigentliche Bedeu­tung der Wart­burg für die Geschichte der deutschen Nation liegt aber später, näm­lich 1521/22, als Mar­tin Luther sich ein Jahr lang auf der Burg ver­steck­te. Nach­dem er auf­grund sein­er religiösen Reform­schriften exkom­mu­niziert und infolge seines unbeugsamen Auftretens gegenüber dem Kaiser auf dem Wormser Reich­stag mit der Reich­sacht belegt wor­den war, ließ ihn sein Lan­desh­err, Kur­fürst Friedrich der Weise von Sach­sen, zu sein­er eige­nen Sicher­heit auf die Wart­burg ent­führen. Dort voll­brachte Luther, inkog­ni­to als »Junker Jörg«, eine Tat, deren unschätzbare Bedeu­tung für die deutsche Geschichte unbe­strit­ten ist: Er über­set­zte das Neue Tes­ta­ment ins Deutsche und schuf damit ein religiös-lit­er­arisches Meis­ter­w­erk, das die deutsche Kul­tur maßge­blich geprägt hat. Daß Deutsch­land eine evan­ge­lis­che Nation ist, und zwar auch in den Teilen, die am katholis­chen Beken­nt­nis fest­ge­hal­ten haben, hat hier eine wesentliche Ursache.

Weil somit auf der Wart­burg ein Ereig­nis von welt­geschichtlich­er Bedeu­tung stattge­fun­den hat­te, wurde sie in den bei­den fol­gen­den Jahrhun­derten häu­fig besucht; bald tauchte auch der berühmte Tin­ten­fleck an der Wand von Luthers Studier­stube auf, den er bei seinem per­ma­nen­ten Rin­gen mit dem Teufel durch einen Wurf nach diesem mit dem Tin­ten­faß verur­sacht haben soll. Gle­ichzeit­ig aber ver­fiel die Burg allmäh­lich zur Ruine. Das war sie auch im Okto­ber 1817 noch, als die neue, lib­erale Nation­al­be­we­gung unter der Führung der Burschen­schaften eine  Großver­anstal­tung auf der Wart­burg abhielt. Den Zeit­punkt hat­te man ganz bewußt gewählt: Drei­hun­dert Jahre nach dem The­se­nan­schlag Luthers (žžWit­ten­berg), der die Ref­or­ma­tion aus­gelöst hat­te, und vier Jahre nach der Leipziger Völk­er­schlacht. Das Ziel der Feier war es, daran zu erin­nern, daß die Befreiungskriege gegen Napoleon 1813–1815 (žWater­loo) mit ein­er Erhe­bung der deutschen Nation ver­bun­den waren, daß Arndt, Fichte, Jahn und Körn­er nicht nur für die Befreiung von franzö­sis­ch­er Fremd­herrschaft gekämpft hat­ten, son­dern auch für einen frei­heitlichen deutschen Nation­al­staat. Man wandte sich damit aggres­siv gegen die staatlich­er­seits durchge­set­zte Deu­tung der Befreiungskriege als Kampf für den preußis­chen König und gegen die kon­ser­v­a­tive Restau­ra­tion.

An Luther erin­nerte man als Vorkämpfer der deutschen Frei­heit­stra­di­tion. Doch auch die Roman­tik ent­deck­te das in der Natur gele­gene roman­is­che Bauw­erk im 19. Jahrhun­dert für sich. Hier spielte eben­falls der refor­ma­torische Anknüp­fungspunkt eine Rolle; min­destens genau­so wichtig war aber das Mit­te­lal­ter, vor allem der »Sängerkrieg«, den E. T. A. Hoff­mann und Friedrich de la Motte Fouqués lit­er­arisch, Richard Wag­n­er (žžBayreuth) mit seinem Tannhäuser musikalisch verewigten. Die Restau­rierung der Wart­burg unter Großher­zog Carl Alexan­der von Sach­sen-Weimar-Eise­nach und seinem Architek­ten Hugo von Rit­gen fand unter diesem roman­tis­chen und damit eher kon­ser­v­a­tiv­en Vorze­ichen statt. Es wurde der Ver­such unter­nom­men, den Bau his­torisch möglichst kor­rekt wieder­herzustellen; in der inneren Ausstat­tung und der kün­st­lerischen Aus­gestal­tung wurde ver­sucht, die ganze Fülle deutsch­er Kul­tur­tra­di­tion wiederzugeben, mit beson­der­er Beto­nung des Mit­te­lal­ters sowie der Luther-Episode.

Bei Abschluß der wesentlichen Restau­rierungsar­beit­en 1867 war die lib­erale Inanspruch­nahme der Wart­burg deut­lich in den Hin­ter­grund getreten. Das Wil­helminis­che Kaiser­re­ich sorgte hier allerd­ings für einen gewis­sen Aus­gle­ich der poli­tis­chen Gegen­sätze im Namen ein­er nationalen Syn­these: 1902 wurde das gegenüber der Burg errichtete Burschen­schafts­denkmal eingewei­ht, das allerd­ings im Stil weniger altlib­eralen als vielmehr nation­al­rev­o­lu­tionären Vorstel­lun­gen entsprach.

In der Zwis­chenkriegszeit wurde auch die Wart­burg selb­st immer stärk­er zu einem deutschna­tionalen Erin­nerung­sort, was zu ein­er ver­stärk­ten poli­tis­chen Polar­isierung führte. Der Ein­fluß der kul­turkon­ser­v­a­tiv­en Deu­tung des 19. Jahrhun­derts blieb aber beste­hen und ver­hin­derte allzu grobe Stil­brüche. Beispiel­sweise mußte ein 1938 an der Spitze der Burg ange­bracht­es gold­enes Hak­enkreuz nach mas­siv­en Protesten wieder abgenom­men und das alte christliche Kreuz rein­stal­liert wer­den.

Nach dem Zusam­men­bruch von 1945 kehrte kaum Ruhe ein: Die DDR machte die Wart­burg nicht nur zu einem Marken­na­men für ein Auto­mo­bil, son­dern nutzte auch die geschicht­spoli­tis­chen Anknüp­fungsmöglichkeit­en für ihre »Erbe­poli­tik« (žžSchill-Gedenkstät­ten). Diese bemühte sich um ein pos­i­tives Ver­hält­nis zur Nation­algeschichte, indem sie die »pro­gres­siv­en« Tra­di­tio­nen der deutschen Geschichte beschwor: die Ref­or­ma­tion als Aus­druck ein­er »früh­bürg­er­lichen Rev­o­lu­tion«, der Vor­märz als rev­o­lu­tionäres Auf­begehren gegen den fürstlichen Obrigkeitsstaat. Die Wart­burg war da ein beson­ders geeignetes Objekt, weil sie bei­de Tra­di­tio­nen gemein­sam beherbergte.

Wenn die Wart­burg auch nach der Wiedervere­ini­gung weit­er­hin einiger­maßen zahlre­ich die Besuch­er anlockt, dann hängt das im wesentlichen mit dem üblichen Kul­tur­touris­mus zusam­men. Der nationalen Bedeu­tung der Wart­burg hat die Ernen­nung zum Weltkul­turerbe 1999 jeden­falls eher geschadet als genutzt; wird doch alles ver­sucht, um den Ort geschicht­spoli­tisch EU-kom­pat­i­bel zu machen. Das ist um so bedauer­lich­er, als die Wart­burg beson­ders geeignet wäre, den protes­tantis­chen Charak­ter der deutschen Nation zu verdeut­lichen. Diejeni­gen, die genug Empfind­ung besitzen, sich vom Genius loci affizieren zu lassen, kön­nen aber auch heute noch auf der Wart­burg einen Ein­druck davon gewin­nen.

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Lit­er­atur:

  • Eti­enne Fran­cois: Die Wart­burg, in: ders./Hagen Schulze (Hrsg.): Deutsche Erin­nerung­sorte, Bd. II, München 2001, S. 154–170
  • Hans Fer­di­nand Mass­mann: Kurze und wahrhaftige Beschrei­bung des großen Burschen­festes auf der Wart­burg bei Eise­nach. Neb­st Reden und Liedern, hrsg. v. Raimund Stein­ert, Leipzig 1817
  • Ger­hard Rit­ter: Luther. Gestalt und Sym­bol, München 1925