1226 — Der Deutsche Orden erhält die Herrschaft über das spätere Ostpreußen

Unter den zahlre­ichen „Gold­bullen“ — Urkun­den, die ihren Namen nach der das Siegel umhül­len­den Kapsel (lat.: bul­la) tra­gen — ist neben „der“ Gold­e­nen Bulle von 1356 jene von Rim­i­ni für die deutsche Ver­fas­sungs­geschichte von beson­der­er Bedeu­tung. Sie lieferte die wesentliche Rechts­grund­lage für die Grün­dung des Deutschor­densstaates, aus dem das spätere Ost­preußen her­vorg­ing.

Die wesentlichen Bes­tim­mungen laut­en in der Fas­sung des Regests: Der Kaiser „ver­lei­ht und bestätigt […] dem Deutschor­dens­meis­ter Her­mann [von Salza] dessen nach­fol­gern und dem Deutschor­den das land Chulm, zu dessen abtre­tung an den orden unter der bedin­gung der eroberung Preussens sich der her­zog Con­rad von Masowien und Cujaw­ien erboten hat, sammt allem land was sie in Preußen ein­nehmen wer­den, und giebt ihnen darüber nach anführung einzel­ner rechte und befug­nisse so viel gerichts­barkeit und her­rlichkeit als irgend ein reichs­fürst in seinem lande hat“. Daneben wer­den dem Begün­stigten noch zahlre­iche weit­ere königliche Rechte — Regalien — über­tra­gen: Messen und Märk­te, Zölle, Münzrecht, Bergre­gal etc.

Bei recht­set­zen­den Tex­ten und Urkun­den fall­en jedoch die Inten­tion des Beurkun­den­den und jene des Empfängers, der Text und dessen Ausle­gung, wie auch die Wirkung und spätere Zuschrei­bun­gen oft­mals auseinan­der. Das ist um so mehr der Fall, wenn Urkun­den nicht mehr im Orig­i­nal vor­liegen oder in ver­schiede­nen Ver­sio­nen über­liefert sind — hier ist die wis­senschaftliche Quel­lenkri­tik gefordert und ander­er­seits der Raum für Speku­la­tio­nen und gefäl­lig-instru­mentelle Inter­pre­ta­tio­nen gegeben.

Die erste Beurkun­dung aus dem Jahr 1226 ist nicht über­liefert, so daß der Text der Gold­bulle von Rim­i­ni nur in ein­er Fas­sung aus dem Jahre 1235 vor­liegt, deren Datierung in der rezen­ten Forschung mit­tler­weile unbe­strit­ten ist, da in dieser Bes­tim­mungen aus dem Reichs­fürsten­priv­i­leg von 1231/32 Auf­nahme fan­den. Nicht erwäh­nt ist in der über­liefer­ten Textfas­sung indes die päp­stliche Gold­bulle von Rieti (1234). Erst im Zusam­men­spiel bilde­ten die bei­den Urkun­den das rechtliche Fun­da­ment, auf dem der spätere Ordensstaat ruhte.

Die ältere deutsche Mediävis­tik neigte noch dazu, in der Gold­bulle eine Art Grün­dung­surkunde eines Staates zu sehen. Jedoch kann wed­er auf seit­en des priv­i­legierten Ordens noch auf seit­en des beurkun­den­den Pap­stes, Gre­gors IX., bzw. Friedrichs II. unter­stellt wer­den, daß die schließlich erfol­gte Begrün­dung der Orden­sh­errschaft über weite Teile des Baltikums und das spätere Ost­preußen die lei­t­ende, plan­volle Absicht gewe­sen sei. Vielmehr han­delte es sich hier um eine Folge glück­lich­er Zufälle, die Wer­den, Wach­sen und Über­leben des nach­ma­li­gen Ordensstaates und des späteren Her­zog­tums Preußen (ab 1525) bed­ingten.

Alleine die mil­itärischen Auseinan­der­set­zun­gen mit den Nach­barn führten nach erfol­gre­ich­er Aus­dehnung des Herrschafts­ge­bi­ets bis an die Gren­zen des Moskowiter­re­ichs mit der Schlacht auf dem Pei­pussee (1242) zu ern­sten Rückschlä­gen, wobei die Schlacht von Tan­nen­berg (1410) den schw­er­sten markiert. Mit dieser und den Fol­gen der bei­den Thorner Friedenss­chlüsse (1411 und 1466) geri­et die Orden­sh­errschaft mehrfach an den Rand des Zusam­men­bruchs.

Während die enorme Kon­tri­bu­tion des ersten Thorner Friedens die ökonomis­che Grund­lage des Ordens erschüt­terte, brachte der zweite Thorner Frieden das Land unter pol­nis­che Lehn­sh­errschaft. Die mil­itärischen Nieder­la­gen offen­barten, daß auch im Baltikum die Zeit des adli­gen Rit­terkriegers abge­laufen war. Zudem machte sich die „Steril­ität“ der zöli­batär leben­den Orden­srit­ter nachteilig bemerk­bar.

Die Ref­or­ma­tion bot schließlich die Gele­gen­heit zur Säku­lar­isierung der Orden­sh­errschaft unter dem let­zten Hochmeis­ter, Albrecht von Bran­den­burg, im Jahre 1525, als dieser die Ref­or­ma­tion in Preußen ein­führte und damit die Verbindungslin­ien zum Deutschrit­teror­den kappte, der als katholis­ch­er Orden — fürder­hin auf die west­deutschen Balleien beschränkt — noch bis in die Gegen­wart des 21. Jahrhun­derts fortbeste­ht, während Preußen mit einem alli­ierten Kon­troll­rats­beschluß aus dem Jahre 1947 gar förm­lich aufgelöst wurde.

Wesentlich für die ursprüngliche Beurkun­dung von 1226/35 ist die Sit­u­a­tion der Rit­teror­den im Heili­gen Land, wo sich seit 1099 die Kreuz­fahrerherrschaften, mit dem Kön­i­gre­ich Jerusalem an der Spitze, etabliert hat­ten. Wenig später waren dort mit den Tem­plern (1118) und den Johan­nitern (1113) die ersten geistlichen Rit­teror­den ent­standen. In diesen fie­len mön­chis­che Fröm­migkeit und rit­ter­liche Tugend zusam­men und schufen mit dem Orden­srit­ter ein neues christlich­es Ide­al, dessen the­ol­o­gis­che Recht­fer­ti­gung im Kon­text des mit­te­lal­ter­lichen Ordo-Denkens der heilige Bern­hard von Clair­vaux mit sein­er Schrift De laude novae mili­ti­ae lieferte. Der Deutsche Orden indes war erst 1190 als Spi­tal­brud­er­schaft und 1198 zu Akkon als Rit­teror­den gegrün­det wor­den und kon­nte daher gegenüber den bei­den älteren Rit­teror­den im Heili­gen Land keine bedeu­tende Posi­tion mehr errin­gen, son­dern blieb auf die Gegend um Akkon und Mont­fort beschränkt.

Es bedurfte ein­er beson­deren Kon­stel­la­tion, um für den Orden eine ter­ri­to­ri­ale Alter­na­tive zur weit­eren Aus­dehnung zu find­en: Diese bot sich unter der Herrschaft Kaiser Friedrichs II., den eine sehr enge Beziehung mit dem Hochmeis­ter Her­mann von Salza ver­band. Her­mann ver­mit­telte im Kon­flikt zwis­chen Kaiser und Papst mehrfach erfol­gre­ich. In diesem Kon­text erhielt der Orden erst­ma­lig einen Ruf ins Burzen­land (heutiges Siebenbürgen/Transsylvanien) durch König Andreas II. von Ungarn, und schließlich erbat Her­zog Kon­rad von Masowien die Hil­fe des Deutschen Ordens zur Chris­tian­isierung der Pruzzen (1225). Zwar blieb der Orden noch im Mit­telmeer­raum präsent und ver­legte den Hochmeis­ter­sitz erst 1309 von Venedig auf die Marien­burg an der Nogat. Nach dem Ver­lust des Heili­gen Lan­des gediehen die baltischen Besitzun­gen des Ordens schließlich aber zu dessen Machtzen­trum, von dem die eigentliche Blüte des Ordens im 14. Jahrhun­dert ihren Aus­gang nahm. So erwies sich die Erweiterung des Wirkungs­felds in den Ost­seer­aum langfristig betra­chtet als glück­liche Fügung, da sich der Deutsche Orden somit frühzeit­ig vom Heili­gen Land ent­fer­nt hat­te, um dessen voll­ständi­gen Ver­lust (1294) ohne exis­tenzbedro­hende Schwierigkeit­en verkraften zu kön­nen.

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Lit­er­atur:

  • Hart­mut Boock­mann: Der Deutsche Orden. Zwölf Kapi­tel aus sein­er Geschichte, München 2012
  • Klaus Mil­itzer: Von Akkon zur Marien­burg, Mar­burg 1999
  • Jür­gen Sarnowsky: Gold­bulle von Rim­i­ni, in: Hand­wörter­buch zur deutschen Rechts­geschichte Bd. II, Sp. 447f., Berlin 2012
  • Mar­i­an Tum­ler: Der Deutsche Orden von seinem Ursprung bis zur Gegen­wart, bearb. v. Udo Arnold, Bad Mün­stereifel 1986